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DIN V 18599

Werkzeug für integrale Planung

RuhrTurm in Essen. In der Konzeptphase wurden mit DIN V 18599 mehrere Energie- und Technikkonzepte untersucht. - Kohl&Fromme Architekten - © Kohl&Fromme Architekten
RuhrTurm in Essen. In der Konzeptphase wurden mit DIN V 18599 mehrere Energie- und Technikkonzepte untersucht. - Kohl&Fromme Architekten

Der steigende Anteil der Energiekosten an den Gesamtkosten einer Immobilie sensibilisiert immer mehr Bauherren und Mieter für das Thema energieeffiziente Gebäude. Soll ein Gebäude nach diesen Kriterien geplant und errichtet werden, müssen alle energetisch relevanten Systeme in die Bilanz einbezogen werden. Neben dem Baukörper und seinen gebäudetechnischen Anlagen spielen die Nutzung, die Nutzungszeit und das örtliche Klima maßgebliche Rollen. Der Energiebedarf eines Gebäudes und somit auch die jährlichen Energiekosten sind aber auch abhängig von vielen sich gegenseitig beeinflussenden Faktoren. Die Abhängigkeit der einzelnen Systeme untereinander ist von Objekt zu Objekt verschieden und kann ohne detaillierte Analyse im Vorfeld nicht pauschaliert werden. Schon der Energiebedarf für einen Raum bzw. eine Zone ist von einer Vielzahl von Faktoren abhängig [1], die wesentlichen sind:

• Geografische Lage

• Orientierung

• Außentemperatur

• Solarstrahlung

• Nutzungszeiten

• Nutzungsart

• Raumtemperatur

• Raumlufttechnik

• Gebäudeautomation

• Raumgeometrie

• Glasanteil der Fassade

• interne Lasten

• benachbarte Zonen

• Wärmedämmstandard

• Speicherfähigkeit der Bauteile

• Sonnenschutzsystem

• Tageslichtnutzung

• Nutzer/Betreiber

Symbiose von Bauwerk und Technik

Um ein energieeffizientes Gebäude zu erhalten, genügt es demnach nicht, energiesparende Technik für einzelne Gewerke im Gebäude zu installieren, ohne die Wechselwirkungen zu den ande­ren Systemen zu berücksichtigen. Energieeffiziente Gebäude ergeben sich erst aus einer Symbiose von Bauwerk und Technik. Sie integrieren das Bauwerk in ein Energie- und Technikkonzept.

Einzelne Bauteile, beispielsweise Decken­elemente, nehmen dabei eine Vielzahl von Aufgaben wahr. Diese können zur Beheizung und zur Kühlung verwendet werden und sind gleichzeitig eine thermische Speichermasse mit einer hohen Wärmekapazität. Transparente Fassadenflächen haben mit ihren spezifischen Eigenschaften einen direkten Einfluss auf den Heiz- und Kühlbedarf sowie den elektrischen Energieverbrauch zur künstlichen Beleuchtung. Moderne Sonnenschutzsysteme vermindern den Solareintrag im Sommer und sind Bestandteil der Tageslichtnutzung mit Lichtlenkung. Die (noch einfachen) Beispiele zeigen, dass nur gemeinsam, mit gewerkeübergreifendem integralem Ansatz erarbeitete Lösungen ein optimales Planungsergebnis erwarten lassen.

Um den Energiebedarf eines Gebäudes berechnen zu können, müssen die Wechselwirkungen und Abhängigkeiten der Systeme in der Bilanz berücksichtigt werden. Eine dazu notwendige Vereinfachung ist die Bildung von Zonen mit (weitgehend übereinstimmenden) Parametern. Um die Gesamtbilanz des Gebäudes zu erhalten, müssen zusätzlich die einzelnen Zonen des Gebäudes unterei­n­ander energetisch bilanziert werden.

Mit DIN V 18599 [2] ist es erstmals möglich, diese ganzheitliche Bewertung des Baukörpers, der Gebäudenutzung und der Anlagentechnik unter Berücksichtigung der gegenseitigen Wechselwirkungen ohne komplexe Simulationsprogramme durchzuführen. Neu in DIN V 18599 ist außerdem die Berücksichtigung der Energie für Kälte, Beleuchtung und Raumlufttechnik (über die thermodynamische Aufbereitungsstufe Heizen hinaus) in der Energiebilanz.

