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Abwasserwärmenutzung

Kalte Nahwärme: Ohne Brennstoff heizen

Der Nachholbedarf auf dem Wärmemarkt gefährdet den Erfolg der Energiewende – falls sich nichts ändert. Doch die CO2-Bepreisung zeigt Wirkung: Die Diskussion um den richtigen Brennstoff ist in vollem Gange. Dabei gibt es auch Lösungen, die ganz ohne Brennstoff auskommen.

Kompakt zusammengefasst
■ Bei einem Quartierskonzept in Schallstadt ersetzt Abwasserwärmenutzung Primärenergie in beträchtlichem Umfang und entspricht den Vorgaben zur Nutzung erneuerbarer Energie des Gebäudeenergiegesetzes.
■ Sekundärseitig ist das mit einem unterirdischen 500-m3-Pufferspeicher kombinierte kalte Nahwärmenetz die Wärmequelle und -senke für dezentrale Wasser/Wasser-Wärmepumpen zur Raumheizung und -kühlung und die Trinkwassererwärmung von 200 Wohnungen und einem öffentlichen Gebäude.
 

Bei steigenden Energiepreisen wird die Abwasserwärmenutzung zunehmend wirtschaftlich interessant. Sie ist Stand der Technik, seit mehr als drei Jahrzehnten in der Schweiz und in Deutschland bekannt für die Schwimmbadbeheizung, für die Trocknung von Klärschlamm und – bei geeigneten Temperaturverhältnissen – für gewerbliche Nutzungen.

Der technologische Fortschritt bei Wärmepumpen und Geräten zur Wärmeübertragung in Verbindung mit kalter Nahwärme ermöglicht, neben Einzelobjekten auch komplette Wohngebiete auf diese Weise effizient und klimaschonend mit Wärme zu versorgen. Laut Umweltministerium Baden-Württemberg ist das Potenzial beträchtlich, 10 % aller Gebäude könnten mit diesem Konzept mit Wärme versorgt werden.

Bild 2 Lageplanausschnitt Gemeinde Schallstadt, Versorgungsgebiet des kalten Nahwärmenetzes: Neubauquartier Weiermatten (Mitte), Plusenergiehäuser (oben), neue Ortsmitte (unten) und links das neue Rathaus.

Energiedienst

Bild 2 Lageplanausschnitt Gemeinde Schallstadt, Versorgungsgebiet des kalten Nahwärmenetzes: Neubauquartier Weiermatten (Mitte), Plusenergiehäuser (oben), neue Ortsmitte (unten) und links das neue Rathaus.
Bild 3 Heizzentrale im neuen Rathaus, Armaturenschacht (schwarz) und Pufferspeicher (rot). Primärkreislauf vom Abwasserkanal (braun) zu den Wärmeübertragern und Sekundärkreislauf des kalten Nahwärmenetzes zu den Hausanschlüssen (rot / blau).

Energiedienst

Bild 3 Heizzentrale im neuen Rathaus, Armaturenschacht (schwarz) und Pufferspeicher (rot). Primärkreislauf vom Abwasserkanal (braun) zu den Wärmeübertragern und Sekundärkreislauf des kalten Nahwärmenetzes zu den Hausanschlüssen (rot / blau).

Abwasserwärme – das flüssige Gold

Schmuck und Münzen wird man in der Kanalisation selten finden. Sonstige Ablagerungen sind nicht wertvoll genug, um sie zu heben. Doch bei der im Abwasser mitgeführten Wärme sprechen einige von „flüssigem Gold“, das unter unseren Siedlungsgebieten unsichtbar aber stetig fließt, Tag und Nacht, Sommer wie Winter.

