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Christian Herten zu den Auswirkungen der F-Gase-Verordnung

Planungssicherheit für alle, aber starke Veränderungen

Dunker: Herr Herten, bitte geben Sie uns einleitend einen Überblick zu den wesentlichen Punkten der ab Januar 2015 geltenden F-Gase-Verordnung.

Herten: Am wichtigsten ist die Zielsetzung, die durch F-Gase bedingten direkten Emissionen durch schrittweise Reduktion der innerhalb der EU in den Markt eingeführten Mengen der entsprechenden Kältemittel bis 2030 auf 21 % zu senken (Phase-Down). Dabei wird als 100-%-Basis der Verkaufsdurchschnitt der Jahre 2009 bis 2012 angesetzt. Als weitere Maßnahme sieht die neue Verordnung vor, dass bestimmte Geräte und Anlagen mit Kältemitteln mit einem hohen Treibhauspotenzial (GWP – Global Warming Potential) ab einem bestimmten Datum nicht mehr in den Verkehr gebracht werden dürfen. Zudem sind Restriktionen für das Nachfüllen bei Altanlagen zu nennen.

Dunker: Die Europäische Union setzt also an mehreren Stellen an, um ein ehrgeiziges Reduktionsziel zu erreichen. Kritiker behaupten, F-Gase seien ohnehin nur zu 1,1 % am Treibhauseffekt beteiligt. Warum gibt es dann derart strenge Vorgaben?

Herten: Die neue F-Gase-Verordnung soll, so wurde berechnet, die Emissionen um über 70 Mio. t CO2-Äquivalent reduzieren. Das halte ich für einen substantiellen Beitrag, zumal sich F-Gase sehr lange in der Atmos-phäre halten. Die neue EU-Verordnung ist also essentiell für den Klimaschutz. Außerdem darf man nicht die Marktentwicklung außer Acht lassen: Durch wachsenden Wohlstand und die höheren Komfortansprüche kommen immer mehr Kühlgeräte oder Klimaanlagen zum Einsatz und auch in der Industrie nimmt der Bedarf an Kälte stetig zu.

Dazu kommt, dass elektrische Wärmepumpen zunehmend die Gas- und Öl-Heizungen ablösen werden. Angesichts der Tatsache, dass der Anteil grünen Stroms in den kommenden Jahrzehnten massiv zunehmen wird, sind Wärmepumpen eine effektive Möglichkeit, zur Dekarbonisierung der Energielandschaft beizutragen. Der größere Wärmepumpeneinsatz wird aber auch zu einem erhöhten Einsatz an Kältemitteln führen.

Fände dieses Marktwachstum mit dem heutigen Kältemittel-Mix statt, würden die F-Gase im Jahr 2050 voraussichtlich beinahe 8 % der direkten CO2-Emissionen verursachen, wie eine Studie des Umweltbundesamts (2010) prognostiziert hat.

Dunker: Welche Auswirkungen wird die F-Gase-Verordnung haben?

Herten: Zunächst einmal gibt es einen wichtigen positiven Effekt: Wir alle – und damit meine ich Kältemittelproduzenten, Gerätehersteller, Planer, Anlagenbauer und auch die Investoren – haben nun einen Rahmen, in dem wir uns bewegen können. Es gibt größere Planungs- und Investitionssicherheit – beides haben wir in Europa in der jüngsten Vergangenheit vermisst. Es ist sogar anzunehmen, dass die F-Gase-Verordnung weltweit Bedeutung haben wird, denn europäische Umwelt- und Klimaschutzstandards haben häufig Vorbildcharakter für andere Länder.

Für den „europäischen Investor“ ist die globale Perspektive in der Regel nicht wichtig. Für ihn ist bedeutend, dass er Investitionen in Anlagen mit zehn oder zwanzig Jahren Einsatzdauer nun zuverlässiger planen kann. Auch Betreiber von Altanlagen bekommen Planungssicherheit und können besser abschätzen, unter welchen Bedingungen sich eine Ersatzinvestition, zum Beispiel beim Umstieg auf alternative Kältemittel, lohnt.

Dunker: Welche Kosten kommen auf Betreiber von Altanlagen zu, die Kältemittel mit einem hohen GWP-Wert einsetzen?

Herten: Das lässt sich schwer vorhersagen, da viele Effekte interagieren werden. Insgesamt ist jedoch eine Verteuerung zu erwarten. Der R22-Ausstieg hat uns gezeigt, dass bei den abgekündigten Kältemitteln eine Verknappung eintritt, was den Preis in die Höhe treibt. Auch die Verfügbarkeit neuer Kältemittel ist in der Regel zunächst beschränkt, was ebenfalls Preiseffekte mit sich bringt. Eine Ersatzinvestition kann deshalb früher interessant werden, als es aus heutiger Sicht scheint.

