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Oberflächennahe Geothermie

Warnung vor Wildwuchs

Je nach Sichtweise und Marktposition sprechen die Anbieter geothermischer Bohranlagen und Dienstleistungen von Goldgräberstimmung, vom Chaos oder – diplomatischer ausgedrückt – von weltweit guten Geschäftsaussichten. Momentan lassen sich die Anbieter von Bohrgeräten sogar zu Aussagen hinreißen wie „einen solchen Boom hat es bei uns noch nie gegeben“ oder „wir kommen kaum nach mit der Produktion von Bohrgeräten“. Denn zusätzlich zum weltweiten Bauboom durch längst fällige Infrastrukturmaßnahmen in Industrie- und Schwellenländern kommt jetzt noch eine für die Branche überraschend starke Nachfrage nach Bohrgeräten für Geothermiean­lagen, ergo auch für Bohraufträge.

Während das Geschäft mit dem Brunnenbau zumindest in Deutschland in den letzten Jahren eher vor sich hin dümpelte – ein Brunnen pro Woche war für viele traditionelle Brunnenbauer die Norm – können Bohrgerätehersteller und Bohrfirmen die plötzliche Nachfrage nach geothermischen Wärmepumpen kaum bewältigen. Wartezeiten von einem Jahr bei individuell geplanten Geothermie-Wärmepumpen seien keine Seltenheit. Die Versprechungen mancher Heizungsbauer gegenüber ihren Wärmepumpen-Kunden, das mit der Erdsonde werde bis zur nächsten Heizsaison schon noch klappen, erwiesen sich oftmals als Trugschluss. So schmunzelten Bohrgerätehersteller auf der Bauma, Internationale Fachmesse für Baumaterialien und Baugeräte, die vom 23. bis 29. April 2007 in München stattfand, über Fälle, bei denen SHK-Fachhandwerksbetriebe mangels Bohrtermin die Kosten für die elektrische Beheizung von Neubauten übernehmen mussten.

Abenteuer Geothermie

Andere feixten über abenteuerliche Konstruktionen aus Gabelstaplern und zweckentfremdeten Bohrgeräten, mit denen Bohrlöcher für Sonden abgeteuft wurden. Mangels Kenntnissen über die Tücken des Bohrens im Erdreich seien dabei ganze Wohnsiedlungen mit Schlamm bespritzt oder von Staub bedeckt worden. Allgemeiner Tenor: Wegen der hohen Nachfrage bei den etablierten, d.h. erfahrenen Bohrunternehmen, würden vermehrt Schwarze Schafe in das Geschäft einsteigen, die ihr Handwerk im Schnellkurs – wenn überhaupt – gelernt hätten.

Ein Bohrgerätehersteller zur aktuellen Situation bei oberflächennahen Geothermie-Bohrungen: „Derzeit wird alles rekrutiert, was eine Bohrmaschine meint bedienen zu können. Dazu zählen arbeitslose Friseure und Konditormeister ebenso wie unterbezahlte Hausmeister, die sich ein Zubrot verdienen wollen.“ Insbesondere bei den Ein- und Zweifamilienhäusern mit ihren für Brunnenbauer wenig lukrativen Einzelsonden herrsche Chaos. Wer dennoch einen Bohrtermin bekomme, müsse mit höheren Kosten und ggf. auch mit Schäden an Wegen, Gärten und Gebäuden rechnen. Ein Geothermie-Spezialist ergänzt: „Der klassische Brunnenbauer ist eigentlich überqualifiziert für den Bau von Erdwärmesonden im Einfamilienhausbereich.“

Schwieriger Findungsprozess

Für viele Hersteller von Bohrgeräten ist die oberflächennahe Geothermie in Verbindung mit Wärmepumpen völliges Neuland. Versuche, zusammen mit Wärmepumpenherstellern eine Art Pflichtenheft für spezielle Bohrgeräte aufzustellen, seien bisher eher unbefriedigend verlaufen. Ein Mitarbeiter von Bohrtec Vertical, Tochterunternehmen der weltweit tätigen Herrenknecht AG, Schwanau, dazu: „Wir haben die wichtigsten Wärmepumpenhersteller zu ihren Anforderungen an ein Bohrgerät befragt. Die Ansichten, wie ein solches Gerät aufgebaut sein sollte, gehen aber diametral auseinander. Die eine Gruppe will ein leichtes, aber professionell ausgestattetes Bohrgerät auf hohem Standard, andere wünschen sich ein billiges Bohrgerät, das die Anforderungen geradeso erfülle und damit sehr preisgünstige Bohrsondenlöcher ermöglicht.“

Die meisten Hersteller von Bohrgeräten haben dagegen einen hohen Anspruch an die Professionalität und an ein weitgehend automatisiertes Handling des Bohrgestänges und des Bohrvorgangs, so der Eindruck auf der Bauma. Allgemein ist die Branche an einer engen Zusammenarbeit mit den Wärmepumpenherstellern und Heizungsanlagenbauern interessiert. Um Rückschläge zu vermeiden, müssten aber Bohrgerätehersteller, Bohrfirmen, Wärmepumpenhersteller, Planer und die Anlagenersteller künftig enger zusammenarbeiten, so der Tenor.

