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Erdgekoppelte Wärmepumpen

„Es gibt noch Entwicklungsbedarf“

© Vaillant

Der Markt für erdgekoppelte Wärmepumpen gilt unter Fachleuten bereits als überhitzt. Auf einen Bohrtermin für Einzelsonden muss der Bauherr oft lange warten. Auch fehlt vielen TGA-Planern noch das Gefühl für die geo­logischen Vorgänge im Erdreich, umgekehrt ­mangelt es den Geologen an Kenntnissen über die Wärmeerzeugung mittels Wärmepumpen sowie über geeignete Wärme- und Kälteverteil­systeme in Gebäuden. Fortbildungsveranstaltungen zum Thema Geothermie sind deshalb gefragt wie selten zuvor. Als eine der ersten Fachhochschulen bietet Biberach Seminare sowie einen Masterstudiengang mit einem Schwerpunkt in der oberflächennahen Geothermie an. Mit Prof. Dr.-Ing. Roland Koenigsdorff, Dozent an der Hochschule Biberach, sprach Wolfgang Schmid, Fachjournalist für Technische Gebäudeausrüstung, München.

TGA: Das Thema Geothermie ist plötzlich in ­aller Munde. Im Zusammenhang mit erd­gekoppelten Wärmepumpen wird schon von einem Hype gesprochen, also von einer Überreaktion des Marktes. Wo befinden wir uns derzeit auf der Roadmap der Geothermie?

Koenigsdorff: Im Wohnhausbereich kann man durchaus von standardisierten Anlagen reden. In den Details gibt es aber sicher noch ein Optimierungspotenzial. Bei Anlagen für Industrie- und Gewerbebauten haben wir es in der Regel mit individuell geplanten und realisierten Anlagen zu tun. Das gilt auch für Büro- und Verwaltungsgebäude mit geothermisch gestützten Heiz- und Kühlfunktionen. Dort sind die Anlagen komplexer und damit nur in geringem Maße standardisierbar. Aber auch hier gibt es erste Lösungen für anschlussfertige geothermische Heiz- und Kühlzentralen. Die Herausforderungen eines solchen Systems sehe ich in der optimalen Anbindung der Wärmepumpe an unterschiedliche Temperaturniveaus der Verbraucher bei einem möglichst hohen Anteil an Naturalkühlung.

TGA: Wo liegen momentan noch die Fallstricke bei Geothermieanlagen? Bei den Erdsonden, bei den Heiz- und Kühlsystemen, beim Erd­sondenmanagement?

Koenigsdorff: Bei den Erdsonden kommt durch die Möglichkeit der Zertifizierung jetzt Bewegung in den Markt. Das ist sicher der richtige Weg. Damit müsste dieser Bereich qualitativ abgesichert sein. Bei den Gebäuden mit komplexeren Anlagen, also gleichzeitigen Heiz- und Kühlfunk­tionen auf mehreren Temperaturebenen, treten auf der Regelungsseite häufig Überraschungen auf, aus denen wir noch lernen müssen.

Beispiele dafür sind Förderpumpen, die nicht auf Teillastbetrieb ausgelegt sind und selbst bei minimalem Kühlbedarf mit 100 % Leistung fahren. Ein anderes Problem sind bivalente Heiz-Kühl-Wärmepumpenanlagen mit einem zusätzlichen Heizkessel. Da kann es schon mal vorkommen, dass die Wärmepumpe im Kühlmodus gegen den Heizkessel arbeitet. Hier müssen die Prozesse künftig besser überwacht werden.

Auch im kommunalen Bereich fehlt es noch an Erfahrungen mit geothermischen Konzepten, zum Beispiel in der Siedlungsplanung. Generell kann man sagen, je dichter die Bebauung und je mehr geothermische Anlagen realisiert werden, desto mehr muss man sich bereits bei der Erschließung von Baugebieten Gedanken über mögliche thermische Wechselwirkungen im Erdreich machen. Die Baubehörden stehen hier noch ganz am Anfang einer neuen Entwicklung. Wir müssen uns heute die Frage stellen, ob Geothermie nicht grundsätzlich auch Teil der Erschließung eines Baugebietes sein sollte. Ich sehe das durchaus als öffentlich zu koordinierende Aufgabe.

TGA: Wo sehen Sie den größten Entwicklungsbedarf? Bei der Planung, bei den Systemen, oder in der Ausführung? Es gibt ja jetzt auch einige Simulationsprogramme zur Planungsunterstützung. Inwieweit werden dort die Verhältnisse praxisnah abgebildet?