Dunker: Welche Alternativen hat die Industrie für Neuanlagen und Ersatzinvestitionen zu bieten?

Herten: Heute existieren bereits zahlreiche erprobte Lösungen, mit denen sich der Einsatz von F-Gasen vermeiden lässt, sowohl für die Komfortklimatisierung als auch für die Plus- und Tiefkühlung oder industrielle Kälteanlagen. Namhafte und global agierende Großunternehmen der Konsumgüterindustrie haben sich beispielsweise im Rahmen des Consumer Goods Forums mit der klaren Zielstellung zusammengeschlossen, bis 2015 in den von ihnen betriebenen Anlagen und Geräten vollständig auf den Einsatz von F-Gasen zu verzichten.

GEA bietet zum Beispiel kleinere Verdichter für synthetische und natürliche Kältemittel an und im mittleren und großen Bereich sind wir heute schon stark mit Ammoniakanlagen vertreten. Aber dies ist nur ein Ausschnitt aus dem Gesamtmarkt.

Dunker: Was wird sich auf dem Klima- und Kältemarkt ändern?

Herten: Mit der F-Gase-Verordnung gehen drei Effekte einher: Es werden ganz andere Kältemittel, nämlich solche mit einem niedrigen GWP, gefragt sein, worauf sich die Kältemittelproduzenten ebenso wie die Hersteller von Anlagenkomponenten einstellen müssen. Schon heute wird eine Vielzahl neuer Kältemittel erprobt beziehungsweise bereits eingesetzt. Auf Initiative des US-amerikanischen Branchenverbandes AHRI werden aktuell neue Niedrig-GWP-Kältemittel untersucht. Ich rechne damit, dass es viele neue Kältemittel beziehungsweise Blends am Markt geben wird. Und mit Sicherheit wird der Anteil der natürlichen Kältemittel Ammoniak, CO2, Kohlenwasserstoffe etc. stark zunehmen.

Ein zweiter Trend ist die Vermeidung von Leckagen. Weniger Leckagen bedeuten geringere Kältemittelverluste, eine höhere Effizienz und ein Plus an Sicherheit. Der Sicherheitsgewinn ist insbesondere von Bedeutung, wenn statt F-Gasen mit hohem GWP brennbare oder giftige Kältemittel eingesetzt werden. Denn der Preis für einen niedrigen GWP-Wert ist aufgrund der chemischen Zusammensetzung der neuen synthetischen Kältemittel in der Regel eine gewisse Brennbarkeit. Auch wenn diese als niedrig eingestuft wird, ist sie doch zu berücksichtigen. Die F-Gase-Verordnung schreibt strenge beziehungsweise häufige Leckagekontrollen vor, sodass sich immer mehr Investoren für „auf Dauer technisch dichte“ Anlagen entscheiden werden.

Abzusehen ist auch, dass Energieeffizienz noch stärker an Bedeutung gewinnen wird. Dafür sprechen drei Gründe: Künftig werden die indirekten CO2-Emissionen – also die durch den Stromverbrauch verursachten – noch stärker ins Gewicht fallen, weil die direkten Emissionen durch das Kältemittel abnehmen. Der zweite Grund ist, dass Energie immer teurer wird und die Kunden sich mehr Effizienz wünschen. Und die Abkehr von den F-Gasen bedeutet in einigen Fällen auch, dass effektive und erprobte Kältemittel nun durch weniger effektive ersetzt werden. Diesen Nachteil gilt es zu kompensieren.

Dunker: Bedeutet das, der Einsatz alternativer, klimafreundlicherer Kältemittel führt zu einem größeren Ressourcenverbrauch im Betrieb?

Herten: Nein, es gilt, anwendungsabhängig die effizienteste Lösung zu finden, die sich auch auf der Kostenseite über den gesamten Lebenszyklus darstellen lässt. Schlussendlich geht es ja darum, die Gesamtemis-sionen zu senken, nicht nur die direkten Emissionen durch Kältemittelaustritt. Deshalb hat Eurovent während der Beratung der EU-Kommission eine ganzheitliche Sicht befürwortet. Was das jeweils beste Kältemittel ist, müssen Planer und Investoren anhand von Effizienz- und Wirtschaftlichkeitsberechnungen anwendungsabhängig entscheiden.

Dunker: Gibt es empfehlenswerte Kältemittel, zum Beispiel natürliche?

Herten: Wer auf natürliche Kältemittel setzt, ist bezüglich der F-Gase-Verordnung auf der sicheren Seite. Aber der Einsatz eines natürlichen Kältemittels muss nicht immer optimal sein. Je nach Anwendung, also Ziel- und Umgebungstemperatur, Anlagengröße und Jahresbetriebsstunden sind unterschiedliche Szenarien möglich.