Ein Bohrgerätehersteller beschreibt die aktuelle Situation so: Jeder redet über die boomende Geothermie, aber kaum einer kennt bisher die Spielregeln dieses Marktes. Wir wissen noch nicht einmal, welche Art von Bohrtechnik sich für den Wohnhausbereich durchsetzt und welche Anforderung an die Qualität des Bohrlochs gestellt wird. Es ist nicht einmal klar, ob die Bohrlöcher verpresst werden sollten oder nicht. Der Wärmeübergang von der Bohrsonde zum Erdreich sei nach wie vor eine offene Frage. Fast jedes Land in Europa verfolge hierzu eine andere Philosophie.

Karo-San mit Full-Service

Die auf Kanal- und Rohrleitungssanierung spezialisierte Karo-San pro Umwelt GmbH, Illingen, sieht in der Zusammenarbeit mit der Heizungsbranche die beste Lösung, auch aus der Sicht des Kunden. Derzeit sei man dabei, ein Franchise-Konzept zu entwickeln mit dem Ziel, Planung, Bohrung, Hausanschluss, Heizsystem und Inbetriebnahme als Paket anzubieten.

Ein speziell für Erdsonden entwickeltes, leichtes Bohrgerät ließe sich überall einsetzen, ohne Flurschäden anzurichten. Erfahrene Bohrmeister würden den Aufwand vor Ort minimieren. Statt eine Sonde 100 m und tiefer zu bohren sei es beim Einfamilienhaus sinnvoll, zwei Erdsonden bis zu einer Tiefe von nur 70 m einzubringen. Große Hoffnungen setze man auf die Weiterentwicklung der CO2-Sonde, da sich damit die Energiegewinnung aus dem Erdreich wesentlich vereinfache, auch im Hinblick einer möglichen Belastung der Umwelt durch Soleflüssigkeit.

Klemens Waterkotte zu Bauer AG

Dass gut aufgestellte Bohrgerätehersteller die Chancen des Geothermiemarkts erkannt haben, zeigt das Beispiel der Bauer AG, Schrobenhausen. Für ihre neu gegründete Tochter EWN, Erdwärmenetz GmbH, konnte der Gerätehersteller und Tiefbauspezialist keinen geringeren als Klemens Waterkotte Jr. von der Waterkotte-Tochter Teramex als Geschäftsführer gewinnen. Damit steht dem stark expandierenden börsennotierten Unternehmen auf einen Schlag das gesamte Know-how über Wärmepumpen, Erdwärmesonden und Heizungsanlagen zur Verfügung. Über die Bauer-Tochter Prakla Bohrtechnik hat EWN bereits auf Geothermie ausgerichtete Bohranlagen im Einsatz.

Auch Klemens Waterkotte bestätigt den Wildwuchs in seiner Branche und die mangelnden Kenntnisse der Planer: „Der Markt ist chaotisch, im Schnellkurs werden fachfremde Billigarbeitskräfte angelernt, die auch schon mal ohne Preventer arbeiten und dabei ganze Wohngebiete in Schlammseen verwandelt haben.“ Wichtig sei, dass sich die Planer mehr um die Geothermie-Bohrung kümmern und die Projekte sachgemäß ausschreiben. Leider sind jedoch die Kenntnisse der Planer über Bohrtechnik und Geothermieanla­gen oft mangelhaft“, klagt Waterkotte. „Oft werden Dinge ausgeschrieben, die so nicht realisiert werden können.“

Um noch mehr Wildwuchs und Rückschläge zu vermeiden sei es jetzt wichtig, für mehr Transparenz zu sorgen und entsprechende Normen und Richtlinien zu schaffen. Der Markt wachse nicht nur in Deutschland überproportional schnell, sondern überall in Europa, insbesondere in Italien, Portugal und Spanien. Viele Bohrfirmen könnten sich derzeit die Aufträge aussuchen und würden natürlich Großaufträge bevorzugen. Sondenbohrungen für Ein- und Zweifamilienhäuser seien da schwer zu bekommen, oft nur, wenn zwischen den Großaufträgen gerade mal eine Lücke sei, so ­Waterkotte.

Spezielle Geothermie-Bohrgeräte

Die speziellen Anforderungen von Geothermie-Bohrungen hat auch die Geotec Bohrtechnik GmbH, Nordkirchen, erkannt und ein besonders schmales Gerät entwickelt, mit dem auch bei Heizungsumstellungen im Gebäudebestand gebohrt werden kann. Man müsse weg von den eher schwerfälligen Brunnenbautraditionen hin zu flexibleren Einsatzgeräten, die sich leicht auf einen Lkw mit maximal 10,5 t Gesamtgewicht (alte Führerscheinklasse3) transportieren ließen, betont ein Mitarbeiter. Da sich gerade bei Erdsondenbohrungen häufig Fest- und Lockergestein überlagern, müssten die Bohrgeräte für Hammer- und Spülbohrungen ausgerüstet sein. Durch eine Easylift-Funktion zum Einschwenken des Bohrgestänges wolle man Geothermie-Bohrungen zusätzlich ratio­nalisieren.

