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EU-Kommission legt Energie- und Klimapaket zur Emissionsminderung vor

Wer wagt den ersten Schritt?

Ein Drehbuchautor hätte die Kulisse nicht besser inszenieren können: Als die EU-Kommission am 10. Januar in Brüssel ihren Energieplan 2020 vorstellte, demonstrierte Russland gerade per abgestellter Rohölpipeline seine Definition von Zuverlässigkeit als Energielieferant und Temperaturen um 15 °C trotzten dem kalendarischen Winter. Doppelter Klimawandel? Die Vorstellung der EU-Kommissare roch nach Aktionismus, doch der Termin stand schon seit langem fest. Europa will seine Energiepolitik neu ausrichten. Dreifacher Klimawandel?

Energieplan der EU-Kommission

Folgendes schlägt die EU-Kommission in ihrer Mittelung Begrenzung des globalen Klimawandels auf 2 Grad Celsius. Der Weg in die Zukunft bis 2020 und darüber hinaus u.a. vor:

  • Der Rat soll beschließen, dass die Industrieländer bis 2020 im Rahmen einer internationalen Vereinbarung ihre Treibhausgasemissionen um 30 % senken. Davon unabhängig soll sich die EU verpflichten, die Treibhausgasemissionen bis 2020 um mindestens 20 % im Vergleich zu 1990 zu reduzieren.
  • Verbesserung der Energieeffizienz in der EU um 20 % bis zum Jahr 2020
  • Erhöhung des Anteils der erneuerbaren Energie auf 20 % bis zum Jahr 2020
  • Annahme einer Politik zur CO<sub>2</sub>-Sequestrierung und unterirdischen Speicherung und des Baus von zwölf großen Demonstrationsanlagen in Europa bis 2015.
  • Stärkung des Emissionshandelssystems durch Zuteilungen für längere Zeiträume als fünf Jahre, Ausdehnung des Systems auf andere Gase und Sektoren, Anerkennung von CO<sub>2</sub>-Sequestrierung und unterirdischer Speicherung sowie die EU-weite Harmonisierung der Zuteilungsverfahren.
  • Einbeziehen des Luftverkehrs in den Emissionshandel, Kopplung der Pkw-Steuern an die CO<sub>2</sub>-Emissionen, Begrenzung der CO<sub>2</sub>-Emissionen von Kraftfahrzeugen auf 120 g CO<sub>2</sub>/km bis 2012, Senkung der CO<sub>2</sub>-Emissionen aus Kraftstoffen durch Biokomponenten.
  • Ausdehnung des Anwendungsbereichs der EU-Gebäuderichtlinie und Einführung EU-weiter Anforderungen zur Förderung von Niedrigenergiegebäuden.
  • Eindämmung anderer Triebhausgase im Agrarbereich, bei Kohle-, Öl- und Gasförderung, bei der Verwendung von fluorierten Gasen sowie die Senkung von Stickoxid-Emissionen aus Verbrennungsvorgängen.
  • Unterstützung der Entwicklungsländer.
  • Regelung der Kernenergienutzung auf nationaler Ebene. Es wird empfohlen, mindestens die Laufzeit vorhandener Kernkraftwerke zu verlängern.
  • Schaffung eines Energiebinnenmarkts mit echtem Wettbewerb.
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In ihrer Mitteilung beschreibt die EU-Kommission den Klimawandel als Realität und stellt klar, dass dringend gehandelt werden muss. Erst eine Begrenzung des Anstiegs der globalen Durchschnittstemperatur auf weniger als 2 °C über dem vorindustriellen Niveau begrenze die Wahrscheinlichkeit, dass das globale Ökosystem massiv und unwiderruflich gestört werde. Dazu müssten die CO2-Emissionen drastisch reduziert werden. Das Problem: Selbst wenn Europa seine Treibhausgasemissionen von heute auf morgen - ohne sie zu exportieren - vollständig beendet, ist das 2 °C-Ziel nur durch eine globale Initiative zu erreichen. Doch wie überzeugt man die anderen Länder?

Reaktionen auf den Energieplan

Das Kernelement des EU-Energieplans, eine Minderung der Treibhausgasemissionen der EU bis 2020 um 20 % als Signal ohne Vorbedingungen festzuschreiben und 30 % (jeweils bezogen auf 1990) nur in Aussicht zu stellen, wenn die anderen Industrienationen mitspielen (20/30/2020), wurde von Politikern und Verbänden unterschiedlich aufgenommen:

Zustimmung kommt von der SPD. Per Präsidiumsbeschluss wird der 20/30/2020 -Vorschlag unterstützt. Auch bei der Forcierung der Entwicklung CO2-freier Kraftwerke steht die SPD hinter der EU-Kommission und tritt hier für eine Verstärkung der Forschungsförderung ein. Ein Ausstieg aus dem Atomausstieg in Deutschland wird abgelehnt.

Wohl mit Kalkül kritisierte die stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagfraktion, Katherina Reiche, das Strategiepapier: Die Vorschläge der EU-Kommission zum Klimaschutz bleiben hinter dem Anspruch einer europäischen Führungsrolle in diesem Bereich zurück. Das Ziel, den Ausstoß von Treibhausgasen bis zum Jahr 2020 um 20 % gegenüber 1990 abzusenken, reicht nicht aus. [...] Denn gerade beim Klimaschutz gilt, Investitionen, die wir heute unterlassen, werden in Zukunft zu erheblichen Kosten und Nachteilen führen. Hintergrund der Argumentation: Auch über die Option Kernenergie muss unter Aspekten der Versorgungssicherheit und des Klimaschutzes nachgedacht werden.

