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Primärenergiebezug und Kompensationsprinzip:

EnEV-Arbeitsentwurf auf dem Holzweg

Kompakt informieren

  • Seit der Einführung der EnEV 2002 ist beim Neubau und unter bestimmten Bedingungen bei Änderung, Erweiterung und Ausbau von Gebäuden und Anlagen ein nach der Verordnung zu berechnender Jahres-Primärenergiebedarf einzuhalten.
  • In seiner aktuellen Ausgestaltung führt der Primärenergiebezug zu einer Fehlentwicklung, vor allem durch den zu geringen Primärenergiefaktor für ­biogene Brennstoffe im Vergleich zu fossilen Brennstoffen.
  • Ebenso führt das zu offen gestaltete Kompensa­tionsprinzip in der EnEV zu einer Fehlentwicklung. Ein Arbeitsentwurf zur EnEV 2012 sieht statt einer Korrektur sogar eine noch weitergehende ­Öffnung vor.
  • In Kombination beider Fehlentwicklungen wäre es möglich, neue Gebäude schlechter als in den 1980er-Jahren und trotzdem „EnEV-konform“ zu dämmen.

Der Entwurf zur Novellierung der Energieeinsparverordnung (EnEV 2012) kursiert momentan mehr oder weniger geheim durch die Reihen der Fachleute und Lobbyisten. Die Meinungen sind durchaus geteilt: Was den einen viel zu weit geht, ist für andere nicht zukunftsträchtig. Nachfolgend werden zwei Aspekte von großer Tragweite kritisch betrachtet: Der Primärenergiebezug und das Kompensa­tionsprinzip. Beide verursachen langfristig unumkehrbare Fehlentwicklungen.

Die Denkfehler auf prägnante Beispiele zugespitzt: „Je mehr Biomasse verbrannt wird, desto eher wird das Einsparziel zur Primärenergieminderung erreicht.“ Und: „Je mehr Elektrizität über Kraft-Wärme-Kopplung erzeugt wird, desto mehr Abwärme fällt an und darf (oder muss?) in schlechter gedämmten Häusern, Speichern sowie in Nah- und Fernwärmenetzen ver(sch)wendet werden.“

Erster Denkfehler: Primärenergiebezug nach deutschem Muster

Mit Einführung der EnEV 2002 wurde der Primärenergiebezug „erfunden“. Die Autoren müssen sich vorwerfen, damals negative Folgen nicht vorausgesehen und an der Entwicklung in diese Richtung selbst mitgewirkt zu haben.

In der EnEV bewertet der Primärenergiefaktor den Energieinhalt der nicht regenerativen Energieträger Erdgas und Heizöl (mit 100 %) sowie alle Verluste in der Vorkette „vom Bohrloch, über die Transportleitung, über die Raffinerie bis zum Brenner“ (mit zusätzlichen 10 %) – er liegt also insgesamt bei 1,1. Für regenerative Energieträger wird nach deutschem Muster ­allein der „nicht regenerative“ Anteil der Vorkette in der EnEV-Primärenergiebilanz bewertet; für Holz mit dem Primärenergiefaktor 0,2 und für Bioöl und Biogas mit jeweils 0,5. Der rechnerische Primärenergieaufwand der fossilen Energieträger Erdgas und Heizöl fällt darum um den Faktor 5,5 höher aus als der des regenerativen Energieträgers Holz mit einer Bewertung seines „nicht regenerativen“ Anteils für Aufbereitung und Transporte von 0,2.

Der „regenerative“ Energieinhalt von Holz wird mit diesem Ansatz zu Null gesetzt. Und das ist der Denkfehler: Biomasse/Holz stehen nicht unbegrenzt zur Verfügung und wir können auf Dauer nur so viel Holz nutzen, wie nachwächst. Würde eine ganzheitliche Primärenergiebewertung des regenerativen und nicht regenerativen Anteils erfolgen, stünde Holz mit der Gesamtbewertung des regenerativen (1,0) und des nicht regenerativen Anteils (0,2) sogar etwas schlechter da als Heizöl und Erdgas.

