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Clima 2007 WellBeing Indoors

Wissenschaftler fordern EPBD-Novelle

Energiesparen am falschen Ende kann sich ­negativ auf Gesundheit, Wohlbefinden, Lernverhalten und die Arbeitsproduktivität in Büros auswirken. Dies bestätigen zahlreiche Studien aus den USA, aus Europa und auch aus Asien, die in Helsinki auf dem alle drei Jahre stattfindenden Kongress „Clima 2007 WellBeing Indoors“ vorgestellt wurden. Wissenschaftler fordern deshalb eine Überarbeitung der Energy Performance of Buildings Directive (EPBD, Gebäuderichtlinie) mit einer verstärkten, ganzheitlichen Betrachtungsweise von Energieverbrauch, Innenraumklima und Arbeitsproduktivität. Bei optimaler Anwendung ­innovativer Heizungs-, Lüftungs- und Klima­systeme unter Einbeziehung von Lichtmanagement und Sonnenschutzeinrichtungen könnten – ohne Einschränkungen des Wohlbefindens und der Produktivität – Energieeinsparungen zwischen 30 und 70 % erreicht werden, so das Resümee verschiedener internationaler Studien. Wenn man dagegen die Anlagen sich selbst überlasse, auf Bedarfsführung verzichte und Fehlbedienungen zulasse, könne der Energieverbrauch eines Gebäudes um bis zu 330 % ansteigen, so das Er­gebnis von Studien über die Energieeffizienz von Gebäuden.

Einen Ausweg aus dem Dilemma, persönliche Freiheit und persönliches Wohlbefinden auf der einen Seite und Energiesparen und Produktivität auf der anderen Seite, sehen die Wissenschaftler in der verstärkten Nutzung technischer Systeme, die sich automatisch dem jeweiligen Bedarf an Wärme, Kälte, Luft und Licht anpassen.

Der Schlüssel zu einem Wechsel von den „Angebots-Systemen“ hin zu einem am tatsächlichen Bedarf ausgerichteten Gebäudebetrieb liegt aus Sicht der Wissenschaftler in einer stärkeren Einbeziehung bereits vorhandener Daten und Funktionen von Raum- und Gebäudeautomationssystemen. Hans Kranz, ehemals Siemens Building Technologies, brachte es auf den Punkt: Der Energiebedarf kommt aus dem Raum, nicht vom Gebäude.

Mehr Luft – mehr Produktivität

Der zusätzliche monetäre Aufwand für eine erweiterte Sensorik sei im Vergleich zu den möglichen energetischen und gesundheitlichen Folgekosten ungeregelter Systeme gering, so der allgemeine Tenor. Dies gelte insbesondere auch für die Erhöhung der Frischluftrate in Schulen und an Arbeitsplätzen. Es konnte beispielsweise nachgewiesen werden, dass durch eine Erhöhung der Luftrate in einem Bürogebäude von 6,5 auf 10 l/(s Pers.) die Produktivität am Arbeitsplatz um 1 % gesteigert werden konnte, ein Gegenwert von etwa 300 Euro/(Pers. a). Die Mehrkosten für Betrieb, Wartung und höheres Anlageninvestment beliefen sich dagegen auf nur 31,60 Euro/(Pers. a).

William Fisk, Indoor Environment Department, Lawrence Berkeley National Laboratory/USA, und Olli Seppänen, Helsinki University of Technology/Finnland, zeigten, dass durch optimale Raumtemperaturen (21 bis 22 °C), eine ausreichend hohe Luftrate und gute Raumluftqualität in Kombination mit einer hohen energetischen Effizienz des Lüftungssystems die Relation zwischen geldwertem Produktivitätsgewinn und Investment auf bis zu 80 gesteigert werden, äquivalent etwa 500 Euro/(Pers. a). Offen sei, wie „Produktivität“ konkret geplant und gegenüber dem späteren Nutzer auch garantiert werden könne. Meist werde die Produktivität eines Gebäudes erst im Nachhinein durch Befragung und die Auswertung von Krankheits- und Fehlzeiten erhoben. Ein erster Ansatz für die Planung produktiver Arbeitsplätze liefert der REHVA-Führer Nr. 6 „Indoor Climate and Productivity in Offices – How to integrate productivity in life-cycle cost analysis of building services“ (siehe: http://www.rehva.com, „Bookstore“).