Für die Bundestagsfraktion Bündnis 90 / Die Grünen sind die Vorschläge der EU-Kommission eine Enttäuschung auf ganzer Linie . Das Maßnahmenpaket sei viel zu schwach, um den Klimawandel auch nur ansatzweise zu stoppen. Abgelehnt wird auch, das eigene Vorgehen von der Verpflichtung anderer abhängig zu machen. Gefordert werden u.a. ein unkonditioniertes Minderungsziel von 30 % , Maßnahmen zur Energieeinsparung konkret zu unterstützen und 25 % des Stroms, der Wärme und der Treibstoffe bis 2020 aus regenerativen Energien herzustellen. Abgelehnt werden der untaugliche Versuch, die Atomenergie grün zu waschen sowie die Fortschreibung eines fossilen und atomaren Energiemixes .

Die energiepolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion Gudrun Kopp erklärte: Die Bundesregierung muss die [...] Vorschläge der EU-Kommission zum Anlass nehmen, endlich den deutschen Sonderweg in der Energiepolitik zu verlassen. Den ewig Gestrigen, wie z. B. Bundesumweltminister Sigmar Gabriel, darf nicht länger erlaubt werden, ihren blinden Kreuzzug wider jede Vernunft fortzusetzen. Gemeint sind die rein ideologisch motivierte Tabuisierung der Spitzentechnologie Kernenergie als auch die uferlose Subventionierung anderer Energieträger .

Besonders kritisch haben sich die Umweltverbände zu den Vorschlägen der EU-Kommission geäußert: Greenpeace sieht so die Welt sehenden Auges in die Klimakatastrophe schlittern. Die Kopplung an internationale Klimaziele wird als fatal abgelehnt und stattdessen eine aktive Vorreiterrolle verlangt. Deutschland solle sich ohne Vorbedingungen auf 40 % bis 2020 verpflichten. Auch der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland hält 20/30/2020 nicht für ausreichend und warnt: Ohne Nachbesserung wird sich der Klimawandel ökologisch verheerend auswirken und auch wirtschaftlich rächen . Der Bundesverband Erneuerbare Energien, der Bundesverband Windenergie und der Bundesverband Solarwirtschaft haben die Kommissions-Vorschläge als zu dürftig kritisiert. Sie fordern ein Gesamtziel von 25 % erneuerbare Energie bis 2020 und sektorale Mindestziele von 35 % bei Strom, 25 % bei Wärme und 20 % bei Kraftstoffen. Bemängelt wird zudem, dass unausgegorene Technologievisionen, wie das angeblich CO2-freie Kohlekraftwerk oder Subventionsfresser wie die Kernenergie unter der Rubrik Klimaschutz eingeordnet werden.

Handeln statt verhandeln

Der kleine Ausschnitt aus der öffentlichen Diskussion zeigt, dass Europa noch sehr weit von einem beschlussfähigen Aktionsplan entfernt ist. Ein Kardinalfehler scheint zu sein, dass Ziele und Wege, bzw. Aktionen , gemeinsamen in einem Papier stehen sollen.

Ob der Plan der EU-Kommission aufgeht, kurzfristig genügend Industrieländer mit dem 20/30/2020-Angebot zum Mitmachen zu gewinnen, ist fraglich. Die Weltgemeinschaft für dieses Thema am Verhandlungstisch zu begeistern, war bisher nicht erfolgreich. Die EU hat aber eine viel wirkungsvollere Option: Sie könnte einfach handeln.


Steckt die EU ihre Minderungsziele ohne ­Bedingungen ausreichend hoch, beispielsweise um 30 %, wird das andere Länder viel eher zum Nachdenken anregen und dann schon aus wirtschaftlichen Erwägungen zum Handeln zwingen: Wer ein wenig Phantasie aufbringt, wird feststellen, dass Europa durch die Steigerung seiner Energieeffizienz und die drastische Senkung seiner Treibhausgasemissionen seine Wettbewerbsfähigkeit nicht reduziert, sondern langfristig deutlich erhöht. Insbesondere wenn CO2-Emissionen einen realen Preis bekommen.

Minderungsziele auf EU-Basis bedeuten eine differenzierte Verteilung auf die Mitgliedstaaten. Deutschland kann und sollte sich als größter Produzent von Treibhausgasen in der EU dabei besonders hervortun. Ex-Bundesumweltminister Jürgen Trittin hatte 2005 im (verlorenen) Wahlkampf für Deutschland noch eine Senkung um 40 % angekündigt.1) Dazu ist es aus Sicht unserer Branche besonders wichtig, Maßnahmen wesentlich stärker auf der Nachfrageseite, insbesondere im Gebäudebereich, zu diskutieren und zu fördern. Schade: Von den einschlägigen Branchenverbänden gab es keine einzige Presseerklärung zum streitbaren Energie- und Klimapaket der EU-Kommission. Jochen Vorländer

1) Im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD steht: Wir werden daher: [...] vorschlagen, dass sich die EU im Rahmen der internationalen Klimaschutzverhandlungen verpflichtet, ihre Treibhausgasemissionen bis 2020 insgesamt um 30 % gegenüber 1990 zu reduzieren. Unter dieser Voraussetzung wird Deutschland eine darüber hinaus gehende Reduktion seiner Emissionen anstreben; [...]

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