Es soll hier nicht vorgeschlagen werden, biogene Brennstoffe schlechter als Erdgas und Heizöl in der energetischen Bewertung zu stellen. Jedoch setzt der zu große Abstand des rechnerischen Primärenergieaufwands falsche Signale. Alle anderen (Primär)Energieeinsparmaßnahmen an der Gebäudehülle und bei der Anlagentechnik vermindern den Primärenergieaufwand eher im Nachkommabereich und werden vermeintlich uninteressant.

Würden im Gebäudebereich alle Gas- und Öl-Feuerungen kurzfristig durch Holz-Feuerungen ersetzt, hätten wir bei der Beheizung von Gebäuden das langfristige Ziel des Energiekonzepts der Bundesregierung und der Energiewende schnell erreicht – mehr als 80 % Primärenergieeinsparung. Was von dem Biomassebedarf nicht in Deutschland produziert wird, könn(t)en wir importieren. Ähnlich wie wir dies in Deutschland seit Jahrzehnten mit Steinkohle für die Stromerzeugung und neuerdings in Europa auch mit Biomasse-Kraftwerken exerzieren.

Es genügt der gesunde Menschenverstand, um zu erkennen, dass es dafür im Ordnungsrecht keine Anreize geben darf. Was in der nationalen Dimension offensichtlich wird, gilt vor Ort für jedes einzelne Gebäude. Die „deutsche Primärenergiebewertung“ in der EnEV und im Arbeitsentwurf zur EnEV 2012 ist eine politische Bewertung. Sie läuft in die falsche Richtung, das „Einsparziel“ wird (rechnerisch) umso schneller erreicht, je mehr regenerative Energie verschwendet wird.

Zweiter Denkfehler: Das Kompensa­tionsprinzip nach der EnEV

Seit dem Zusammenführen von Wärmeschutzverordnung und Heizungsanlagen-Verordnung in der EnEV 2002 gilt das Kompensationsprinzip: Werden effiziente und/oder regenerative Energie- und Anlagentechnik eingesetzt, kann die Gebäudehülle schlechter ausfallen. Um Auswüchse des Kompensationsprinzips zu verhindern, hat man die wenig ambitionierte Nebenanforderung in der EnEV gesetzt, dass bestimmte Qualitäten der Gebäudehülle nicht unterschritten werden dürfen.

Diese prinzipiell sinnvolle Regulierung war bereits in der EnEV 2009 nicht sehr anspruchsvoll. Ohne wirtschaftlichen Nachteil hätten Gebäude um den Faktor 1,5 bis 2 besser gedämmt werden können. Man ist aber auf dem Dämmstandard der 1990er-Jahre stehengeblieben. Nun soll diese Nebenanforderung sogar noch weiter aufgeweicht werden: Nach dem Arbeitsentwurf zur EnEV 2012 können der Wärmeschutz und damit der Wärmeenergiebedarf um 40 % schlechter ausfallen als nach der derzeitig gültigen EnEV 2009 – sofern die Anlagentechnik entsprechend „regenerativ“ ist. Man erreicht damit wieder den Dämmstandard der 1980er-Jahre. Das darf nicht wahr werden.

Die Einstufung einer Technologie oder eines Energieträgers ist unter anderem politisch motiviert: Biomasse, Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) auf Basis fossiler und biogener Brennstoffe werden auch verordnungsrechtlich besonders gefördert. Der forcierte Ausbau von Nah- und Fernwärme bzw. von KWK in Wärmenetzen führt gepaart mit dem Kompensationsprinzip der EnEV zu folgendem Trend: Für KWK werden händeringend Grundlastwärmeabnehmer gesucht, denn je mehr Wärme und Strom gleichzeitig erzeugt wird, desto günstiger ist der Primärenergiefaktor der bezogenen oder selbst erzeugten Wärme. Als Grundlastabnehmer eignen sich die verlustträchtigen Nahwärmenetze selbst, aber auch mäßig gedämmte Gebäude, Rohrleitungen und Speicher. Je schlechter die Dämmung, desto größer der Endenergieaufwand – aber desto größer auch der prozentuale KWK-Anteil und desto günstiger der Primärenergiefaktor. So wird die Energiewende nicht gelingen.

