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Empa / Studie

Klimawandel: Immer mehr Energie für Kühlung

Durch den klimawandelbedingten Temperaturanstieg wird der Kühlbedarf von Gebäuden steigen. Eine Hochrechnung von Empa-Forschenden basierend auf Daten des NEST-Gebäudes und künftigen Klimaszenarien für die Schweiz zeigt, dass der Anstieg des Energiebedarfs für die Kühlung erheblich sein dürfte und einen starken Einfluss auf ein künftiges – elektrifiziertes – Energiesystem haben kann.

Mit dem Klimawandel steigt die Durchschnittstemperatur in den kommenden Jahrzehnten an. Damit dürfte auch die Anzahl der Kühlgradtage deutlich zunehmen. Diese messen die Anzahl Stunden, in denen die Umgebungstemperatur über einem Schwellenwert liegt, bei dem ein Gebäude gekühlt werden muss, um die Innentemperatur auf einem angenehmen Niveau zu halten.

Die steigenden Werte können dazu führen, dass vermehrt Kühlgeräte in privaten Haushalten installiert werden. Dadurch könnte der Energiebedarf für die Kühlung von Gebäuden, der bereits durch den Klimawandel und das Bevölkerungswachstum zunehmen wird, noch weiter ansteigen.

Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Heizen und Kühlen

Um ein besseres Verständnis dafür zu bekommen, wie stark diese Zunahme in der Schweiz sein wird, haben Empa-Forschende den Heiz- und Kühlbedarf des Forschungs- und Innovationsgebäudes NEST analysiert. „Unter Einbezug der Umgebungstemperaturen konnten wir basierend auf den Klimaszenarien für die Schweiz eine Hochrechnung zum zukünftigen thermischen Energiebedarf von Gebäuden durchführen. Dabei haben wir neben dem Klimawandel auch das Bevölkerungswachstum und einen zunehmenden Einsatz von Kühlgeräten berücksichtigt“, erklärt Robin Mutschler, Postdoc am Urban Energy Systems Lab der Empa.

Die Ergebnisse prognostizieren einen starken Anstieg des Kühlenergiebedarfs: Geht man von einem extremen Szenario aus, bei dem die gesamte Schweiz auf Klimaanlagen angewiesen wäre, würde bis Mitte des Jahrhunderts fast genauso viel Energie zum Kühlen wie zum Heizen benötigt.

In Zahlen ausgedrückt, entspricht dies etwa 20 TWhth/a (1 THW = 1 Mrd. kWh/a) für das Heizen und 17,5 TWhth/a für das Kühlen. Die benötigte Kühlenergie wurde Technologie-unabhängig berechnet: Falls diese mittels Umkehr eines Wärmepumpen-Prozesses beispielsweise mit einem COP von 3 für das Kühlen bereitgestellt wird, beträgt der Elektrizitätsbedarf für 17,5 TWhth/a Kühlenergie etwa 5,8 TWhel/a.

Der Heizbedarf der bewohnten Module im NEST-Gebäude ist vergleichbar mit dem eines modernen Mehrfamilienhauses. Die berechneten Zahlen sind deshalb repräsentativ, wenn davon ausgegangen wird, dass der durchschnittliche Schweizer Gebäudepark dem NEST-Gebäude entspricht. Wann dies der Fall sein wird, hängt von der Sanierungsrate ab.

Auch in einem moderateren Szenario wird der Kühlbedarf in der Schweiz deutlich ansteigen. Die Forschenden gehen in diesem Szenario von einem zusätzlichen Energiebedarf von 5 TWhth/a aus.

Kühlgradtage: Die Linien-Grafik zeigt für 1951 bis 2017 das Mittel der Kühlgradtage in den Sommerklimaregionen nach DIN 4108-2:2013-2 in Kelvin pro Tag. Die Abbildung ist differenziert für die Sommerklimaregionen A, B und C in Deutschland. Alle drei Linien zeigen bei deutlichen Schwankungen zwischen den Jahren einen signifikant steigenden Trend mit einem deutlichen Hochpunkt in 2003.

Umweltbundesamt / Quelle: Deutscher Wetterdienst

Kühlgradtage: Die Linien-Grafik zeigt für 1951 bis 2017 das Mittel der Kühlgradtage in den Sommerklimaregionen nach DIN 4108-2:2013-2 in Kelvin pro Tag. Die Abbildung ist differenziert für die Sommerklimaregionen A, B und C in Deutschland. Alle drei Linien zeigen bei deutlichen Schwankungen zwischen den Jahren einen signifikant steigenden Trend mit einem deutlichen Hochpunkt in 2003.

Starker Einfluss auf das Schweizer Energiesystem

Ähnlich wie in Deutschland hat der Energiebedarf von Schweizer Gebäuden heute einen Anteil von rund 40 % des Gesamtenergiebedarfs. Der Hauptteil entfällt dabei auf das Heizen. Dies wird wohl bis mindestens zur Mitte des 21. Jahrhunderts so bleiben, doch es ist zu erwarten, dass der Energiebedarf für die Gebäudekühlung stark zunehmen wird.