DIN V 18599 ermöglicht mit ihren Rechenalgorithmen eine energetische Bilanzierung des gesamten Gebäudes und der einzelnen Zonen. Durch die Bilanzierung aller benötigten Energien und die Trennung nach Energieträgern kann bereits frühzeitig in der Planung eine zuverlässige Aussage über den späteren Energiebedarf des Gebäudes getroffen werden. Der Planer erhält so die Chance, verschiedene Energie- und Technikkonzepte energetisch zu bewerten und entsprechend zu vergleichen. So können in frühen Planungsphasen sehr schnell einzelne Varianten anhand der jährlichen Energiekosten miteinander verglichen werden. Neben dem Energiebedarf können weitere Kriterien zum Vergleich bzw. als Entscheidungsgrundlage benutzt werden, beispielsweise:

• Primärenergieverbrauch

• CO²-Ausstoß/-Einsparung

• Amortisation der Energiesysteme

• Sensitivitätsanalyse bei Verteuerung von Energieträgern

Das Werkzeug für das Werkzeug

Die intensive Beschäftigung mit den einzelnen Teilen der DIN V 18599 zeigt, wie umfangreich und detailliert die Teilbereiche betrachtet werden (müssen). Einzelne Berechnungen und Bilanzierungen sind so komplex, dass sie „zu Fuß“ nur mit enorm hohem Zeitaufwand möglich wären. Eine fehlerfreie Anwendung per Hand ist unrealistisch, die Durchführung von Nachweis-, Wirtschaftlichkeits- und Optimierungsrechnungen ohne entsprechende Software unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten aussichtslos.

Als erste Berechnungshilfe stand das „Excel Tool zur DIN V 18599“ [3] zur Verfügung. Es wurde im Auftrag des Bundesamts für Bauwesen und Raumordnung vom Fraunhofer-Institut für Bauphysik programmiert. Die Benutzeroberfläche ist allerdings so komplex, dass man sich vor der Nutzung bereits sehr eingehend mit DIN V 18599 beschäftigt haben muss.

Im Rahmen der von Ebert-Ingenieure beauftragten Diplomarbeit „DIN V 18599 als Werkzeug für den integralen Planungsprozess“ [1], wurde das Excel Tool gründlich getestet. Bei der Erprobung wurden unter anderem auch besonders praxisrelevante nachträgliche Flächenänderungen und deren Auswirkungen näher untersucht. Die Ergebnisse zeigten, dass das Excel Tool als Berechnungswerkzeug für einen komplexen Planungsprozess ungeeignet ist.

Ein wesentliches Problem sind Änderungen der Architektur im laufenden Planungsprozess. Da die Bilanzierung der einzelnen Energieströme auch in Wechselwirkung mit den benachbarten Zonen steht, müssen alle die Zonen umfassenden Flächen erfasst werden. Angrenzende Bauteile müssen dazu bei beiden Zonen aufgeführt und eingegeben werden. Wird beispielsweise die Grundfläche einer Zone verändert, hat dies eine Vielzahl von Änderungen zur Folge. Exemplarisch wurde dazu in einem Gebäude eine Wandscheibe verschoben, um einen Besprechungsraum zu vergrößern (Bild 2).

Folgende Änderungen mussten im Excel Tool nachgeführt werden, um die vergleichsweise einfache Änderung der Architektur zu berück­sichtigen.

