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Trinkwasserhygiene

Prävention statt Reaktion

Stagnationsproblem visualisiert: Ausschwemmung von ­eingefärbtem Wasser aus einer Stichleitung in die Steigleitung (Versuchsaufbau im Geberit Informationszentrum Langenfeld). - Geberit - © Geberit
Stagnationsproblem visualisiert: Ausschwemmung von ­eingefärbtem Wasser aus einer Stichleitung in die Steigleitung (Versuchsaufbau im Geberit Informationszentrum Langenfeld). - Geberit

Trinkwasseranlagen müssen so geplant, installiert und betrieben werden, dass dauerhaft eine hohe Wasserqualität sichergestellt ist. Denn laut Trinkwasserverordnung ist Trinkwasser generell „Wasser für den menschlichen Gebrauch“. In der Verordnung genau spezifizierte Anforderungen an den Wasserentnahmestellen sind vom Betreiber des Systems einzuhalten. Der dazu erforderliche, bestimmungsgemäße Betrieb mit regelmäßiger Benutzung (Durchspülung) ist in der Praxis aber selten abgesichert, zumal sich die Regelwerke bisher vorrangig an technisch-hygienischen Belangen und weniger an den Problemen der Betreiber orientiert haben.

Selbst wenn Planung und Ausführung alle ­Regelwerke sorgfältig beachtet haben, das Schutzziel „Trinkwasserhygiene“ wird meistens nicht ohne zusätzliche Maßnahmen erreicht: Von der bei der Auslegung unterstellten Normnutzung wird später mehr oder weniger deutlich abge­wichen. Stagnation mit all ihren negativen Folgen ist deswegen heute in gering ausgelasteten Hotels, in größeren Wohngebäuden, Pflegeheimen sowie Schulen und anderen Einrichtungen mit längeren Betriebsunterbrechungen an der Tagesordnung. Es sei denn, der Betreiber engagiert sich aufgrund einer erkannten Abweichung zwischen Auslegung und Nutzung freiwillig oder nach festgestellten Problemen gezwungenermaßen. Aber auch in ­nahezu jedem Einfamilienhaus wird man Teil­bereiche mit Stagnation lokalisieren können: Die oft wochenlang nicht benutzte Gartenzapfstelle, ein „Füllanschluss“ für die Heizungsanlage mit langer Zuleitung, selten benutzte Gästetoiletten, Reserveanschlüsse für noch nicht verwirklichte oder längst aufgegebene Ausbauträume.

Neue Lösungen erforderlich

Die Beispiele zeigen: Will man die Probleme in den Griff bekommen oder beim Neubau schon im Vorfeld ausräumen, ist eine gegenüber dem Stand der Praxis und der Technik erweiterte (erneuerte) Vorgehensweise unumgänglich. Zum einen müssen Trinkwasserinstallationen intelligenter konzipiert werden, zum anderen muss gewährleistet werden, dass in allen Leitungsabschnitten ein regelmäßiger Wasserwechsel erfolgt (Bild 2), notfalls auch mit Verwurf des Wassers. Der bereits heute in hochwertigen elektronischen Entnahmearmaturen integrierte Zwangsablauf kann dabei unterstützen, wäre aber aufgrund des Wasserverlusts bei einer flächendeckenden Ausstattung unnötig teuer.

Neue Lösungen hat zur ISH der Armaturenhersteller Kemper vorgestellt, der mit seinem „Kemper Hygienesystem für Kaltwasser (KHS)“ in die Offensive gegangen ist. KHS kann mit präventiven Maßnahmen die Trinkwasserhygiene verbessern bzw. die Grundbedingungen für einen normkonformen Betrieb einer Trinkwasseranlage gewährleisten. Erreicht wird dies in einer Kombination von Spülen und Zwangsdurchströmen. Stagnation und unzulässige Temperaturen im Kaltwassernetz – im Regelfall unter 20 °C und im Ausnahmefall maximal 25°C – sollen so ausgeschlossen werden.

