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Sönke Reinhard über die TGA beim Süddeutschen Verlag

“Energiekonzept war harte Nuss“

Schmid: Herr Reinhard, was waren die größten Herausforderungen bei der Planung der gebäudetechnischen Anlagen der neuen Konzernzentrale des Süddeutschen Verlags?

Reinhard: Das Energiekonzept für das Gebäude war eine harte Nuss, zumal die von uns ­angedachten Alternativen, zum Beispiel Kraft-Wärme-Kälte-Kopplung mit Absorptionskälte­maschine, alternativ Adsorptionskältemaschine, am Veto der Stadtwerke München scheiterten. Aus nicht nachvollziehbaren Gründen gibt es in diesem Stadtteil eine Anschlusspflicht für Fernwärme, obwohl die Gasleitung auf dem Grundstück neben dem Gebäude liegt und die Fernwärme erst über eine einen Kilometer lange Fernleitung zum Gebäude gelegt werden musste. Ein angedachtes Rapsöl-BHKW ließ sich ebenfalls nicht durchsetzen. Wir wollten das Ganze als Pilotprojekt starten, mit Rapsanbau in der umliegenden Region. Die zweite große ­Herausforderung war natürlich die Raumlösung und zwar wegen der Vorgabe einer maximal ­möglichen Flexibilität in der Raumaufteilung und Raumnutzung. Innerhalb des Achsmaßes von 1,35 m musste alles umbaubar sein, wobei dafür ein relativ enger Kostenrahmen vorgesehen war.

Schmid: Wären die Kraft-Wärme-KälteLösungen wirtschaftlich darstellbar gewesen?

Reinhard: Ja. Die Rapsöl-Lösung sogar noch besser als das Erdgas-BHKW.

Schmid: Der Bauherr hat sich für ein geo­thermisches Energiekonzept entschieden. Wie genau lässt sich ein geothermisches Wärme-/Kälte-Energiekonzept mit saisonalem Wärme- und Kältespeicher vorausberechnen? Welche Unsicherheiten muss man berück­sichtigen?

Reinhard: Man kann sehr viel vorausberechnen, insbesondere, wenn man sich auf ein geo­logisches Gutachten stützen kann. Wir hatten die Ergebnisse von 60 verschiedenen Bohrungen, um die Grundwasserströme bzw. Speicherfähigkeit des Erdreichs hochzurechnen. Die Erkenntnisse aus Gutachten können sich jedoch ver­schieben, wenn beispielsweise in der Nähe des geothermischen Speichers zu einem späteren Zeitpunkt eine Grundwassernutzung zugelassen wird. Man muss bei einem Projekt dieser Größe auch solche späten Eingriffe mit einkalkulieren.

Schmid: Bis jetzt scheint die Energiebilanz im Erdreich noch nicht optimal austariert zu sein. Der Betreiber klagt, die Anlagen laufen noch nicht optimal.

Reinhard: Wir sind noch in der Einregulierungsphase. Das Ensemble wurde im August 2008 in Betrieb genommen und zu diesem Zeitpunkt war noch kein echter Regelbetrieb im Gebäude möglich. Die eigentliche Regelperiode begann erst im Sommer 2009, mit recht zufriedenstellenden Ergebnissen. Erst jetzt beginnt das Aktivieren der Zusatzfunktionen, um das Gebäude noch besser auszuregeln. Die Abstimmung von Geothermie­anlage, Speicherbewirtschaftung des Erdreichs und Gebäudetemperierung über Betonkernaktivierung ist ein längerer Prozess.

Schmid: Inwieweit lässt sich in einem energetisch hochoptimierten Gebäude eine 26-°C-Raumtemperaturgrenze vertraglich einhalten?

Reinhard: Unser Ziel ist die Einhaltung der 26-°C-Grenze, aber nicht um jeden Preis. Rein rechnerisch halten wir die Temperatur von 26 °C bis auf etwa zwei Stunden pro Jahr ein; das ist vernachlässigbar. Bei einer sehr langen Schönwetterperiode mit weit über Norm liegenden Außentemperaturen müssen wir jedoch damit rechnen, dass sich höhere Raumtemperaturen einstellen. Juristisch betrachtet ist das Gebäude natürlich be- und entlüftet, sodass ­Temperaturabweichungen noch zulässig aber nicht gewünscht sind. Das „Bielefelder Urteil“ würde bei diesem Gebäude keine Anwendung finden.

Schmid: In den letzten Jahren entstanden Gebäude mit ähnlichen Energiekonzepten wie beim Neubau der Konzernzentrale des Süddeutschen Verlags. Entwickelt sich die Kombination aus ­geothermischer Wärmepumpe, Betonkernaktivierung und fassadennaher dezentraler Lüftung bei Hocheffizienzgebäuden zu einer Art Standard?

