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Peter Fischer über die Rolle von BACnet

“Die Planer sind oft überfordert“

TGA: Herr Professor Fischer, was sind die größten Vorteile und Stärken von BACnet?

Fischer: Da sind zunächst die Unabhängigkeit von Herstellern und die Systemneutralität. Weitere Punkte sind die ständige Erweiterung des Standards für die Anbindung neuer Gewerke und die Konformitätstests der Produkte durch akkreditierte Prüflabore. Außerdem sind die BACnet-Objekte und -Dienste, die im Teil 5 des Standards DIN EN ISO 16484 beschrieben sind, gut abgestimmt auf den Teil 3 „Funktionen“ desselben Standards.

TGA: Und die größten Schwächstellen?

Fischer: Die Planer.

TGA: Warum sollte ein TGA-Planer seinen Auftraggebern zu einer Gebäudeautomation auf der Basis von BACnet raten?

Fischer: Er sollte seinen Auftraggebern überhaupt nicht zu BACnet raten. Dies ist seit Beginn der „offenen, herstellerneutralen Kommunikation“ mit FND und Profibus einer der großen Fehler, die leider auch heute immer noch begangen werden. BACnet ist – wie jedes andere Kommunikationssystem in der Gebäudeautomation (GA) – ein Werkzeug, wie ein Ventil oder ein Controller. Ein Bauherr sollte niemals einen Auftrag vergeben, weil in dem Gesamtsystem BACnet oder ein anderer Kommunikationsstandard benutzt wird. An erster Stelle muss immer die Frage stehen: Werden die Anforderungen erfüllt, die ich in meiner Ausschreibung stelle? Leider ist dann aber auch häufig der Planer überfordert, der zwar die Funktionen der GA kennt, aber über die Anforderungen an Kommunikationssysteme nur sehr wenig weiß und mit der Planung von Kommunikationsnetzen überfordert ist.

TGA: An BACnet wird seit fast 25 Jahren entwickelt. Trotzdem muss man noch heute für die Verbreitung des Datenprotokolls werben. Wann wird es zum Selbstläufer?

Fischer: Gibt es eine Werbung für BACnet? Es gibt Werbung für eine Mitgliedschaft in der BACnet Interest Group Europe – oder Werbung für Produkte, die BACnet als Kommunikationssystem integriert haben. Wie bereits vorher gesagt, es gibt keine BACnet-Systeme der Gebäudeautomation – außer bei mir im Labor, wo die Kommunikation zwischen Geräten über BACnet das Hauptthema für meine Studierenden ist – sondern nur GA-Systeme mit BACnet. Die Gebäudeautomation ist wichtig, nicht die Kommunikation.

TGA: Deutschland ist gebaut. Der Bestand ist somit auch für die Gebäudeautomation ein sehr wichtiger Markt. Ist eine Migration auf BACnet hier der richtige Ansatz?

Fischer: Alle großen Hersteller von GA-Systemen entwickeln ihre alten proprietären Kommunikationsprotokolle nicht weiter und sind auf offene Kommunikationsstandards umgestiegen. Bei Änderungen im Bestand findet ein gleitender Übergang von den „alten“ Produkten mit proprietären Protokollen zu den neuen Produkten statt, die oft Schnittstellen zu verschiedenen standardisierten Kommunikationssystemen haben. Auch hier ist wieder die Frage entscheidend, welche GA-Funk­tionen möchte ich realisiert haben und welche Produkte erfüllen diese Anforderungen am besten. Erst danach sollte man prüfen, welche Anforderungen an die Kommunikation zu stellen sind und wie man das Netzwerk mit welchem Kommunikationssystem am besten realisiert. Dabei kann das Ergebnis natürlich BACnet lauten.

TGA: Es gibt inzwischen eine Reihe hersteller­unabhängige Standards. Führt das zu verschärftem Wettbewerb oder ist es eher eine Chance für BACnet?

Fischer: Als wir mit der deutschen und kurze Zeit später mit der europäischen Normung von Kommunikationssystemen in der GA begonnen haben, d.h. Ende der 1980er- und Anfang der 1990er-Jahre, gab es noch den „Krieg der Protokolle“, wie es eine Zeitschrift plakativ verkündete. Es gab in Europa über 50 mehr oder weniger genormte Kommunikationssysteme, und es war ein langer und mühseliger Prozess, bis wir die drei Standards BACnet (DIN EN ISO 16484, Teil 5 und Teil 6), KNX (DIN EN 50090, DIN EN 13321) und LON (DIN EN ISO 14908) ausgewählt und veröffentlicht hatten. Heute haben alle Hersteller mindestens einen dieser Standards als das Basis-Kommunikationssystem für ihre Produkte. Es gibt also einen gesunden Wettbewerb zwischen den Systemen. In Europa und vor allem in Deutschland findet man in größeren Projekten meist zwei der genannten Standards, wobei BACnet oft die Rolle des Backbones übernimmt, d.h. die übergeordneten Dienste und Funktionen werden mithilfe von BACnet realisiert, während die regelungstechnischen Funktionen mithilfe von KNX oder LON umgesetzt werden.