Venturi-Strömungsteiler

Kernstück von KHS ist ein Venturi-Strömungsteiler, der als T-Stück-Ersatz eine Ringleitung an einen Strang anschließt (Bild 1). Erfolgt im ­weiteren Verlauf des Strangs eine Kaltwasser­entnahme, sorgt die Druckdifferenz der integrierten Venturidüse zwischen der Zu- und Rückleitung für eine Zwangsdurchströmung in der angeschlossenen Ringleitung. Kemper gibt an, dass dabei ca. 5…10 % des Volumenstroms durch den eingeschliffenen Abnehmerkreis mit einer oder mehreren Entnahmestellen gesaugt werden. Die im Strömungsteiler wirksame Druckdifferenz liegt typischerweise bei etwa 30 bis 50 mbar. Eingesetzt werden kann der Venturi-Strömungsteiler bis zu zehnmal in Serie bei Stichleitungen (z.B. Gartenzapfstelle, Heizungsfüllanschluss, Waschmaschinenanschluss, Ausgussbecken etc.) sowie bei Sanitärräumen in Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen, Hotels, Wohnheimen usw. Allerdings darf im Abnehmerkreis keine Verbrauchsmessung erfolgen.

Um bei allen Betriebsbedingungen (Belegungssituationen) einen ständigen Wasseraustausch zu gewährleisten, werden jeweils am Ende der Versorgungsleitung noch so genannte Hygie­nespüleinrichtungen empfohlen. Die Spülungen können zeit-, volumenstrom- und temperaturgesteuert ausgelöst werden. Das während des Spülvorgangs austretende Wasser kann aufgefangen und als Grauwasser zur WC-Spülung oder zur ­Gartenbewässerung verwendet werden.

Zwangsdurchspülung

Stagnation in bestehenden Anlagen in den Griff zu bekommen, ist um ein vielfaches schwieriger als bei Neuanlagen. Erste und zugleich wirkungsvollste Maßnahme bei bestehenden Anlagen ist die timergeführte Strangspülung (Bild 3). Schulen, Sportstätten und Hotels können so schnell und wirkungsvoll von stagnierendem Wasser in endständigen Leitungen befreit werden. Bei Feuerlöschleitungen im Bestand kann eine druckstoßfreie Spülung mit DVGW-zugelassenen Ventilen durchgeführt werden, wobei ein 20…50%iger ­Volumenstrom des Berechnungsdurchflusses in zu spülenden Leitungen bis DN 100 sichergestellt werden kann. Auch hier können die anfallenden Spülwassermengen aufgefangen und als Grauwasser verwendet werden.

Bei Großanlagen ist eine Spülung mit den Hygienespüleinheiten nicht mehr zielführend. Hier ist intelligente Ventiltechnik erforderlich. Bei KHS kann zwischen drei Betriebsarten gewählt werden. Der zeitgesteuerte Spülprozess des Trinkwassersystems erfolgt mittels vorgegebener Auslaufzeiten, beispielsweise max. fünf Spülintervalle über einen Tag oder individuelle Spülintervalle an verschiedenen Wochentagen über eine Woche. Der volumenstromgesteuerte Spülprozess des Trinkwassersystems erfolgt mittels vorgegebener Auslaufmengen, wenn das erforderliche Spülvolumen bekannt ist. Dazu stehen Durchflussmessarmaturen mit Messbereichen von 5…100 und 20…200 l/min zur Verfügung. Beim temperaturgesteuerten Spülprozess wird eine Kaltwasser-Referenztemperatur (beispielsweise am Hausanschluss) ständig mit mehreren Temperaturen an neuralgischen Positionen im Rohrsystem ver­glichen. Die Systemsteuerung löst eine Spülung aus, wenn die Temperaturdifferenz die vorgegebene Solltemperaturdifferenz überschreitet.

Softwareunterstützung

Kemper und Geberit haben zusammen mit Dendrit in Kooperation mit Prof. Bernd Rickmann, FH Münster, eine spezielle Simulationssoftware für Trinkwasser-(kalt)-Installationen erstellt (Bild 5). Sie kann komplexe Großprojekte mit Ringleitungssystemen, die in zwangsdurchströmten Sanitärräumen integriert sind, berechnen, simulieren und die erforderlichen Spülmengen und -zeiten ermitteln. Dadurch sind auch eine genaue Prognose der erforderlichen Spülwassermenge sowie Aussagen über die Wiederverwendung möglich.

Eine Dokumentation der Stagnation verhindernden Maßnahmen wird durch ein automatisch erstelltes Entnahmeprotokoll („Spülprotokoll“) sichergestellt. Die Ergebnisse aus der Berechnung und ­Simulation werden in die Parametriersoftware (Bild 6) des Spülprogramms „KHS-Logic“ eingelesen. Mit der Software werden die automatisierten Spülprozesse zeit-, tempe­ratur- oder volumenstrom­gesteuert programmiert und die Armaturen des Hygiene­systems angesteuert.

Jochen Vorländer

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