Reinhard: Das hier umgesetzte Energie- und Raumkonzept ist sehr stark auf und mit dem Nutzer abgestimmt und deshalb nicht unbedingt auf andere Gebäude übertragbar. Allerdings haben wir auch eine Nutzung durch Dritte in Teilen oder als Ganzes einkalkuliert. Ein Gebäudekonzept mit dezentraler Lüftung, öffenbaren Fenstern und Betonkerntemperierung macht nur einen Sinn, wenn sehr unterschiedliche Nutzungszeiten vorliegen, die über die üblichen Bürozeiten hinausgehen. Wir sind hier von Betriebszeiten von bis zu 22 Stunden pro Tag, sechs Tage die Woche, ausgegangen, allerdings mit stark wechselnder Nutzung der Räume. Eine Klimaanlage mit 100000 m3/h Nennluftmenge wäre hier sehr unwirtschaftlich. Dieses Gebäudekonzept auf ein Verwaltungsgebäude zu übertragen, wäre ebenfalls unwirtschaftlich, da dort innerhalb definierter Bürozeiten gearbeitet wird. Es käme allenfalls für einen global agierenden Mieter infrage, der in mehreren Schichten rund um die Uhr arbeitet. Wir sind bei unseren Gegenüberstellungen und Wirtschaftlichkeitsberechnungen auch davon ausgegangen, dass immer nur ein relativ kleiner Teil der dezentralen Lüftungsgeräte in Betrieb ist, auch in Hinblick auf die Wartung dieser Geräte. Die Anzahl der Betriebsstunden der einzelnen Geräte ist also vergleichsweise gering. Nur so rechnet sich die Mehrinvestition für das sehr ausgeklügelte Raumkonzept.

Schmid: Gebäude sollen künftig nicht nur Strom aus dem Netz beziehen, sondern auch einspeisen. Derzeit wird sehr viel über intelligente Stromzähler und intelligente Netze ­diskutiert, also die bidirektionale Nutzung der Stromnetze. Sind unsere Gebäude bzw. die Gebäudetechnik auf diese neue Technologie vorbereitet? Ist das noch Zukunftsmusik?

Reinhard: Wir denken bei neuen Projekten bereits an solche Konzepte, allerdings erst einmal innerhalb des Gebäudes. Energie-Balancing ist ein wichtiges Thema in der Gebäudetechnik, also das Verschieben von Energiepotenzialen in Form von Wärme oder Kälte an Stellen, an denen das angebotene Temperaturniveau genutzt werden kann. Das lässt sich heute gut simulieren. Bis Windräder und Photovoltaik wirtschaftlich sind und die Gebäude zum Kraftwerk mutieren, wird es noch einige Zeit dauern. Bei Windrädern in Wohn- und Gewerbegebieten sehe ich ohnehin große Hürden bei den Genehmigungsbehörden. Es wird sicher noch einige Jahre dauern, bis das Prinzip der Nachhaltigkeit auch in den Köpfen der Entscheider angelangt ist. Wir sollten also zunächst innerhalb von Gebäuden die vorhandenen Energiepotenziale nutzen, zum Beispiel zwischen Nord- und Südseite. Dazu eignet sich besonders die Betonkernaktivierung, aber auch thermisch aktivierte Fassaden- oder Brüstungselemente, die beispielsweise Wärme auf der Südseite aufnehmen und auf die Nordseite eines Gebäudes verschieben.

Schmid: Solche Konzepte werden ja durchaus schon praktiziert, oder sie sind nahe am Markt. Auf dem Papier werden derzeit viel exotischere Speicherkonzepte vorgestellt, zum Beispiel das Elektroauto als Stromspeicher zur Abdeckung der elektrischen Spitzenlast von Gebäuden. Haben solche Utopien Aussicht auf Erfolg?

Reinhard: Der Gedanke ist sehr reizvoll, aber wir müssen uns an das Thema erst noch heran­arbeiten. Die Frage ist, inwieweit – neben den technisch noch zu lösenden Herausforderungen der Speicherung – ein E-Car-Fahrer bereit ist, sein Fahrzeug als Stromspeicher zur Abdeckung von Lastspitzen zur Verfügung zu stellen. Dazu braucht man zunächst genauere Aufzeichnungen der Lastgänge von Gebäuden und verlässliche Daten über die Speicherkapazitäten von E-Cars. Ich halte das für eine tolle Idee, der man offen gegenüberstehen sollte.

Schmid: Vielen Dank für das Gespräch.

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