Geruchslast minimieren

Nach wie vor als belastend für die Raumluftqualität werden die Ausdünstungen aus Bau- und Ausbaustoffen, aus Teppichböden, aber auch die Geruchsabgabe von Luftfiltern und verschmutzten Luftverteilsystemen eingeschätzt. In Dänemark und Finnland wird derzeit an einer Baustoffdatenbank gearbeitet, die Anhaltswerte über das Emissionsverhalten von Baustoffen liefere, so Bjarne Olesen von der Technischen Universität in Lyngby/Dänemark. Wichtig sei, dass Luftfilter nicht nur die Geräte vor Verschmutzung schützen, sondern auch das nachgeschaltete Luftverteilsystem. Weiter im Fokus der Behaglichkeits- und Hygieneforscher liegen deshalb die Luftfilter und deren Hygieneverhalten.

Untersuchungen an der Technischen Universität von Dänemark hätten gezeigt, dass chemische Reaktionen im Filterkuchen, ausgelöst unter anderem durch atmosphärisches Ozon in der Zuluft, zu geruchsintensiven Zerfallsprodukten führen. Im schlimmsten Fall könne die zugeführte Raumluft schlechter sein als die angesaugte Außenluft. Auch beim Hermann-Rietschel-Institut der Technischen Universität Berlin liegen Ergebnisse über die Reaktion von Ozon aus Luftreinigern mit Bau-/Ausbaumaterialien vor. Hierbei kam es zu einem Anstieg von Aldehyden und damit zu neuen Geruchsstoffen, die erst nach dem Filter aufgetreten sind1).

TAB-Systeme weiter im Aufwind

Nach den Zielvorstellungen des US-Ingenieurverbands ASHRAE könnte der spezifische Energieverbrauch von Gebäuden ab 2010 von dann 113 kWh/(m2 a) ab 2028 auf 15 kWh/(m2 a) und im Jahr 2031 auf Null (dann externer Energiebezug) sinken. Das Thema Low-Exergy-Heiz-/Kühlsysteme nahm deshalb auch in Helsinki einen breiten Raum ein, angefangen bei Niedertemperatur-Flächenheizsystemen über Erdwärmepumpen bis hin zu so genannten Hochtemperatur-Kühlsystemen, wie Betonkernaktivierung, Kühldecken, Kühlbalken und Quelllüftung. Wichtig sei, Wärme und Kälte auf niedrigem Niveau zur Verfügung zu stellen und Übertemperaturen bei der Wärme-/Kälteerzeugung zu vermeiden sowie Medientemperaturen exakter zu regeln, z. B. mittels PI-Reglern anstatt mit Standard-Thermostatventilen.

Da der Heizwärmebedarf immer geringer werde, die Komfortansprüche und die innere ­Wärmelast von Gebäuden aber weiterhin stiegen, müsse künftig der Gebäudeklimatisierung bzw. der Kühlung von Bauteilen eine größere Aufmerksamkeit zukommen. Eindeutige Trendsetter seien hier so genannte TABS, thermoaktive Gebäude­systeme, die sowohl im Heizfall wie auch im Kühlfall einen hohen Selbstreguliereffekt aufwiesen. Wegen des geringen Temperaturhubs seien die TAB-Systeme ideal zur Einkoppelung regenerativ erzeugter Wärme (Solarthermie) und Kälte (Nachtkälte, Geothermie, Verdunstungskühlung). Durch den Normentwurf EN 15377, „Heizsysteme in Gebäuden, Planung von eingebetteten Flächenheiz- und -Kühlsystemen mit Wasser als Kältemittel“, könnten jetzt auch der dynamische Effekt solcher Systeme und die daraus entstehenden Anforderungen an die Regelung stärker berücksichtigt werden, so Olesen in seinem Grundsatzvortrag.

Regelstrategie mit Wetterprognose

Die wahrscheinlich wirtschaftlichste und einfachste Art, Energie bei neuen wie auch vorhandenen Gebäuden einzusparen, ist die Aufschaltung der Wettervorhersage in ein in die Regelung eingebettetes Gebäudesimulationsmodell. Hans Kranz, der in Helsinki einen Grundsatzvortrag über integrierte Gebäudeautomationssysteme hielt, empfahl den Fachplanern, die in BACnet-Systemen bereits vorhandene bzw. einfach generierbare Datenbasis für die Wetterprognose-Regelung zu nutzen.