Dunker: Was sollten Investoren vor diesem Hintergrund beachten, damit ihre Lösung zukunftssicher ist?

Herten: Unabhängig vom Kältemittel ist es wichtig, Sparpotenziale auszunutzen und so oft wie möglich Umweltenergie einzubeziehen, um die Gesamtenergiebilanz zu optimieren. Lohnenswert ist auch „der Blick über den Tellerrand“, etwa nicht nur das Kühlen zu betrachten, sondern auch die Wärmeprozesse im Unternehmen. In vielen Fällen kann die Abwärme einer Kälteanlage mit einer Add-on-Wärmepumpe auf ein Temperaturniveau gehoben werden, das zur Heißwasserbereitstellung, für Prozesswärme in der Nahrungsmittelindustrie oder für Heizzwecke ausreicht. Diese Art der Abwärmenutzung ist deutlich effizienter als zum Beispiel der Einsatz eines Gas-Heizkessels und schont darüber hinaus die Umwelt.

Dunker: Sie sprachen eben an, dass Leckagen auch wegen der Personensicherheit wichtig sind. Hat sich durch die F-Gase-Verordnung hier einen neue Situation ergeben?

Herten: In der Tat ist es so, dass neue synthetische Kältemittel mit geringerem Treibhauseffekt in der Regel eine leichte Brennbarkeit aufweisen, wenn auch auf niedrigem Niveau. Brennbar heißt aber nicht unbeherrschbar. Geräteanbieter, Anlagenbauer müssen mit neuen Kältemitteln umgehen lernen. Bei Eurovent diskutieren wir gerade auf globaler Ebene mit Verbänden aus Amerika und Asien über die resultierenden Anforderungen für die Ausbildung und das Training von Installateuren. Und wir brauchen praxisgerechte Sicherheitsvorgaben.

Aus der F-Gase-Verordnung wachsen also – wie das Beispiel Brandschutz zeigt – viele neue Anforderungen. Ich glaube darum, dass sich die Kälte- und Klimatechnik in den kommenden fünf bis zehn Jahren stärker verändern wird als in den ganzen letzten 50 Jahren. Auch für GEA als Gerätehersteller liefert die neue Verordnung eine Motivation, Entwicklungen in neue Richtungen zu treiben.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Herten.

Fußnoten

1) „F-Gase-Verordnung“: Verordnung (EU) Nr. 517/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über fluorierte Treibhausgase und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 842/2006, Amtsblatt der Europäischen Union, L 150, 20. Mai 2014, Download auf www.eur-lex.europa.eu

Vita

Christian Herten (Jahrgang 1965) ist seit 2013 Präsident der Eurovent Association. Er vertrat zuvor bereits seit 2007 als Vice President im Eurovent-Vorstand die Interessen der europäischen Heizungs-, Lüftungs-, Kälte- und Klimatechnikbranche als Delegierter des VDMA (Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau, Fachverband Allgemeine Lufttechnik). Neben seinen Erfahrungen im Verbandswesen kommt Herten auch sein langjähriges Engage-ment im Bereich Klima- und Kältetechnik der GEA zugute: Seit 2012 ist er Direktor für Qualitäts-, Arbeitsschutz- und Umweltschutzmanagement bei der GEA Refrigeration Technologies GmbH, Bochum, und war zuvor über zehn Jahre im Bereich Klimatechnik der GEA tätig, unter anderem als Leiter Produktmanagement und als Leiter Business Development.

Eurovent Association

Die Eurovent Association ist als europäischer Verband von 19 nationalen Branchenverbänden aus 17 Nationen einer der größten Repräsentanten in der Heizungs-, Klima-, Kälte- und Lüftungstechnik. Eurovent repräsentiert mehr als 1000 Unternehmen, mehrheitlich KMU, mit insgesamt 21 Mrd. Euro/a Umsatz und über 125 000 Mitarbeitern. Mit Sitz in Brüssel hat der 1958 gegründete Verband optimale Möglichkeiten, sich in allen Bereichen bei klima- und kältetechnikrelevanten Themen der EU einzubringen. Ein Ziel dabei ist, bereits im Entstehungsprozess neuer Regelungen darauf hinzuwirken, dass diese unter Berücksichtigung konsolidierter repräsentativer Industriestandpunkte entstehen und beispielsweise die technische Machbarkeit sichergestellt wird. Insbesondere beteiligt sich Eurovent aktiv am ErP(Ökodesign)-Prozess der EU zur Erarbeitung von gesetzlichen Regelungen für energieverbrauchsrelevante Produkte, zu denen beispielsweise alle Lüftungsgeräte mit Ventilatoren gehören. Aktuell ist Eurovent maßgeblich an der Diskussion um die Revision der Ventilatoren-Verordnung 327/2011 beteiligt. Der Verband diskutiert zudem in globalen Gremien, wie Anlagenerrichter und Wartungspersonal im Umgang mit neuen Kältemitteln geschult und mit ihren Vorteilen und Risiken vertraut gemacht werden.