Falls die thermische Energie durch Wärmepumpen, die auch kühlen können, zur Verfügung gestellt wird, hat dies potenziell einen starken Einfluss auf das Gesamtenergiesystem und insbesondere auf den Energieträger Elektrizität. Dazu dürfte kommen: Wenn erst einmal eine Wärmepumpe und ein dafür geeignetes System zur Wärmeübergabe in den Räumen installiert ist, wird es auch häufiger schon eingesetzt werden um den Komfort zu erhöhen und nicht nur um Diskomfort abzuwenden.

Derzeit besitzt nur ein kleiner Teil der Schweizer Haushalte eine Klimaanlage, jedoch nimmt die Anzahl der Haushalte mit Wärmepumpen zu. Die Empa-Forschenden schätzen, dass die Zahl der Haushalte mit Kühlgeräten aufgrund der Zunahme der Kühlgradtage auf über 50 % ansteigen könnte. Diese Zunahme könnte zu erheblichen Bedarfsspitzen an heißen Tagen führen.

Ein zusätzlicher Energiebedarf von 5 TWhth für die Kühlung entspräche etwa 2 % des heutigen Strombedarfs der Schweiz, falls mit Wärmepumpen gekühlt wird. Im extremen Szenario könnte der Bedarf für das Kühlen gar in Richtung 10 % des heutigen Gesamtelektrizitätsbedarfs gehen.

Dieser wird aber nicht gleichmäßig über das ganze Jahr verteilt sein, sondern mit heißen Perioden korrelieren, was zu Bedarfsspitzen führen kann. Von Vorteil ist, dass sich der Kühlbedarf relativ gut mit der Elektrizitätserzeugung aus Photovoltaik-Anlagen deckt. Die Auswirkung der Kühlung von Wohngebäuden wird dabei im Vergleich zu Bürogebäuden deutlich höher sein, da diese etwa zwei Drittel der Gebäudefläche ausmachen.

Weitere Möglichkeiten zur Spitzelastreduzierung sind eine vorausschauende Gebäudekühlung und die Speicherung von Kälte.

Senkung von Wärmegewinnen im Sommer muss in den Fokus

Anhand dieser Erkenntnisse steht für die Forschenden fest, dass beim Bau neuer Gebäude diese Entwicklungen berücksichtigt und die Möglichkeiten wie die passive Kühlung voll ausgeschöpft werden sollten. „Bei der Gebäudearchitektur sollte nicht mehr nur die Optimierung von Wärmeverlusten im Winter im Zentrum stehen, sondern auch die Senkung von Wärmegewinnen im Sommer“, meint Mutschler.

Dies ließe sich etwa durch städtebauliche Maßnahmen zur Klimaanpassung auf Quartiersebene, das Umsetzen von Programmen zur Hitzeminderung oder die Reduzierung der Verglasungsanteile von Gebäuden erreichen.

„Darüber hinaus ist es zentral, dass sich auch die Politik mit dieser Entwicklung auseinandersetzt und untersucht, wie der steigende Kühlenergiebedarf am besten gedeckt und gleichzeitig die Auswirkungen auf das zukünftige, dekarbonisierte Energiesystem minimiert werden können“, so Mutschler.

Ein möglicher Beitrag zur Kühlung von Gebäuden können Fernkühlsysteme liefern, die in der Schweiz – etwa in Genf – bereits erfolgreich umgesetzt wurden. Diese gibt es auch in Deutschland, u. a. in Chemnitz (seit 1973), Gera und München; der Marktanteil ist aber sehr klein und der Infrastrukturaufwand in bestehenden Stadteilen oft sehr hoch. ■

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Originalpublikation:
R Mutschler, M Rüdisüli, P Heer, S Eggimann; Benchmarking cooling and heating energy demands considering climate change, population growth and cooling device uptake; Applied Energy (2021); doi: 10.1016/j.apenergy.2021.116636
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Siehe auch:
Dekarbonisierung von Industrie und Fernwärme

 
Kühlgradtage (in Deutschland)

Kühlgradtage sind eine (fiktive) Größe, die ausgehend von der Überschreitung eines Temperaturschwellenwerts, in diesem Fall 22 °C, berechnet wird, indem man die Höhe der Überschreitung pro Tag für alle Tage eines Jahres in gewichteter Form aufsummiert:

● Das geringste Gewicht haben Tage, an denen allein die Tageshöchsttemperatur die Schwelle überschreitet. In diesem Fall wird die Differenz von Tageshöchsttemperatur und Schwellenwert zu einem Viertel angerechnet.
● Das höchste Gewicht erhalten Tage, an denen das Tagesminimum der Temperatur über der Schwelle liegt. Hier wird die Differenz aus Tagesmittel und Schwellenwert gezählt.
● Dazwischen liegen Tage, an denen die mittlere Temperatur über dem Schwellenwert liegt.

Die Daten für die Zeitreihe der Sommerklimaregion A lieferten die ⁠DWD⁠-Stationen Bremerhaven und Stötten auf der Schwäbischen Alb. Für die Sommerklimaregion B wurden die Werte der Stationen Potsdam, Essen und Hamburg-Fuhlsbüttel verwendet, und Region C wird durch die Station Mannheim repräsentiert.