Änderungen im Excel Sheet „Flaechen“

• Grundfläche der Zone Besprechung wird größer

• Fassadenbrüstungsfläche der Zone Besprechung wird größer

• Glasfläche Fassade der Zone Besprechung wird größer

• Innenwandfläche zur Zone Verkehrsfläche wird größer

• Deckenfläche der Zone Besprechung gegen Außenluft wird größer

• Deckenfläche der Zone Besprechung gegen Keller wird größer

• Grundfläche der Zone Gruppenbüro wird kleiner

• Fassadenbrüstungsfläche der Zone Besprechung wird kleiner

• Glasfläche Fassade der Zone Besprechung wird kleiner

• Innenwandfläche Gruppenbüro zur Zone Verkehrsfläche wird kleiner

• Deckenfläche der Zone Gruppenbüro gegen Außenluft wird kleiner

• Deckenfläche der Zone Gruppenbüro gegen Keller wird kleiner

• Deckenfläche Keller gegen oben angrenzende Zone Gruppenbüro wird kleiner

• Deckenfläche Keller gegen oben angrenzende Zone Besprechung wird größer

• Innenwandfläche Flur zur Zone Gruppenbüro wird kleiner

• Innenwandfläche Flur zur Zone Besprechung wird größer

Änderungen im Excel Sheet „Zonen“

• Nutzfläche der Zone Gruppenbüro wird kleiner

• Raumvolumen der Zone Gruppenbüro wird kleiner

• Nutzfläche der Zone Besprechung wird größer

• Raumvolumen der Zone Besprechung wird größer

Änderungen im Excel Sheet „Licht“

Für die Bilanzierung der Beleuchtung müssten zudem noch einige Parameter abgeändert werden. So waren die Parameter

• Raumtiefe

• Raumbreite

• Alternativ: Angabe Fläche tageslichtversorgter Bereich

• Alternativ: Angabe Fläche nicht tageslichtversorgter Bereich

• Fläche Rohbauöffnung

je nach Zuordnung und Orientierung anzupassen.

Das Beispiel zeigt, eine minimale Änderung, wie sie im laufenden Planungsprozess ständig vorkommt, hat enorme Auswirkungen auf die Fortschreibung der DIN V 18599-Bilanzierung im Excel Tool. Bei einer Parallelverschiebung einer Innenwand wären ca. 23 Änderungen durchzuführen. Je komplexer das Gebäude, desto mehr Änderungen müssen einzeln eingegeben werden. Das zeigt, wie vielschichtig die Zonierung allein auf geometrischer Ebene ist und welchen enormen Aufwand eine Änderung der Gebäudearchitektur, auch zur Optimierung von Raumplatzierungen, zur Folge hat. Im Excel Tool ist zudem jede Änderung eine hohe Fehlerquelle.

Optimierung mit dem 3D-Modell

Die Lösung ist ein objektorientiertes 3D-Gebäudemodell (Bilder 3 und 4). Mit dessen Hilfe wird es möglich, die gesamtenergetische Bewertung des Gebäudes vorzunehmen und schrittweise zu optimieren. Der Energiebedarf des zu planenden Gebäudes kann so mit vergleichsweise geringem planerischen Aufwand und hoher Transparenz auf ein Minimum reduziert werden.

In einem aktuellen Projekt von Ebert-Inge­nieure in Zusammenarbeit mit dem Architekturbüro Kohl&Fromme wurden verschiedene Energie- und Technikkonzepte für den RuhrTurm in Essen erarbeitet. Hier wurde bereits in der Konzeptphase geprüft, welche Auswirkungen die einzelnen Konzepte auf die jährlichen Betriebskosten haben.

Neben unterschiedlichen Raumklimakonzepten wurden auch Varianten bezüglich Beleuchtung und Energieerzeugung untersucht. Für jede Variante ermittelte man hierzu den Energiebedarf für Wärme, Kälte, Raumlufttechnik und Beleuchtung. Für den potenziellen Mieter (Investor) konnte so frühzeitig dargestellt werden, welche späteren Kosten auf ihn zukommen. Nur so ist es möglich, vor Planungsbeginn die Weichen richtig zu stellen, um ein energieeffizientes Gebäude zu errichten.

In einer gesamtenergetischen Bilanzierung wird das zu planende Gebäude über ein Jahr hinweg in Abhängigkeit der oben aufgeführten Faktoren bilanziert. Als Ergebnis erhält man eine detaillierte Auflistung aller Energieströme für alle Gewerke und Zonen (Bilder 5 und 6)

Zusätzlich ist mit einem objektorientierten Gebäudemodell für alle Planungsbeteiligten eine gesicherte Datenkonsistenz gegeben. Der gesamte Planungsstand im Gebäudemodell wird dokumentiert und kann an die Planungsbeteiligten übergeben werden. Die gewählte Anlagentechnik wird mit Regelungskonzepten verknüpft, was entsprechend in die Bilanz eingeht, denn gerade das Regelungskonzept hat einen großen Einfluss auf den späteren Energieverbrauch des Gebäudes.