Das Spektrum der Geräte, die Eurovent im Fokus hat, erstreckt sich vom einfachen Abluftventilator bis hin zur Kältezentrale, der Einsatzbereich vom Lüften, Heizen und Kühlen im Wohnungsbau über das Gewerbe bis zur Industrie. Diskussionen finden im Rahmen von Product Groups zwischen Unternehmensvertretern als Delegierte der nationalen Mitgliedsverbände und Verbandsvertretern statt. Eine Erweiterung des produktbezogenen Ansatzes in Richtung übergreifend strukturierter Arbeitsgruppen, die entlang den teilweise mehrere Produktgruppen betreffenden ErP-Anforderungen arbeiten, ist in Vorbereitung (Issue Groups). Entscheidungsprozesse, beispielsweise zum Einbringen von konsolidierten Industriepositionspapieren bei der EU-Kommission, sind demokratisch strukturiert. Über die nationalen Mitgliedsverbände besteht die Möglichkeit zur Einflussnahme bei Entscheidungen, an denen die EU-Mitgliedstaaten direkt beteiligt sind. Eurovent liegt ausdrücklich an einer nachhaltigen Umsetzung von Energieeffizienzmaßnahmen und Klimaschutz. Die Eurovent Association ist Mehrheitseigentümer der nach EN ISO 17065 akkreditierten Eurovent Certita Certification Company mit Sitz in Paris, die Produkte der Klima- und Kältetechnik zertifiziert und so für Vergleichbarkeit und Transparenz im Markt sorgt. Außerdem gibt es die Eurovent Market Intelligence, die aktuelle Statistiken und Marktzahlen der Branche auf Basis repräsentativer Stichproben aus Herstellerdaten erarbeitet. http://www.eurovent-association.eu

Natürliche oder nicht?

Effiziente Ammoniak-Lösungen 3 oder beispielsweise CO2-Kälteanlagen sind auch nach Inkrafttreten der F-Gase-Verordnung zukunftssicher. Beim Einsatz natürlicher, klima- und umweltschonender Kältemittel werden die neuen Anforderungen erfüllt. Aber natürliche Kältemittel müssen nicht immer das Optimum darstellen. Je nach Anwendung ergibt sich bei Einsatz mancher synthetischer (und weiterhin zugelassener) Kältemittel eine bessere (Umwelt-)Bilanz. Schlussendlich müssen Planer und Investoren den gesamten Lebenszyklus einer Anlage betrachten und fallweise entscheiden: Hierbei spielen Art und Menge des Kältemittels, der Stromverbrauch über die gesamte Einsatzdauer, Nachfüllmengen (Stichwort „technisch dicht“ und „Leckprüfung“) und schlussendlich die Entsorgung eine Rolle. Es ist jedoch damit zu rechnen, dass immer mehr Hersteller ihre Geräte für den Einsatz natürlicher Kältemittel oder solcher mit geringem GWP (Global Warming Potential) optimieren.

Zum Thema … F-Gase-Verordnung und Kältemittel

Herr Herten, die neue F-Gase-Verordnung … ist ein riesiger Schritt für die Branche und wird nicht nur in Europa, sondern weltweit Wirkung zeigen.

Die Industrie … hat nun durch die F-Gase-Verordnung – wie auch Planer und Investoren – mehr Planungssicherheit und wird für den europäischen und den Weltmarkt verstärkt Produkte anbieten, mit denen sich die neuen Vorgaben erfüllen lassen.

Natürliche Kältemittel … waren in der Industrie schon immer ein Thema. Durch die neue Verordnung rücken sie auch bei anderen Zielgruppen und Anwendungen in den Fokus.

Die Brennbarkeit … mancher alternativer Kältemittel darf nicht schrecken, muss aber thematisiert und der Umgang mit ihnen bei Installateuren und Betreibern vermittelt und etabliert werden.

Die Preise … für viele der Sicherheitskältemittel werden steigen, denn die zu erwartende nachlassende Nachfrage wird die Kältemittelindustrie nicht unbeantwortet lassen. Im Gegenzug werden die zunächst knappen und damit teureren neuen Kältemittel mit geringem GWP mittelfristig wahrscheinlich preiswerter.