Die vortragenden Wissenschaftler waren sich darin einig, dass durch Vorheizen bzw. Vorkühlen aufgrund von Wetterprognosen unter Ausnutzung der Gebäudespeichermasse sowie den zulässigen Bandbreiten bei den Raumtemperaturen bis zu 30 % an Energie eingespart werden könnte. Da mit dieser Regelstrategie auch elektrische Lastspitzen geglättet und damit teurer Spitzenstrom vermieden werden kann, dürfte die Energiekosteneinsparung nochmals höher liegen.

Weitere energetische wie auch wirtschaftliche Optimierungsmöglichkeiten durch Wetterdaten und Wetterprognose sehen die Wissenschaftler in der Einbindung von Photovoltaik-Systemen, BHKW, Stromspeicherung über Batterien sowie Wärme-/Kältespeicherung. Auch Sonnenschutzeinrichtungen für Fenster und Atrien lassen sich vorausschauend dem künftigen Wettergeschehen anpassen, z.B. wenn eine Kaltfront angekündigt ist. Ebenso könnte der Einsatz von Freikühleinrichtungen und geothermischen Speichern mittels Wettervorhersage gebäudespezifischer eingesetzt werden. Zusätzlich ließen sich in einer Regelmatrix Tarifinformationen hinterlegen, um Strombezüge zu Hoch- bzw. Höchstlastzeiten sicher zu vermeiden.

Nach Untersuchungen von Jürg Tödtli, Siemens Building Technologies, Zug/Schweiz, ­eigenen sich insbesondere Gebäude mit Betonkerntemperierung für eine so genannte Forcast-Regelung mittels Wetterdaten. Nach den Erfahrungen von Mika Vuolle, Helsinki University of Technology, bedarf es bei der Regelung nach der vorausgesagten Wetterentwicklung jedoch weiterer Messpunkte mit aktuellen Gebäudedaten. Ein rein auf die Planung gestütztes Simulationsmodell sei nicht ausreichend. Matti Lyyra von Vaisala, Finnland, Hersteller eines Wetterdatentransmitters, berichtete, dass der Lastgang eines Gebäudes zu rund 35 % durch das Wetter bestimmt werde. Eines der umfassendsten Forschungsprojekte über die Nutzung der Wettervorhersage in Gebäudeautomationssystemen läuft derzeit unter der Bezeichnung „Opticontrol“ in der Schweiz. Teilnehmer sind die ETH Zürich, die EMPA Dübendorf, Meteo Swiss sowie Siemens Building Technologies (SBT), Zug.

Weltweites Interesse an Mikro-KWK

Auch wenn das Thema Mikro-KWK nicht ­unmittelbar dem eigentlichen Kongressthema „WellBeing Indoors“ entspricht, so wurde der Kraft-Wärme-Kopplung im häuslichen Bereich auf der Veranstaltung eine große Bedeutung bei­gemessen. Die Marktakzeptanz der Kraftzwerge ist nach Auffassung der Wissenschaftler stark von politischen Weichenstellungen und von der Beweglichkeit und Kooperationsbereitschaft der EVU abhängig. Wichtig seien den Markt fördernde Einspeisevergütungen für die in Kleinstanlagen produzierten Stromüberschüsse sowie ein Bekenntnis der EVU, einen Teil der abgängigen Kraftwerks­kapazitäten durch Kleinstkraftwerke mit Verbrennungsmotor, Stirlingmotor oder Brennstoffzelle zu ersetzen.

Zumindest in der ersten Marktphase sei es sinnvoll, dass die Geräte in großen Stückzahlen von den Energieversorgern gekauft und beim ­Kunden aufgestellt werden. Nur so seien eine schnelle Markteinführung, sinkende Herstellungspreise sowie eine Verbesserung der Energieeffi­zienz zugunsten eines höheren elektrischen Wirkungsgrads möglich. Allgemein beurteilten die Wissenschaftler Klein-BHKW energieeffizienter als die Mikro-KWK, deren obere Leistungsgrenze bei etwa 20 kW thermisch liegt. Deshalb seien noch einige Anstrengungen notwendig, insbesondere bei Stirlingmotor-KWK, das Strom-Wärme-Leistungsverhältnis zu verbessern. Nur so könne der Wärme- und Strombedarf eines Hauses ohne ­Betriebsunterbrechungen abgedeckt werden.

Eine positive Wirkung auf eine möglichst gleichmäßige Erzeugung von Wärme und Strom versprechen sich die Wissenschaftler von der Koppelung mit einem Last- bzw. Energiemanagementsystem bzw. von der Einbindung des Mikro-KWK in ein virtuelles Kraftwerk. Damit könnten die ­dezentralen Kleinst-Kraftwerke auch zur Ab­deckung von Spitzenstrom im öffentlichen Stromnetz herangezogen werden. Wichtig seien die ­Glättung von Lastspitzen im Haushalt und die Verschiebung des Betriebs von Geschirrspüler und Waschmaschine, ggf. (kurzzeitig) auch von Kühl- und Gefriergeräten, in lastarme Zeiten.