Koenigsdorff: Den größten Entwicklungsbedarf gibt es sicher bei der Systembetrachtung. Das beginnt bei der Planung und hier insbesondere bei den Simulationswerkzeugen. Für wichtig halte ich, die Ergebnisse der Simulation für den Planer – der ja kein Wissenschaftler ist – transparent zu machen, damit er seine Detailplanung darauf aufbauen kann. Dann müssen Wärmeerzeugungs- und Wärmeverbraucheranlagen enger aufeinander abgestimmt werden. Wichtig ist außerdem, aus den Messergebnissen realisierter Anlagen Erkenntnisse für neu zu erstellende Gebäude zu gewinnen. Dazu gehört auch das schon angeschnittene Thema der Bauerschließung für Siedlungen mit geothermischen Heizsystemen.

TGA: In einigen Regionen, insbesondere in den Innenstadtbereichen von Großstädten, soll das Erdreich schon geothermische Ermüdungs­erscheinungen zeigen, insbesondere wenn mit dem Erdreich überwiegend gekühlt wird. Sollten Geothermie-Standorte künftig besser dokumentiert werden, in einer Art Wärmekataster?

Koenigsdorff: Wenn Geothermie im großen Stil genutzt werden soll, muss sich der Gesetzgeber auch über die Auswirkungen der Geothermie über die jeweilige Grundstücksgrenze hinaus Gedanken machen. In Schweden gibt es bereits erste Ansätze einer geothermischen Erfassung durch die kommunalen Behörden. Bei dem anhaltenden Boom in der Geothermie halte ich diese Vorgehensweise für richtig, sonst nehmen sich die Anlagen womöglich gegenseitig die Wärme weg, insbesondere wenn wir es mit sogenannten Grundwasserfahnen zu tun haben. Eine behördliche Erfassung der Anlagen würde auch die Chance für eine ausgeglichene Erdwärmebilanz zwischen Anlagen, die hauptsächlich kühlen und solchen mit primären Heizfunktionen, eröffnen.

TGA: Gibt es denn genügend Simulations­programme bzw. Software zur Auslegung von Geothermieanlagen, die auch vom TGA-Planer beherrscht werden?

Koenigsdorff: Für die Auslegung einer kleinen geothermischen Wärmepumpenheizung ist die VDI 4640 völlig ausreichend. Zusätzlich wird es demnächst auch vom Verband Beratender Inge­nieure einen Leitfaden „Geothermie“ geben. Natürlich gibt es auch aufwendige Rechenprogramme zur Simulation. Allerdings hat das Erdreich seine eigene Dynamik, insbesondere bei der Vernetzung mit anderen geothermischen Anlagen. Das muss künftig viel stärker berücksichtigt werden. Hier besteht noch ein riesiger Informationsbedarf, um die komplexen Vorgänge erdgekoppelter Gebäudesysteme zu verstehen.

Die Tools sind also weitgehend vorhanden, aber bei der Interpretation der Ergebnisse bestehen oft noch Defizite. Bei größeren Gebäuden kommt man derzeit nicht umhin, Simulationsspezialisten zu beauftragen. Schon aus wirtschaftlichen Gründen ist es notwendig, sich einen Überblick zu verschaffen, was dem Erdreich zugemutet werden kann und was nicht. Das gilt insbesondere für Gebäude mit einem eher unausgeglichenen Heiz- und Kühlbedarf. Schwierig wird es vor allem dann, wenn man es mit Erdreich und Grundwasser zu tun hat.

TGA: Hat die Geothermie-Branche genügend qualifizierte Arbeitskräfte, um den sich ­abzeichnenden Boom zu bewerkstelligen?

Koenigsdorff: Wir haben es derzeit eindeutig mit einem Hype oder besser gesagt, mit einer Überhitzung zu tun. Nach meiner Beobachtung gibt es momentan noch wenige Bohrfirmen, die das entsprechende Gütesiegel besitzen. Für kleinere Anlagen mit ein oder zwei Bohrsonden bekommt man heute praktisch keinen zeitnahen Bohrtermin. Auch bei den Planern ist zunächst einmal Fortbildung angesagt. Wir merken das an der Resonanz auf unsere eigenen Fortbildungskurse in oberflächennaher Geothermie.

Bei Geothermieanlagen größerer Leistung sollte sich der Bauherr den Planer sehr genau ansehen. Meine Devise ist, lieber etwas länger nach einem qualifizierten Planer zu suchen als Abstriche bei der Planungsqualität zu riskieren.

TGA: Wodurch entsteht der Engpass bei den Bohrunternehmen? Durch zu wenig Bohrgeräte oder durch zu wenig qualifiziertes Bohrpersonal?