Wird bei der Kraft-Wärme-Kopplung überwiegend Biomasse eingesetzt, wird fast immer eine Primärenergiebewertung von Null erreicht. Das energiepolitische Ziel für das Jahr 2100 von 100 % Primärenergieeinsparung ist damit schon heute zum Greifen nahe. Die absolut eingesetzte Endenergiemenge würde sich jedoch weiter erhöhen. Bei konventioneller KWK auch die Menge der eingesetzten fossilen Energieträger und auch die CO2-Emissionen – trotzdem würden nach heutiger Bewertung 80 bis 100 % Primärenergie eingespart. Allein der Anstieg der CO2-Emissionen würde bedeuten, dass die Politik irgendwann die Reißleine ziehen muss – ob dann wohl die schon heute erkennbare Fehlentwicklung Bestandsschutz genießt? Besser und kostengünstiger wäre es, schon heute gegenzusteuern.

Wo liegt das Problem?

Bei der Energieeinsparverordnung geht es nicht um verordnete Energieeinsparung, dies suggeriert allenfalls ihr Titel. Die EnEV ist eine Mischung aus politischen Wünschen zur Außendarstellung der Klimaziele, den Bestrebungen der Immobilienwirtschaft zur Verhinderung allzu großer Mehrinvestitionen und Branchenideen zur Einführung bestimmter Technologien. Es geht um „Effizienzsteigerung“ und „Steigerung des Anteils regenerativer Energien“ – Klimaschutz und die Lebenszykluskosten sind sekundär.

Die Energieeinsparverordnung setzt das „Gesetz zur Einsparung von Energie in Gebäuden (Energieeinsparungsgesetz – EnEG1))“ um. Es ermächtigt die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats Anforderungen an den Wärmeschutz von Gebäuden und ihren Bauteilen sowie an den Einbau von Heizungs-, RLT-, Kühl-, Beleuchtungs- sowie Warmwasserversorgungsanlagen oder -einrichtungen festzusetzen. Gebäude bzw. Anlagentechnik sind (entsprechend der Umsetzungsverordnung) so zu entwerfen und auszuführen, dass beim Heizen und Kühlen vermeidbare Energieverluste unterbleiben bzw. so zu entwerfen, auszuwählen und auszuführen, dass nicht mehr Energie verbraucht wird, als zur bestimmungsgemäßen Nutzung erforderlich ist. Die in den Rechtsverordnungen aufgestellten Anforderungen müssen laut EnEG nach dem Stand der Technik erfüllbar und für Gebäude gleicher Art und Nutzung wirtschaftlich vertretbar sein („Wirtschaftlichkeitsgebot“).

Ob das Wirtschaftlichkeitsgebot des EnEG die Bundesregierung neben der Nicht-Überforderung der Bauherren auch verpflichtet, durch zu lasche Anforderungen unwirtschaftliche Lösungen zu verhindern (Unterforderung), mag eine Knobelaufgabe für Juristen sein, Tatsache ist jedoch, dass der Arbeitsentwurf zur EnEV 2012 unwirtschaftliche Lösungen zulässt, wenn die deutlich unterschiedliche primärenergetische Bewertung fossiler und regenerativer Energieträger weiterhin zugelassen wird und bei der Gebäudehülle keine streng(er)en Mindestanforderungen gelten. Da sich die EnEV in der Baupraxis zu einem Handbuch entwickelt hat und Produkte und Lösungen als EnEV-konform beworben werden, kommt den Autoren der EnEV eine besondere Verantwortung bezüglich des Vermeidens von Unterforderungen zu.