Geotec will auch künftig Bohrgeräte nur verkaufen und selbst keine Dienstleistungen anbieten. Vorbild für Geothermie-Bohrungen seien die skandinavischen Länder, denn die seien den Mitteleuropäern um „Lichtjahre“ voraus. Um den guten Ruf der Geothermie nicht zu ruinieren, müssten sich aber die beteiligten Branchen verstärkt um die Schnittstellenprobleme zwischen den Gewerken kümmern. Wichtig sei, dass sich die Bohrunternehmen nach dem DVGW Arbeitsblatt W 1201) qualifizieren, das um den Bereich oberflächennahe Geothermie erweitert worden sei. Auch gelte es, die ökologischen Rahmenbedingungen einer Geothermie-Bohrung stärker zu beachten.

Heizungsbauer wollen selber bohren

Wer auf dem freien Markt nach Bohrunter­nehmen sucht, muss mit Überraschungen rechnen. Offenbar haben in den letzten Monaten viele auf Geothermie-Wärmepumpen ausgerichtete ­Heizungsbaufirmen schmerzliche Erfahrungen mit dem alten Bergmann-Spruch „Vor der Hacke ist es dunkel“ machen müssen, denn bei vielen Bohrgeräte-Herstellern häufen sich die Anfragen größerer SHK-Fachfirmen nach eigenem Bohr­equipment.

Siegbert Offersbach, Verkaufsleiter von Hütte Bohrtechnik GmbH, Olpe/Biggersee (Casagrande Group), bestätigt dies: „Die Geothermie-Wärmepumpe boomt und viele haben Angst, das Geschäft geht mangels Bohrkapazität an ihnen vorbei.“ Offersbach bemängelt, dass sich die klassischen Brunnenbaufirmen nur langsam daran gewöhnen, dass eine Sondenbohrung nicht so aufwendig zu sein braucht wie eine Brunnenbohrung. Wichtig seien schnelle und flexible Bohrverfahren. Dabei sei es notwendig, dass das Bohrgestänge senkrecht bereitgehalten werde und somit schnell zur Verfügung stehe.

Auch sei es sinnvoll, die auf den Brunnenbau ausgerichteten, eher strengen Normen und Vorschriften für Erdsondenbohrungen zu lockern, was aber nicht hieße, dass jeder tun und lassen könne, was er gerade für richtig halte. Da aber gerade die freien Bohrunternehmen oftmals die einfachsten Regeln der Erdbohrung ignorierten, sei jetzt auch der Gesetzgeber gefragt, dem Chaos in manchen Bereichen ein Ende zu bereiten. Schwachstelle sei das kurzfristig angeheuerte Bohrpersonal aus fachfremden Branchen, das die Tücken der Erdbohrungen nicht beherrsche. Die Wärmepumpen- und Heizungsbranche und letztendlich auch Planer und Bauherren würden wegen des Booms verstärkt mit unerfahrenen Bohrfirmen konfrontiert, die den guten Ruf der Branche in Frage stellten. Es sei leider so, dass sich rund um die Bohrlöcher ein gewisser Wildwuchs breit mache.

Neben Geotec bietet auch Hütte inzwischen ein speziell auf die Geothermie ausgerichtetes Bohrgerät an, das für Bohrungen bis 200 m Tiefe ausgelegt ist und das Bohren mit und ohne Schutzrohr erlaubt. Wichtig sei in jedem Fall ein Bodenpreventer, der das Bohrgut geordnet ableite und die Verschmutzung von Hauswänden bzw. die Bildung von Schlammseen verhindere. Als einer der wenigen Hersteller von Bohrgeräten bietet Hütte auch umfangreiche Unterlagen über Geothermie-Bohrungen in Form einer Präsentation und eines Filmes an.

Fazit

Der Boom bei geothermischen Wärmepumpen hat Bohrgerätehersteller wie auch Bohrfirmen überrascht. Es fehlt derzeit an ausgebildetem Personal aber auch an ausreichenden Kapazitäten an modifiziertem Bohrgerät, das speziell auf die Belange der Erdsondenbohrung für Wärmepumpen abgestimmt ist. Die klassischen Brunnenbaufirmen stellen sich offenbar nur langsam auf die veränderte Situation ein und verkaufen oft mehr als nötig. Vor den wie Pilze aus dem Boden schießenden „freien Bohrunternehmen“ ist Vorsicht geboten, da oft aus Unkenntnis der Materie gegen die einfachsten Regeln des Erdbohrens verstoßen werde. Große SHK-Firmen haben deshalb bereits Konsequenzen aus den teilweise chaotischen Verhältnissen gezogen und schaffen sich eigene Bohrgeräte an.

1) DVGW-Arbeitsblatt W 120 Qualifikationsanforderungen für die Bereiche Bohrtechnik, Brunnenbau und Brunnenregenerierung, Dezember 2005

Wolfgang Schmid

ist Fachjournalist für Technische Gebäudeausrüstung, München, E-Mail: wsm@netsurf.de

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