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Plus-Energie-Haus

Gebäudeautomation im Haus der Zukunft

Wohnhäuser aus den 1960er- und 1970er-Jahren haben in Deutschland einen auf Heizöl umgerechneten Energieverbrauch von rund 30 l/(m2 a) für Raumheizung und Trinkwassererwärmung. Niedrigenergiehäuser nach EnEV 2002 kommen immerhin mit 7 l/(m2 a) aus; Passivhäuser benötigen nur 1,5 l/(m2 a). Aber: Weltweit sind Gebäude für rund 40 % des Primärenergieverbrauchs verantwortlich. Eine Zahl, die zu denken gibt, zumal allein durch eine bessere regelungstechnische Vernetzung von Energieerzeugung und Energieverbrauchern bis zu 25 % an Energie in Bestandsgebäuden eingespart werden kann.

Fachleute aus der ganzen Welt sind sich einig darüber, dass Nullenergiegebäude heute schon möglich sind und der Schritt zum Plus-Energiehaus keine Utopie mehr ist. Beispiele, wie der von US-Hochschulen initiierte Wettbewerb Solar Decathlon (siehe Kasten) belegen, dass bei einem integrierten Planungsansatz marktgängige Komponenten und Systeme ausreichen, um bezahlbare Null- bzw. Plus-Energiehäuser zu realisieren. Voraussetzung dafür ist die Abkehr von gewerkespezifischen und gewerkeoptimierten Lösungen zugunsten ganzheitlicher Konzepte, die den Planungs- und Bauprozess und – ganz wichtig – den Betrieb über die Lebenszeit eines Gebäudes mit einbeziehen.

Im Mittelpunkt solcher Hocheffizienzgebäude steht naturgemäß das Gebäudeautomationssystem. Für Siemens war der hohe Anspruch des Rosenheimer Entwicklungsteams Ikaros an die Automatisierung der gebäudetechnischen Funktionen ihres Plus-Energiehauses mit ein Grund, das Projekt mit Hard- und Software sowie mit einer Einführung in die Programmierung des Gebäudeautomationssystems Desigo zu unterstützen.

TGA im Haus der Zukunft

Das aus über 50 Studenten bestehende interdisziplinäre Team Ikaros (Innovation, Knowledge, Assembly, Rosenheim) der Hochschule Rosenheim entschied sich, die Gebäudetechnik und deren regelungstechnische Strategien primär auf das Klima am Wettbewerbsort Madrid in der Wettbewerbswoche vom 18. bis 27. Juni 2010 auszurichten, mit der Option für einen späteren ebenso energieeffizienten Heiz-Kühlbetrieb in Deutschland. Basis für die Entscheidungsfindung für das gebäudetechnische System und dessen Dimensionierung sind Simulationsrechnungen sowie realitätsnahe Messreihen mithilfe des Gebäudeautomationssystems Desigo im Rahmen einer Vorstudie.

Dabei wurde für die Wettbewerbstage in Madrid eine Grundlast für die Raumkühlung von bis zu 1300 W mit kurzzeitigen Lastspitzen während der Besuchszeiten von bis zu 3500 W ermittelt. Deshalb wurden das Haus und dessen technische Gebäudeausrüstung primär auf „Kühlung“ optimiert. Folgende Verfahren kommen zum Einsatz:

  • Strahlungskühlung (durch Himmelsabstrahlung dunkler Flächen)/adiabate Kühlung durch Wasserversprühung bei Nacht über dem Photovoltaik-Dach; das verbleibende abgekühlte Wasser wird aufgefangen, in einer Zisterne zwischengespeichert und dem Kühlmittelfluss wieder zugeführt.
  • Lüftungskanal unter dem Haus aus Phasenwechselmaterial (PCM-Graphit-Verbundplatten) mit einer Schalttemperatur von ca. 24 °C. Dieser Latentspeicher zur Raumkühlung wirkt unterstützend zum mechanischen Lüftungssystem. Die Regeneration erfolgt mit kalter Nachtluft.
  • Lüftungsanlage, Nennleistung 350 m<sup>3</sup>/h, mit einem Wärmerückgewinnungsgrad von 84 %; eingebaut ist ein zusätzlicher Wärmeübertrager zur Kühlung der Zuluft.
  • Wasser/Wasser-Wärmepumpe zur Bereitstellung von Trinkwarmwasser und Kaltwasser für einen Kältespeicher zur Versorgung der Kühldecken und des Kühlregisters des Lüftungssystems.
  • Kühldecke, wassergeführt, Rohrschlangen in Gipskartonplatten eingebettet, vollflächig verlegt mit der Option zur Nutzung als Heizdecke.
  • Photovoltaik-Anlage mit 65,3 m<sup>2</sup> Bruttofläche und einer Leistung von 12,6 kW<sub>p</sub>.

