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Klimaschutzstrategie

„Der Letzte zahlt die Zeche“

Klaus Jesse: „Die Heizungsindustrie führt keinen Abwehrkampf, wie es beispielsweise die Automobilindustrie macht, die erst auf politischen Druck reagiert. Beim Klimaschutz ist die Heizungsindustrie der agierende Problemlöser.“ - Vaillant - © Vaillant
Klaus Jesse: „Die Heizungsindustrie führt keinen Abwehrkampf, wie es beispielsweise die Automobilindustrie macht, die erst auf politischen Druck reagiert. Beim Klimaschutz ist die Heizungsindustrie der agierende Problemlöser.“ - Vaillant

TGA: Herr Jesse, wie bewerten Sie/der BDH die derzeitige Berichterstattung über das Thema Klimawandel?

Jesse: Wir sehen jeden Tag in den Medien, dass es sich beim Klimaschutz um ein hoch aktuelles, politisches und lange nicht mehr nur rein fachliches Thema handelt. Kaum jemand verleugnet noch ernsthaft, dass sich unser Klima ändert, und dass die Veränderung durch den Menschen verursacht wird.

Die derzeitige politische Diskussion führt allerdings in mancher Hinsicht nicht in diese Richtung, da einige Vorschläge den Investor oder Haus­eigentümer eher abschrecken als ermutigen, in effiziente Technik zu investieren. Im Gebäude werden mehr als ein Drittel der Primärenergie in Deutschland in Wärme umgewandelt. Eine Senkung dieses Verbrauchs kann auf vergleichsweise einfache Weise erreicht werden. Dieses Thema ist im Bewusstsein der Menschen jedoch noch nicht so verankert wie es notwendig wäre. Denn beim Thema Energiesparen denken die meisten daran, den Thermostat noch weiter nach unten zu drehen – ohne zu berücksichtigen, dass im Keller ein 20 oder 30 Jahre alter Wärmeerzeuger steht, der in keinster Weise mehr dem Stand der Technik entspricht. Anders als zum Beispiel die Automobilbranche führen wir keinen Abwehrkampf und reagieren erst auf politischen Druck, beispielsweise mit neuen Technologien zur Abgasreduzierung. Die Heizungsindustrie ist hier der agierende Problemlöser.

TGA: Womit lassen sich Ihrer Ansicht nach am effektivsten CO2-Emissionen reduzieren?

Jesse: Wir müssen den Bestand von 17 Mio. Heizungsanlagen modernisieren. Das ist der Schlüssel zu effektivem Klimaschutz, Ressourcenschonung und Energiekosteneinsparung. Stelle ich Kosten, Amortisationszeit und CO2-Einsparung gegenüber, ist die Investition in ein neues Heizgerät immer die kostengünstigste Variante mit der schnellsten Amortisationszeit und der höchsten CO2-Reduzierung. Der Einsatz moderner Brennwerttechnik für Öl und Gas sowie solarthermische Anlagen ist im Bereich der Modernisierung sicher ein effizienter und effektiver Schritt. Und natürlich muss auch der Wärmebedarf in bestehenden ­Gebäuden gesenkt werden.

TGA: Obwohl diese Argumente einleuchten, sprechen Sie natürlich für die Interessen der Heizungsindustrie…

Jesse: Das stimmt, dadurch wird die Aussage aber nicht unrichtig. Das ist nicht nur unsere Meinung, sondern wird auch in zahlreichen Studien untermauert. Zum Beispiel in der aktuellen Untersuchung „Verdopplung des Modernisierungstempos bis 2020“ von Prof. Manfred Kleemann werden die­se Aussagen von wissenschaftlicher Seite aus klar unterstützt. Die derzeitige Situation beim Solarabsatz zeigt deutlich, dass ohne Modernisierung bei Wärmeerzeugern auch keine Solaranlagen eingebaut werden. Wir brauchen aber beides – sowohl die Modernisierung des Heizgerätebestands als auch die Ergänzung um regenerative Energieträger – und damit den breiten Mix aller technischen Möglichkeiten, um die ambitionierten Ziele zur CO2-Reduzierung erreichen zu können. Der Anstoß – auch für die Nutzung von regenerativen Energien – kommt mit der Modernisierung der bestehenden Anlagen.

TGA: Würden Sie an dieser Stelle auch eine Brennwertpflicht bei Neubau und Modernisierung befürworten?

Jesse: Wir erwarten von der Politik, dass sie energiepolitische Ziele formuliert. Was wir nicht wollen sind Ge- und Verbote. Durch die angedachte Verschärfung der EnEV haben wir im Prinzip ein Brennwertgebot. Der Verbraucher benötigt jetzt Sicherheit und Verlässlichkeit in politische Rahmenbedingungen, damit er Vertrauen bekommt. Wenn eine Förderung plötzlich wegen leerer Kassen eingestellt und kurz darauf wieder initiiert und sogar noch erhöht wird, bringt das nur Unruhe und Verunsicherung in einen ohnehin schon sehr volatilen Markt.