Ob es sich lohnt, den Schatz zu „bergen“, hängt vom Einzelfall ab. Und wie so oft wächst die Wirtschaftlichkeit mit der Anlagendimension. In der Gemeinde Schallstadt, südwestlich von Freiburg im Breisgau, waren die Voraussetzungen im Neubaugebiet Weiermatten günstig. Ein Wohngebiet mit ca. 200 Wohnungen sowie das neue Rathaus entstanden unweit eines vorhandenen Abwasserkanals (Bild 2 und Bild 3).

Auf Brennstoffe, ob fossil, regenerativ oder synthetisch, kann komplett verzichtet werden. Bauherr und Betreiber des kalten Nahwärmenetzes ist die Energiedienst AG, ein in Südbaden tätiges Unternehmen. Der am Hochrhein ansässige regionale und klimaneutrale Energieversorger produziert und liefert Strom aus 100 % Wasserkraft, unterhält Wärmenetze, unter anderem aus industrieller Abwärme, und betreibt über ein Tochterunternehmen das regionale Stromnetz.

Bild 4 Sammler des Abwasserzweckverbands Breisgauer Bucht mit 90 cm Durchmesser und 23 l/s Trockenwetterabfluss. Ein Teilstrom des Abwassers wird in ein Entnahmebauwerk abgezweigt und durch einen Siebrechen grob gereinigt.

Energiedienst / Junkov

Bild 4 Sammler des Abwasserzweckverbands Breisgauer Bucht mit 90 cm Durchmesser und 23 l/s Trockenwetterabfluss. Ein Teilstrom des Abwassers wird in ein Entnahmebauwerk abgezweigt und durch einen Siebrechen grob gereinigt.

Der vorhandene Kanal in Schallstadt-Weiermatten sammelt die Abwässer der benachbarten Gemeinden Ebringen und Pfaffenweiler, hat einen Trockenwetterabfluss von rund 23 l/s und einen Durchmesser von 90 cm (Bild 4). Er ist Eigentum des Abwasserzweckverbands Breisgauer Bucht, dem somit offiziell Wasser und Wärme gehören.

Die kostenfreie Entnahme von Wärme wurde gestattet, nicht jedoch Einbauten im Kanal. Damit schied eine Technikvariante aus, die Wärmeübertrager auf der Kanalsohle platziert. Stattdessen wird in Schallstadt ein Teilstrom des Abwassers in ein Entnahmebauwerk abgezweigt.

Elektrisch angetriebene Pumpen, durch einen Schlammrechen vor groben Partikeln geschützt, fördern das Abwasser zu Abwasser/Wasser-Wärmeübertragern l in der Heizzentrale. Von dort fließt das abgekühlte Wasser im Freispiegel zurück. Das ist der Primärkreislauf, dessen Temperatur an der Entnahmestelle des Kanals im Winter erfahrungsgemäß etwa 10 bis 12 °C beträgt, im Sommer sind es über 20 °C.

Kalte Wärme – ein paradoxer Begriff

Im Unterschied zur klassischen Fern- oder Nahwärmeversorgung arbeitet das kalte Nahwärmenetz, hier als Sekundärkreislauf zwischen Wärmeübertrager und Wärmepumpen bei den Anschlussnehmern, mit niedrigen Temperaturen. Damit werden die Wärmeverluste in der Leitung minimiert (Bild 7). Nahwärmenetze wie in Schallstadt sind mehrere Hundert Meter lang, Fernwärmenetze viele Kilometer.

Bild 7 Kaltes Nahwärmenetz, Sekundärkreislauf zwischen Abwasser/Wasser-Wärmeübertrager und den Hausanschlüssen. Die nicht gedämmten Rohrleitungen für Wasser mit 12 bis 16 °C im Vorlauf führen links in das Gebiet Weiermatten, rechts in das Gebiet neue Ortsmitte.

Energiedienst / Junkov

Bild 7 Kaltes Nahwärmenetz, Sekundärkreislauf zwischen Abwasser/Wasser-Wärmeübertrager und den Hausanschlüssen. Die nicht gedämmten Rohrleitungen für Wasser mit 12 bis 16 °C im Vorlauf führen links in das Gebiet Weiermatten, rechts in das Gebiet neue Ortsmitte.