Gebäudetechnik voll integriert

Ein besonders hoch gesetztes Ziel des Ikaros-Teams war die Integration aller gebäudetechnischen Systeme, also der Wohnraumautomation, der Beleuchtungstechnik und der HLK-Technik in ein übergeordnetes Bedien-, Überwachungs- und Monitoring-System. Basis für die Wohnraumautomation ist ein KNX-System, das beispielsweise konventionelle Funk-Lichttaster über KNX in das Gesamtsystem einbindet. Jede Leuchtengruppe des Hauses ist mit einem dimmbaren Dali-EVG (Elektronisches Vorschaltgerät) vom Typ Osram Optronic „OTi Dali Dim“ ausgerüstet, damit können die insgesamt 27 Leuchtkörper sowohl individuell als auch in den Szenarien Grundbeleuchtung, Funktionsbeleuchtung und Ambiente-Beleuchtung zugeschaltet werden.

Bei der Steuerung und Regelung der HLK-Anlagen entschieden sich die angehenden Architekten und Ingenieure – wie bereits bei den vorausgegangenen Messreihen – für das frei programmierbare DDC-Automationssystem Desigo PX von Siemens (Division Building Technologies), das auf ein von den Studenten selbst entwickeltes, gewerkeübergreifendes Bediensystem in OPC-Technologie geschaltet ist. Alle Energieverbraucher werden mit Strom- und Wärmemengenzählern erfasst, über einen M-Bus auf die PX-Station übertragen und auf dem Touchscreen des Bediensystems visualisiert. Die Anbindung der PX-Station an das übergeordnete Bediensystem ist über das Softwarepaket SX-Open von Siemens über das BACnet-Protokoll realisiert, das KNX-System ist über einen sogenannten KNX-OPC-Server eingebunden.

Siemens stellt dafür die notwendige Hardware sowie die PX-Programmiersoftware inklusive Applikationsbibliothek zur Verfügung. Obwohl keiner der beteiligten Studenten jemals zuvor mit der Programmierung eines Gebäudeautomationssystems zu tun hatte, erarbeitete das Team innerhalb kürzester Zeit eine verfahrenstechnische Lösung für das Gesamtkonzept und setzte dieses mithilfe der Applikationen aus der Regelungsbibliothek in ein sehr ausgefeiltes und professionelles Regelungs-, Steuerungs- und Monitoring-Konzept um. Insgesamt umfasst das Gebäudeautomationssystem rund 200 Datenpunkte.

Regelungs- und Steuerungstechnik

Um die hohen Ansprüche an die Energieeffi­zienz und die Wettbewerbsvorgabe „Nullenergiehaus“ abzusichern, sind über die Standard-Regelungs- und -Steuerungsaufgaben hinaus folgende Funktionen implementiert und über Desigo PX dargestellt:

  • Alle Stromverbraucher, auch die Hausgeräte, werden überwacht und deren Stromverbrauch einzeln erfasst.
  • Einige Hausgeräte werden bei Nichtgebrauch über eine Stand-by-Schaltung vom Netz getrennt.
  • Durch zusätzliche Temperatursensoren kann das Erreichen von Solltemperaturen (Backofen, Kühlschrank etc.) über das Desigo-System signalisiert werden. Diese Daten sind Grundlage für weitere Optimierungen.
  • Optional kann über Desigo PX eine Energieampel aktiviert werden, die freie Energieangebote anzeigt, wie überschüssige elektrische Energie aus der Photovoltaik-Anlage oder eine ausreichend hohe Warmwassertemperatur im Wärmespeicher. Aus diesen Anzeigen können Empfehlungen abgeleitet werden, wie „jetzt Geschirr spülen“ oder „jetzt Wäsche waschen“.
  • Regelung der Lüftungsanlage nach dem tatsächlichen Bedarf (CO<sub>2</sub>-Fühler), wodurch unnötiger Stromverbrauch vermieden wird.
  • Graphische Darstellung der Volumenströme, der Lufttemperaturen und der Luftfeuchte in den Lüftungskanälen und im PCM-Kanal; aus dem Monitoring lassen sich weitere Optimierungsmaßnahmen ableiten.
  • Optimierung des energieeffizienten und sicheren Betriebs von Kühldecke, Kühlregister in der Lüftungsanlage und PCM-Kanal über Desigo PX. Angezeigt wird beispielsweise der vollendete Phasenübergang (Schalttemperatur) des PCM (Beladung/Entladung). Der Regenerationsbetrieb startet, sobald die Außentemperatur niedriger ist als die Temperatur im PCM-Kanal.
  • Start der Strahlungskühlung/adiabaten Kühlung bei ausreichender Nachttemperatur zur Kühlung des Zisternenwassers in Abhängigkeit der Temperaturdifferenz zwischen Außenluft und Zisterne.
  • Optimierung des Wärmepumpenbetriebs in Abhängigkeit der Wärme- bzw. Kühllast bzw. der jeweiligen Wassertemperatur im Pufferspeicher.
  • Maximierung der Kühldeckenleistung in Abhängigkeit der Taupunkttemperatur.