TGA: Wie passen Bioerdgas und Bioöl in dieses Konzept?

Jesse: Aus dem politischen Raum heißt es oft, dass wir weg müssen von den fossilen Energieträgern Öl und Gas. Ich halte diese Aussage für kontraproduktiv und zu einfach. Wir werden es so nicht schaffen, Endgebraucher von den Vorteilen einer effizienteren neuen Gas- oder Öl-Brennwertheizung zu überzeugen – mit dem fatalen Effekt, dass völlig veraltete Wärmeerzeuger weiterhin in Betrieb bleiben, viel zu viel Energie verbrauchen und CO2 an die Umwelt abgeben. Selbstverständlich können wir uns langfristig nicht alleine auf fossile Energieträger stützen. Wir haben als Hersteller schon seit vielen Jahren empfohlen, gleichzeitig auf regenerative Energieträger zu setzen. Nur mit der Doppelstrategie Energieeffizienz und Erneuerbare Energien lassen sich die Ziele ­erreichen.

Gleichzeitig arbeiten sowohl Gas- als auch ­Ölwirtschaft mit Hochdruck daran, nachwachsende Rohstoffe in Form von Bioöl und Bioerdgas in die Netze einzuspeisen bzw. dem ­Energieträger beizumischen. Insofern werden wir auch in Zukunft flüssige und gasförmige Energie­träger im Haushalt einsetzen. Die moderne Gerätetechnik ist schon heute in der Lage, diese zu nutzen.

TGA: In einer aktuellen Studie von A. T. Kearney1) wird der zentralen Energie­versorgung keine langfristige Zukunft ­attestiert. Sollten die Verbraucher also nicht eher noch einige Jahre warten und dann in eine Brennstoffzelle investieren?

Jesse: Derzeit ist noch völlig ungewiss, wann die Brennstoffzelle die Marktreife erreicht. Unsere Feldtests der letzten Jahre haben uns gezeigt, dass noch einiges an Arbeit vor uns liegt. Eine Investition in eine neue Gas- oder Öl-Brennwert-Anlage zahlt sich häufig schon nach fünf bis sechs Jahren aus, dies sind überschaubare Zeitspannen. Die Brennstoffzelle ist davon noch weit entfernt. Deshalb hat Vaillant neben den Brennstoffzellen-Aktivitäten auch in die konventionelle Mikro-Kraft-Wärmekopplung investiert. Wir glauben an die dezentrale Kraft-Wärme-Kopplung. Eine Mikro-KWK-Anlage wird im Übrigen immer einen Wärmeerzeuger zur Spitzenlastabdeckung benötigen, so dass auch deswegen ein Abwarten nicht geboten ist.

TGA: Die Verbraucher sind heute aber verunsichert. Planer und Fachhandwerk spüren dies genauso wie die Hersteller. Was können Planer und Fachhandwerker ihren Kunden sagen, wenn sie ihn fragen, was sie bei einer Investition in einen neuen Wärmeerzeuger jetzt falsch machen können?

Jesse: Tatsächlich ist das die Frage vieler Endgebraucher. Die Gründe dafür habe ich angeführt. Deswegen muss die Antwort in dem Kontext „was macht man alles richtig, wenn man jetzt investiert“ stehen. Eine Universallösung gibt es nicht, aber es ist ja gerade die Stärke unserer Partner im Markt, die besonderen Umstände jeder Anlage und jedes Kunden individuell berücksichtigen zu können und da bieten sich vielfältige Möglichkeiten von Gas- über Öl-Brennwert und Solar, Wärmepumpe, Mikro-KWK bis hin zur Pellet-Heizkesselanlage.

TGA: Der Klimawandel macht an den Grenzen nicht halt. Halten Sie es für richtig, dass wir in Deutschland immer strengere Gesetze und Verordnungen haben, die den CO2-Ausstoß reduzieren sollen, während aufstrebende Industrienationen hier ganz anders reagieren? Könnte dies für Deutschland ein Wettbewerbsnachteil auf den internationalen Märkten werden?

Jesse: Diese Entwicklung ist in Deutschland keine neue Thematik. Im Gegenteil: In Deutschland haben wir durch strenge Richtlinien immer schon Technik und Innovation gefördert. Ein Beispiel dafür ist die NOX-Reduktion der zurückliegenden Jahre. Das alles hat die deutsche Heiztechnikbranche angetrieben und ihr unter anderem die führende Rolle in der Welt eingebracht. Heute wird die beste Heiztechnik der Welt in Deutschland entwickelt und produziert. Jetzt müssen wir natürlich darauf achten, in Deutschland keine Mikrooptimierung vorzunehmen – während sich die wirklichen Baustellen in ganz anderen Ländern befinden, in denen mit viel weniger Mitteln viel mehr erreicht werden kann und die CO2-Belastung dann weltweit nachhaltig sinkt. Die deutsche Heizungsindustrie nutzt die Chancen und exportiert effiziente Technik in diese Länder.