Dieser Verantwortung wird momentan nicht Rechnung getragen. Nach den im Arbeitsentwurf zur EnEV 2012 bekannt gewordenen Eckwerten darf beispielsweise für ein Einfamilienhaus mit 150 m2 Nutzfläche mit einer Holzheizung durch „die Erlaubnis“ eines ca. 40 % schlechteren Wärmeschutzes fast 80 % mehr Endenergie in Form von Holz als bei einer Heizung auf Basis von Erdgas und Heizöl verbrannt werden. Dies würde nicht nur zu unnötig höheren CO2-Emissionen, sondern auch zu einer höheren Gesamtkostenbelastung führen. Die reinen Energiekosten würden bereits bei den heute günstigen Holzpreisen höher als bei Erdgas und Heizöl als Energieträger liegen. Die Mehrinvestitionen einer Dämmung nach dem schärferen Standard der EnEV 2009 würden für das Beispielgebäude lediglich 2000 Euro betragen.

Durch das Kompensationsprinzip der EnEV „bessere Anlagentechnik mit regenerativen Anteilen oder KWK erlaubt eine schlechtere Gebäudehülle“ wird die eigentliche Zielsetzung der Energiewende: „Einsparung von Energie“ ad absurdum geführt. Es kann nicht sein, dass mit regenerativen Energieträgern aus Biomasse, mit Nah- und Fernwärme sowie mit Wärmepumpen die Energieverbrauchswerte und damit die CO2-Emissionen steigen und das 2-°C-Ziel des Klimaschutzes aufgehoben wird. Der Endverbraucher würde dafür zukünftig die höhere Rechnung zahlen.

Dabei ist die EnEV kein Einzelfall: Eine ­parallele Entwicklung falscher Energie- und ­Effizienzpolitik gibt es auch im Mobilitäts­bereich: Ein Kraftfahrzeug ist nach der neuen EU-Bewertung umso effizienter, desto niedriger der auf das Gewicht bezogene Verbrauch bzw. der dazu proportionale CO2-Ausstoß ist; sinnvoller wäre ein Bezug auf den jedermann vertrauten Benzinverbrauch in l/100 km gewesen. Wir müssten nur alle auf schwere Geländelimousinen umsteigen, dann würde das Effizienzziel der Politik und der Automobilbranche sofort erreicht.

Und nun?

Was ist also die Lösung? Die Japaner machen es uns nach dem Fukushima-Unfall gerade vor: Sie schalten die Kernkraftwerke ab und sparen politisch verordnet Leistungsanforderung und Stromverbrauch gleichzeitig ein. Muss immer erst die Katastrophe kommen?

Schlussfolgerung: Energieeinsparen muss die vorrangige Devise sein, dann kommen gleichzeitig oder in der Folge Effizienzsteigerung und verstärkter Einsatz regenerativer Energien; wobei zu bedenken ist, dass Biomasse dauerhaft begrenzt ist. •

1) Den Begriff „Primärenergie“ kennt das EnEG nicht, lässt aber Anforderungen bezüglich des „Gesamtenergiebedarfs“ oder „Gesamtenergie­verbrauchs“ zu. Der Begriff „Gesamtenergieverbrauch“ entstammt der „Richtlinie 2010/31/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 2010 über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden“ (EU-Gebäuderichtlinie), wird dort zwar nicht näher erläutert, ist aber dem Endenergieverbrauch gleichzusetzen: Laut EU-Gebäuderichtlinie ist die berechnete Gesamtenergieeffizienz eines Gebäudes auf transparente Weise darzustellen und muss zudem einen numerischen Indikator für den Primärenergieverbrauch auf der Grundlage von Primärenergiefaktoren je Energieträger enthalten. Der Begriff Gesamtenergiebedarf existiert weder in der Energieeinsparverordnung (EnEV 2009) noch in der EU-Gebäuderichtlinie). Bezugsgröße für die Gesamtenergieeffizienz in der EU-Gebäuderichtlinie ist der Endenergiebedarf.

Dr.-Ing. Kati Jagnow

Fachbereich Bauwesen – ­Hochschule Magdeburg/Stendal, Ingenieurbüro für Energieberatung, Braunschweig, http://www.delta-q.de

Prof. Dr.-Ing. Dieter Wolff Institut für energieoptimierte Systeme – EOS, Fakultät Versorgungstechnik, Ostfalia-Hochschule Wolfenbüttel, d.wolff@ostfalia.de, http://www.ostfalia.de

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