Die Regelungs- und Steuerungsfunktionen wurden primär auf die Wettbewerbsphase optimiert (trockenes, steppenähnliches kontinentales Klima). Bei der Aufstellung des Hauses in gemäßigteren Zonen (ab Juli 2010 auf der Landesgartenschau in Rosenheim, im Januar 2011 auf der BAU in München, danach in der Null-Energiestadt Bad Aibling), werden die Parameter und Regelstrategien dem jeweiligen Klima angepasst.

Energiedaten immer im Blick

Eine besondere Herausforderung für das Ikaros-Team war die Zusammenführung von Gebäudeautomationssystem, Lichtsteuerung, Sonnenschutzsteuerung und der Multimediasteuerung auf ein übergeordnetes Visualisierungs-, Bedien- und Überwachungssystem, das auch Trendkurven, Energieverläufe und Momentanwerte ohne die üblichen Kompromisse bei fertigen Hausautoma­tionssystemen darstellt, so die selbst definierte Vorgabe. Die meisten marktgängigen Systeme seien auf ein spezifisches Gewerk optimiert, zum Beispiel auf Lichtsteuerung oder Home-Entertainment, und hätten deshalb nur geringe Darstellungskapazitäten für die Funktionen des Gebäudeautomationssystems.

Wo immer möglich wurde bei der Systemintegration auf standardisierte Protokolle und Schnittstellen zurückgegriffen. So sind die Dali-Devices (Lichtsteuerung) über ein Dali-Gateway auf das KNX-System aufgeschaltet und weiter über einen KNX-IP-Router auf einen OPC-Server. Innerhalb des Gebäudeautomationssystems werden die Messdaten zunächst über den M-Bus gesammelt, über eine TX-Open-Schnittstelle (Einbindung von Drittsystemen) an ein Universal-I/O-Modul übergeben und weiter an die PX-Automationsstation geleitet. Dort werden die Daten gesammelt und verarbeitet bevor sie im BACnet-Format über eine SX-Open-Schnittstelle an den OPC-Server übergeben werden.

Um die Informationen der OPC-Telegramme über das Raumbediengerät, ein 17“-Touch-Panel, einheitlich darzustellen, werden diese mittels einer vom Ikaros-Team entwickelten Software „abstrahiert“. Diese „Datenabstraktionsschicht“ generiert sowohl Live-Daten aus den verschiedenen Gebäudesystemen als auch historische Daten aus der Datenbank, die jederzeit über das Touch-Panel aufgerufen und graphisch dargestellt werden können.

Sicherheit vor unbefugtem Zugriff

Um moderne Kommunikationsmittel wie Smartphone, Notebook oder auch Internet mit in die Betrachtung und Bedienung einbinden zu können, ohne die Sicherheit durch unbefugten Zugriff von außen (Hacker) zu gefährden, gibt es im Haus zwei unterschiedliche Datennetze: Ein geschlossenes Netz für die Gebäudeautomation und ein WLAN für Geräte des täglichen Gebrauchs wie Notebook, PC oder Smartphone. Aus Sicht des Ikaros-Teams kommt der Bedienung und Visualisierung von Hausautomationsfunktionen mittels Smartphone künftig eine tragende Rolle zu, wobei man in Rosenheim das Android-System favorisiert. Auch hierzu haben die IT-Fachleute im Ikaros-Team ein eigenes Protokoll mit eigener graphischer Oberfläche entwickelt, die eine komfortable Bedienung der wichtigsten Hausautomationsfunktionen per Smartphone ermöglicht.