TGA: Vielen Dank für das Gespräch Herr Jesse.

1) http://www.atkearney.de

» Die derzeitige Situation beim Solarabsatz zeigt, dass ohne Modernisierung bei Wärmeerzeugern auch keine Solaranlagen eingebaut werden.«

» Wir erwarten von der Politik, dass sie energie­politische Ziele formuliert. Der Verbraucher ­benötigt verlässliche politische Rahmenbedingungen.«

» Beim Thema Energiesparen denken viele daran, den Thermostat noch weiter nach unten zu ­drehen und nicht an den veralteten Wärmeerzeuger.«

Klaus Jesse:

„In Deutschland haben wir durch strenge Richtlinien schon immer Technik und Innovation gefördert. Das hat der deutschen Heiztechnikbranche u.a. die führende Rolle in der Welt eingebracht.“" class="chapter-heading">

Klaus Jesse:

„In Deutschland haben wir durch strenge Richtlinien schon immer Technik und Innovation gefördert. Das hat der deutschen Heiztechnikbranche u.a. die führende Rolle in der Welt eingebracht.“

© Vaillant

Klaus Jesse:

„Gas- und Ölwirtschaft arbeiten mit Hochdruck an der Einspeisung bzw. Beimischung von Bioöl und -erdgas. Auch in Zukunft werden wir flüssige und gasförmige Energie­träger im Haushalt einsetzen.“" class="chapter-heading">

Klaus Jesse:

„Gas- und Ölwirtschaft arbeiten mit Hochdruck an der Einspeisung bzw. Beimischung von Bioöl und -erdgas. Auch in Zukunft werden wir flüssige und gasförmige Energie­träger im Haushalt einsetzen.“

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Zur BDH-Kleemann-Studie

Unter dem Titel „Verdopplung des Modernisierungstempos bis 2020 – Minderungsziel 30 % Energieeinsparung“ analysierte Prof. Manfred Kleemann vom Beratungsbüro Energie und Umwelt, vormals Forschungszentrum Jülich, den Markt und seine Potenziale zur Reduzierung von CO2-Emissionen. Empfohlen werden hier letztendlich zwei Leuchtturmprojekte:

Leuchtturmprojekt 1: (Einsparung kann sofort beginnen)

• Verdopplung des Brennwertkessel-Anteils, kombiniert mit Solaranlagen• Verdopplung des Einsatzes der erneuerbaren Energien Biomasse, Solarthermie und Umweltwärme vor 2020• Verdopplung der Potenzialausnutzung bei der energetischen Modernisierung der Gebäudehülle

Leuchtturmprojekt 2: (Einsparung mittelfristig umsetzbar)

• Steigerung des Anteils der mit Bioölen beheizbaren Öl-Brennwertkessel, basierend auf einer Bioöl-Beimischung von 5 %.• Vergrößerung des Anteils der mit Biogas beheizbaren Gas-Brennwertkessel, basierend auf einer Biogas-Einspeisung von 10 %• Innovative Anlagentechnologien für morgen

In verschiedenen Szenarien werden die CO2-Minderungspotenziale in einem Zeithorizont von 1990 bis 2020 bewertet. Wird die derzeitige Entwicklung der Modernisierung von Wärmeerzeugern, der Nutzung regenerativer Energien und der Modernisierung der Gebäudehülle zugrunde gelegt, ergibt sich bis 2020 ein um 12,1 % reduzierter CO2-Ausstoß. Wird der Anteil an Brennwert-Heizgeräten plus Solarthermie verdoppelt, ergeben sich hier bereits 18,1 %. Die Verbesserung der Potenzialausnutzung bei der Modernisierung der Gebäudehülle erreicht 17,5 %, die Verdopplung des Einsatzes erneuerbarer Energien bereits 26,3 %. Werden die oben genannten Leuchtturm-Szenarien zusammengefasst, ergibt sich das gewünschte Ziel: Die CO2-Emissionen werden um 34 % verringert.

Betrachtet man den aktuellen Zeitraum von 2007 bis 2020 verringern sich die Einsparungen wegen des kürzeren Zeitraums um einige Prozentpunkte. Von 1990 bis 2006 sind nach Aussagen von Kleemann nur wenige Prozentpunkte Einsparung erreicht worden. Als Ursache wurde der Moder­nisierungsstau identifiziert. Zur Auflösung empfiehlt Kleemann ein Bündel an ordnungsrechtlichen Maßnahmen gepaart mit politischen Impulsen, monetären Maßnahmen, eine Intensivierung der ­Kommunikation bis zum Endverbraucher sowie Selbstverpflichtungen der Industrie und die Bildung lokaler Zentren / Kompetenznetze.

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