Fazit der Wissenschaftler: Die Wirtschaftlichkeit von Mikro-KWK steigt bei möglichst gleichmäßiger und kontinuierlicher Auslastung. Weniger gut gedämmte Altbauten eignen sich offenbar eher für ein Mikro-KWK als ein sehr gut wärmegedämmtes Haus. Mittelfristig werden Hochtemperatur-Brennstoffzellen-Heizgeräte wegen ihres höheren elektrischen Wirkungsgrads als günstiger für den Einsatz in Ein- und Zweifamilienhäusern eingeschätzt als beispielsweise Stirlingmotor-Aggregate. Um die Wirtschaftlichkeit von Mikro-KWK abzusichern, müssten elektrische Wirkungsgrade zwischen 50 und 60 % angestrebt werden. Spätestens im Jahr 2020 sollten die Kosten je installiertes kWel bei 1500 bis 2000 Euro liegen.

Mikro-KWK spart Primärenergie

In jedem Fall wird der Regelung und Steuerung von Mikro-KWK künftig eine große Bedeutung beigemessen. Nach Untersuchungen von SBT lassen sich mit einem optimal dimensionierten Stirlingmotor-Mikro-KWK – im Vergleich zu einem Gas-Heizgerät und einem (sehr guten) Kraftwerk mit 56 % elektrischem Wirkungsgrad – bereits mit heutiger Technik rund 20 bis 25 % an Primärenergie bzw. CO2 einsparen. Wichtig für die Markteinführung und damit die Akzeptanz durch den Verbraucher seien allerdings attraktive Tarife für den eingespeisten Strom, so Dr. Conrad Gähler von SBT (siehe auch Seite 35). Ohne den Anreiz „Rückspeisevergütung“ seien Mikro-KWK kaum wirtschaftlich zu betreiben und damit für den Nutzer uninteressant. Dies bestätigen auch die Diskus­sionen in den Workshops. Positiv sei, so die Wissenschaftler, dass inzwischen weltweit viele Regierungen die Vorteile von Mikro-KWK für das Erreichen ihrer Klimaziele und zur Umsetzung der Kyoto-Verpflichtungen erkannt hätten.

Fazit

Die einseitige Optimierung eines Gebäudes rein nach Energiesparkriterien kann bei den Nutzern negative Auswirkungen auf Wohlbefinden und Produktivität auslösen. Wissenschaftler fordern deshalb eine Überarbeitung der EPBD. Wer gebäudetechnische Anlagen sich selbst überlässt, muss mit einem Ansteigen des Energieverbrauchs um bis zu 330 % rechnen. Für Gebäude mit Betonkerntemperierung sind derzeit Regelungskonzepte mit Wetterprognosen-Aufschaltung in Erprobung, die gegenüber rein witterungsgeführten Regelungen den Energieverbrauch um bis zu 30 % senken können. Im Ein- und Zweifamilienhaus soll künftig die Strom erzeugende Heizung mittels Stirlingmotor-Aggregat das klassische Heizgerät ablösen. Anreiz zum Einbau solcher Mikro-KWK sind Primärenergieeinsparungen von 20 bis 25 % sowie Erlöse aus der Einspeisung selbst erzeugten Stroms in das öffentliche Netz.

1) Olaf Zeidler, Arne Dahms, Dirk Müller: Effects of Ionisation Air Purifiers on Indoor Air Quality. Proceedings of Clima 2007 WellBeing Indoors. Helsinki/Hermann-Rietschel-Institut an der TU Berlin, 2007

» 30 bis 70 % Energieeinsparung lassen sich mit optimaler Gebäudetechnik erreichen, ohne Wohlbefinden und Produktivität einzuschränken.«

» Auf Wetterprognosen gestütztes Vortemperieren und die Ausnutzung zulässiger Bandbreiten der Raumtemperatur kann bis zu 30 % Energie sparen.«

» Mit optimaler Raumklimatik kann die Relation zwischen Produktivitätsgewinn und erforderlichem Investment auf bis zu 80 gesteigert werden.«

Wolfgang Schmid

ist Fachjournalist für Technische Gebäudeausrüstung, München, E-Mail: wsm@netsurf.de

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