Fazit

Gebäude der Zukunft sind in der Lage, ihren Energiebedarf selbst zu generieren. Voraussetzung sind ein integrierter Planungsansatz, die Bereitschaft, innovative Produkte, Komponenten und Verfahren einzusetzen sowie ein sparsamer Umgang mit Energie, der dem tatsächlichen Bedarf entspricht. Der Solar Decathlon macht deutlich: Ohne Gebäudeautomationssystem lassen sich die hochgesteckten Erwartungen an die Gebäudeenergieeffizienz nicht verwirklichen. Und: Der Trend geht zu gewerkeübergreifenden Lösungen, die auch die Kommunikationssysteme mit einbezieht. Das Ikaros-Team stellte unter Beweis, dass der gewerkeübergreifende Ansatz „Total Building Solutions“ auch im kleinen Maßstab umgesetzt werden kann. Die Hochschule Rosenheim und mit ihr das Ikaros-Team zeigen mit ihrer Lösung auf, wie Haus- und Gebäudesysteme in einem künftigen Plus-Energiehaus funktionieren könnten.

Bei Solar Decathlon Europe 2010 in Madrid wurde das Rosenheimer Team zweiter Sieger und konnte mit den Behaglichkeitskriterien, der Energiebilanz und den elektrischen Geräten sowie dem Lichtkonzept alle über Messwerte beurteilten Disziplinen für sich entscheiden. In der Gesamtwertung lag das Haus der Zukunft mit 810 Punkten nur 0,9 Punkte hinter dem siegreichen Team vom Virgina Polytechnic Institute.

http://www.gebaeude-iq.de/projekte.html

Geschichte des Solar Decathlon

Der Solar Decathlon (SD) – wörtlich übersetzt „solarer Zehnkampf“ – fand erstmals 2002 in Washing­ton DC, USA, statt. Veranstalter ist das US Department of Energy (DOE). Der Zehnkampf ­bezieht sich auf zehn Disziplinen (Architektur, Konstruktion, Planung, Solarsysteme, Energiebilanz, Komfort, Technik, Kommunikation, Ökonomie, Innovation und Nachhaltigkeit), die bei der Gestaltung, Realisierung und dem Betrieb des Modellhauses berücksichtigt werden müssen.

Ursprünglich wurden nur amerikanische Hochschulen und Universitäten angesprochen, inzwischen messen sich beim SD aber Teams aus der ganzen Welt. Vorgabe ist, ein energieautarkes Gebäude mit maximal 75 m2 Wohnfläche zu entwerfen und zu bauen, das mehr Energie produziert als es verbraucht. Das Haus muss so gestaltet sein, dass es über weite Strecken transportiert und innerhalb weniger Tage am Wettbewerbsort aufgestellt werden kann. Die Funktionsfähigkeit und Energieeffi­zienz ist während des 10-tägigen Wettbewerbs durch eine realitätsnahe Wohnsimulation (Kochen, ­Duschen, Wäsche waschen, Beleuchtung, Kommunikation und Unterhaltung) nachzuweisen.

Bis 2007 verlangten die Wettbewerbsstatuten einen energieautarken Betrieb, das heißt den Einsatz von Batterien zur Versorgung des Gebäudes bei Nacht. Seit 2009 ist es unter Einhaltung einer (hochgerechnet) ausgeglichenen Jahres-Energiebilanz gestattet, den PV-Strom ins öffentliche Netz einzuspeisen bzw. Strom zu entnehmen. Bei den ersten Wettbewerben wurden möglichst leistungsfähige PV-Anlagen eingesetzt, um einen hohen Lebensstandard auch mit weniger energieeffizienten Komponenten sicherzustellen. Inzwischen stehen die Energieeffizienz der Komponenten sowie deren intelligente Systemvernetzung bei geringerem Solarstromeinsatz stärker im Vordergrund. Weltweit bekannt wurde der ursprünglich rein amerikanische Wettbewerb durch den zweifachen Sieg des Teams der TU Darmstadt in den Jahren 2007 und 2009.

In diesem Jahr fand der Solar Decathlon erstmals in Europa statt (SDE, Solar Decathlon Europe), ­ausgelobt durch das Spanische Bauministerium und die Universität für Technik, Madrid. Die teilnehmenden Teams kamen aus Brasilien, China, England, Finnland, Frankreich, Mexiko, Spanien und den USA. Deutschland war gleich vierfach vertreten mit der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin, der Hochschule für angewandte Wissenschaften Rosenheim, der Hochschule für Technik Stuttgart und der Bergischen Universität Wuppertal.

https://www.solardecathlon.gov/

http://www.sdeurope.org

Christian Baumann

ist Vertriebsleiter bei Siemens, Building Technologies-Division, München, https://new.siemens.com/de/de/produkte/gebaeudetechnik.html