Koenigsdorff: Es liegt an beidem, das heißt an der fehlenden Maschinerie und an Bohrmeistern mit der entsprechenden Erfahrung. Ein weiterer Aspekt, den es zu berücksichtigen gilt, ist das jeweils eingeschränkte Wissen der Akteure am anderen Gewerk: Dem Geologen fehlt es an Kenntnissen über die System- und Anlagentechnik, der TGA-Planer kann dagegen keine geologische Einschätzung des Untergrundes als Bemessungsgrundlage für Erdwärmesonden vornehmen. Nur wenige Unternehmen sind in der Lage, die Schnittstelle zwischen Geologie, Gebäude und den Gewerken der Gebäudetechnik vollständig abzudecken. Wir sehen das an der großen Anzahl von Bauingenieuren und Geologen in unseren Fortbildungsveranstaltungen. Umgekehrt beobachten wir bei unseren TGA-Studenten ein großes Interesse am Thema Geologie. Die oberflächennahe Geothermie ist inzwischen in unserem Masterstudiengang ein wählbarer Schwerpunkt.

TGA: Kann man die oberflächennahe Geothermie uneingeschränkt empfehlen?

Koenigsdorff: Es gibt natürlich Beschränkungen, zum Beispiel in Wasserschutzgebieten oder in karstigem Gelände. Der Schutz des Grundwassers hat natürlich zunächst Priorität. Ein anderer Aspekt sind zu hohe Erdtemperaturen bei Anlagen mit ausgesprochenen Kühlfunktionen oder ungünstige Temperaturniveaus von Heizsystemen. In jedem Fall sollte man eine CO²-Bilanz aufstellen, um zu bewerten, ob eine Geothermieanlage primärenergetisch wirklich CO² einspart. Wir stellen leider mitunter fest, dass es Geothermieanlagen gibt, die mehr Primärenergie verbrauchen als konventionelle, getrennt arbeitende Heizungs- und Klima/Kälteanlagen.

Ursachen sind meistens die zusätzlichen Elektroenergieverbraucher wie Pumpen, die in die ursprüngliche CO²-Bilanz nicht einbezogen wurden. Wir müssen uns darüber klar sein, dass eine geothermische Wärmepumpe nur zum Teil regenerativ ist, da elektrische Energie – zumindest in Deutschland – immer noch mit relativ schlechtem Wirkungsgrad und im Strommix hohen CO²-Emissionen erzeugt wird. Passende Konzepte am richtigen Standort sind aber in jedem Falle ein wichtiger und empfehlenswerter Beitrag zum Umweltschutz.

TGA: Wie könnte die nächste ­Generation der Geothermieanlage aussehen? Wo sehen Sie Opti­mierungsmöglichkeiten?

Koenigsdorff: Die Wärmepumpe bietet sicher noch Optimierungsmöglichkeiten, beispielsweise bei den Arbeitsmitteln, beim Kältemittelverdichter, bei der Regelung, bei der Bemessung und Bauart der Sonden, bei einzelnen Komponenten, wie Pumpen und den Materialien. Wichtig ist die Betrachtung des Gesamtsystems. Noch immer ist es so, dass eine Geothermieanlage individuell als Prototyp geplant und realisiert wird.

Im Rahmen eines Forschungsprojektes untersuchen wir derzeit, inwieweit man heute skalierbare Energiezentralen in Plug & Play-Ausführung bauen kann. Wir brauchen ein Baukastensystem für Heizung, Kälte, Klima und Regelung, das als Energiezentrale das Gebäudeverhalten automatisch erkennt und die Einstellparameter entsprechend optimiert. Im Grunde genommen muss das Regelungssystem die optimalen Einstellungen aus einem Lernprozess heraus selbst generieren.

Bei Geothermiezentralen gehören dazu auch die Einbindung von Förderpumpen und das automatische Bewirtschaften des Erdreichs nach wirtschaftlichen Gegebenheiten. Heute ist es so, dass größere Anlagen ein bis zwei Jahre betreut werden müssen, bevor sie einen optimalen Betriebspunkt erreichen. Bei unseren Untersuchungen haben wir beispielsweise herausgefunden, dass man durch die Anpassung des Solemassenstroms im Erdsondensystem spürbar elektrische Energie einsparen kann.

TGA: Herr Professor Koenigsdorff, vielen Dank für das Gespräch.

» Wir müssen uns die Frage stellen, ob Geothermie nicht grundsätzlich auch Teil der Erschließung eines Baugebietes sein sollte.«

» Werkzeuge zur Berechnung sind vorhanden, aber es fehlt am Verständnis für die komplexen Vorgänge erdgekoppelter Gebäudesysteme.«

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Roland Koenigsdorff„Wir stellen leider mitunter fest, dass es Geothermieanlagen gibt, die mehr Primärenergie verbrauchen als konventionelle, getrennt arbeitende Heizungs- und Klima/Kälteanlagen.“

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