Die Bilanzierung mit einem objektorientierten 3D-Gebäudemodell ermöglicht ein vorteilhaftes zentrales Ändern von technischen Daten, beispielsweise die Erhöhung des Fensterflächen­anteils oder ein Gebäude mit und ohne Kühlung, mit minimalem Aufwand darzustellen. Im Anschluss können umgehend die Auswirkungen auf den Energiebedarf der jeweiligen Variante und somit die jährlichen Energiekosten dieser aufgezeigt werden.

Gleichzeitig können diverse Planänderungen hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Energie­bilanz untersucht, eingeschätzt und vor Baubeginn frühzeitig geprüft werden. Diese schnelle und kostengünstige Variantenrechnung ermittelt die wirtschaftlichste Konzeption.

Zusammenfassung

Mit DIN V 18599 ist es erstmalig gelungen, ein europaweit einzigartiges Werkzeug für die gesamtenergetische Bewertung von Gebäuden zur Verfügung zu stellen. Die entwickelten Rechenalgorithmen für die energetische Bilanzierung sind sowohl für Wohn- und Nichtwohnbauten, als auch für Neubauten und den Bestand anwendbar. Die Vornorm enthält zwar noch eine Vielzahl an kleinen Fehlern und Schwachstellen, jedoch wird sie derzeit überarbeitet (mit Ausgabedatum Februar sind alle Vornormenteile überarbeitet veröffentlich worden). Sind diese Mängel beseitigt, wird den Planern und Ingenieuren ein hervorragendes Werkzeug für den integralen Planungsprozess an die Hand gegeben.

DIN V 18599 ermöglicht es, den Energiebedarf für Gebäude sowie den Einsatz erneuerbarer Energien schon in frühen Planungsphasen abzuschätzen, zu bewerten und Entscheidungen vorzubereiten. Die dazu notwendigen Daten und Informationen sind sehr umfangreich und müssen teilweise sehr detailliert vorliegen bzw. vor Ort aufgenommen werden.

Wird die Bilanzierung nur für die Erstellung eines Gebäudeenergieausweises durchgeführt, ist der Aufwand kaum zu rechtfertigen. Der Gebäudeenergieausweis sollte vielmehr am Ende eines integralen Planungsprozesses und dem Bau eines energieeffizienten Gebäudes lediglich als „Abfallprodukt“ entstehen.

Um ein wirtschaftliches und fehlerfreies Anwenden von DIN V 18599 im realen Planungsprozess zu gewährleisten, ist ein 3D-Gebäudemodell erforderlich. Nur so ist es möglich, Änderungen in der Geometrie und der Zonierung des Gebäudes nachvollziehbar durchzuführen. Später kann dieses Modell für viele weitere Planungsaufgaben sowie im Gebäudebetrieb für wichtige Aufgaben genutzt werden.

Viele Bauherren haben bereits erkannt, dass sich durch geringfügige Planungsmehrkosten die jährlich wiederkehrenden Betriebskosten und ­somit auch die Lebenszykluskosten eines Gebäudes reduzieren lassen. Hier gilt es zu überdenken, ob eine mit den Baukosten gekoppelte Vergütung künftig noch sinnvoll ist. Oftmals bedeutet der ­intelligente Verzicht auf teure Technik (Anlagentechnik) zwar mehr Planungsaufwand, jedoch können Investitions- und Betriebskosten eingespart werden. In einem solchen Fall „bestraft sich der Planer heute selbst“, da er nach den Baukosten seines Gewerkes honoriert wird. Für eine erfolgreiche Integrale Planung und die Errichtung energieeffizienter und über den gesamten Lebenszyklus kostengünstiger Gebäude ist eine Über­arbeitung der Grundleistungen der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) erforderlich.

Literatur

[1] Markus Faigl: DIN V 18599 als Werkzeug für den integralen Planungsprozess. Nürnberg/Hochschule Biberach Gebäudetechnik/Klimatik: Diplomarbeit, Januar 2006

[2] DIN V 18599 Energetische Bewertung von Gebäuden, Teil 1 bis 10. Berlin: Beuth Verlag, ab Juli 2005, (neue Ausgabe: Februar 2007)

[3] Excel Tool, (Excel Tool Version 2.0; Stand 12/2006), Download auf https://www.ibp.fraunhofer.de/

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