TGA: Erst langsam setzt sich die Erkenntnis durch, dass die Nutzungsphase eine maßgebliche Bedeutung für den tatsächlichen Energieverbrauch eines Gebäudes hat und dabei der Gebäudeautomation eine Schlüsselrolle zukommt…

Fischer: Eine integrative Planung, also eine Planung die gewerkeübergreifend mit Blick auf das „Gesamtsystem Gebäude“ erfolgt, erfordert einen wesentlich höheren Investitionsaufwand und einen anderen zeitlichen Ablauf. Die Gewerke müssen zusammen zum selben Zeitpunkt als einheitliches System geplant werden und nicht nacheinander, wie es leider immer noch der Fall ist. Nur dann können erhebliche Synergieeffekte erzielt werden, die sich auch sehr schnell durch geringere Betriebskosten amortisieren. Allerdings erfordert auch der Betrieb eine gewisse Aufmerksamkeit, da ein Gebäude lebt und auch nach einem Betriebsjahr zwar das Automationssystem schon gut eingestellt sein sollte, aber weiterhin in Abhängigkeit von der Nutzung und den Betriebsbedingungen optimiert werden muss.

TGA: Smart-Metering- und Smart-Grid-Funk­tionen sind aktuelle Schlagworte, wenn es um Energieeffizienz und Energieeinsparung geht. Die Gebäudeautomationsbranche hat diesen lange erkennbaren Trend noch nicht konsequent aufgegriffen. Welche Rolle nimmt BACnet bzw. die BACnet Interest Group Europe (BIG EU) hier künftig ein?

Fischer: Von der technischen Seite aus betrachtet spielt beim Smart Metering die Haus- und Gebäudeautomation nur eine unwesentliche Rolle. Aber die Automationssysteme sind beim Endverbraucher und Klein-Erzeuger von Energie („Prosumer“) und damit ergibt sich ein riesiger Markt.

Leider sind die BACnet-Aktivitäten in USA in diesem Bereich wesentlich stärker als in Europa. Als im Januar 2010 der Entwurf der Deutschen Normungsroadmap E-Energy/Smart Grid im Bundeswirtschaftsministerium in Berlin vorgestellt wurde, tauchte der Begriff BACnet in dem Papier überhaupt nicht auf. Wenn man sich am Ende des Papiers die Liste der Mitglieder des Strategiekreises der Normungsroadmap ansieht, fällt auf, dass aus dem Bereich der Haus- und Gebäudeautomation niemand vertreten ist. In der Version 1.0 des Papiers1) wurden aufgrund eingegangener Kommentare einige Punkte überarbeitet, die den Bereich Haus- und Gebäudeautomation betreffen. Obwohl dieses Papier, das die deutsche Position bezüglich Smart Metering und Smart Grid gegenüber der EU beschreibt, bei den Mitgliedern der BIG-EU bekannt sein sollte, hat es innerhalb der BIG-EU noch keine Diskussionen zu diesem Thema gegeben.

TGA: Erwarten Sie, dass durch Smart-Metering- und Smart-Grid-Funktionen die Energiekosteneinsparung gegenüber der Energieverbrauchsreduzierung an Bedeutung gewinnt?

Fischer: Theoretisch ja, praktisch nein, zumindest nicht in dem von der EU vorgegebenen Zeitrahmen. Ein schönes Beispiel dafür sind die Smart Meter, die seit dem 1. Januar 2010 in allen Neubauten eingebaut werden müssen. Falls sie überhaupt eingebaut worden sind, sind sie zwar nicht mehr elektro-mechanisch, aber nicht für die Funktionen einsetzbar, die sie später leisten sollen.

TGA: Bitte vollenden Sie: 2020 wird…

Fischer: …BACnet in die meisten Gebäudeautomationssysteme integriert sein.

TGA: Vielen Dank für das Gespräch.

1) Der Entwurf der Deutschen Normungsroadmap E-Energy/Smart Grid ist auf https://www.dke.de/en als Download verfügbar (Short-Link: http://bit.ly/Normungsroadmap )

Zur Person: Peter Fischer

1973–1979 Studium der Elektrotechnik, Studienfach „Technik der Informationsverarbeitung“ an der Uni Karlsruhe

1979–1985 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Förder- und Lager­wesen der Uni Dortmund und am Fraunhofer-Institut für Transporttechnik und Warendistribution

1985–1987 Mitarbeiter bei JCI Regelungstechnik; Entwicklung und Installation des ersten LAN-basierenden Gebäudeleitsystems von JCI; Leiter der Abteilung für kunden­spezifische Software-Entwicklung

1987–1992 Leiter der Abteilung „Systems Interfaces“ bei Honeywell Regel­systeme; Mitarbeit an den Standards Profibus und FND und Implementierung dieser Standards; Entwicklung, Implementierung und ­Anbindung von „fremden“ Automationssys­temen an die Honeywell-Gebäudeautomation

seit Okt. 1992 Professor im Fachbereich Informations- und Elektrotechnik, Institut für Mikroelek­tronik und Eingebettete Systeme, der FH Dortmund mit den Arbeitsgebieten Telekommunikations-/Informationstechnik

seit 1987 Mitarbeit in Normungsgremien des DIN, des VDMA und der DKE; Vorsitzender der WG 4 „Open Data Transmission“ im CEN TC 247 „Building Automation, Controls and Building Management“ und Vorsitzender des deutschen Spiegelausschusses im DIN; Sprecher im Beirat der BACnet Interest Group Europe; Affiliate Member der BACnet International; Leiter des Auditierungsgremiums für Systemintegratoren von LonMark Deutschland; Leiter des Arbeitskreises „Kommunikation in der Gebäude­automation“ der Fachgruppe AMG im VDMA

2002 Promotion an der TU Wien mit der Dissertation „Analyse und Bewertung von ­Kommunikationssystemen in der Gebäudeautomation“

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