Im letzten Abschnitt, dem Gebäude mit den Nutzern, übernehmen elektrisch angetriebene Wasser/Wasser-Wärmepumpe die Bereitstellung der gewünschten Warmwasser- und Heiztemperatur. Auch bei kalten Nahwärmenetzen gilt, je tiefer das Temperaturniveau der Gebäudeheizungen liegt, desto effizienter können die Wärmepumpen arbeiten. Erfahrungen bisheriger Pilotprojekte sind zusammengefasst im Merkblatt DWA-M 114 [1]. Darin werden die Aspekte der Wärme aus Abwasseranlagen hinsichtlich Planung, Bau, Unterhalt und Wirtschaftlichkeit ausführlich beschrieben.

In Schallstadt sind die Wärmebezieher das Rathaus sowie Ein- und Mehrfamilienhäuser mit insgesamt 200 Wohnungen. Da es sich ausnahmslos um Neubauten handelt, konnten deren Wärmeübergabesystem von vornherein auf ein tiefes Temperaturniveau ausgelegt werden. Im Sommer funktionieren die Wärmepumpen im Umkehrbetrieb als Kältemaschinen zur Raumkühlung. Allerdings wird dann die Wärme nicht in den Abwasserkanal eingespeist, sondern im Quartier „versenkt“. Dazu dient ein thermischer, 500 m3 fassender Pufferspeicher, der noch weitere Vorteile bringt.

Optionen: Abwärme und power2heat

Der unterirdische Wasserbehälter ist ein wesentliches Element des kalten Nahwärmenetzes. Er schafft den Ausgleich von „Angebot und Nachfrage“ in Bezug auf Wärme und befindet sich unmittelbar vor der Heizzentrale, die in einem Anbau des neuen Rathauses untergebracht ist.

Der Pufferspeicher, im Sommer Wärmesenke für überschüssige Wärme aus der Kühlung der Gebäude, kann im Winter als Wärmespeicher betrieben werden, falls die Abwasserwärme temporär nicht ausreicht. Dann wird der Sekundärkreislauf nicht nur über die Wärmeübertrager, sondern auch durch den Pufferspeicher „gefahren“ – Dreiwegeventile im Armaturenschacht vor der Heizzentrale machen das Beimischen möglich.

Da das umgebende Erdreich und Grundwasser in der kalten Jahreszeit den Pufferspeicher (Betonbehälter und 500 m3 Wasservolumen) von außen temperieren, ist zusätzlich in gewissen Grenzen für Wärme-Nachschub gesorgt. Sollte das nicht für die Ziel-Vorlauftemperatur ausreichen, laufen die Wärmepumpen während absolutem Spitzenbedarf kurzzeitig mit einem schlechteren COP, das heißt erhöhtem Stromeinsatz, da die Quelltemperatur absinkt.

Mittelfristig besteht die Option, Abwärme aus einem benachbarten Gewerbegebiet in den Pufferbehälter einzuspeisen. Oder es kommt zur Kopplung der Sektoren Strom- und Wärmemarkt, indem sonst nicht verwendbare elektrische Energie nach dem Prinzip power2heat in Wärme umgewandelt und für das kalte Nahwärmenetz nutzbar gemacht wird. Dazu erforderliche Durchführungen sind im Betonbehälter bereits vorhanden.

Pufferspeicher – unterirdisches Depot

Bild 8 Thermischer Pufferspeicher. Herstellung der Betonfertigteile im Werk von Mall in Donaueschingen. Das halbkreisförmige Endstück des Behälters hat eine Breite von 6 m und eine Höhe von 2,9 m.

Mall

Bild 8 Thermischer Pufferspeicher. Herstellung der Betonfertigteile im Werk von Mall in Donaueschingen. Das halbkreisförmige Endstück des Behälters hat eine Breite von 6 m und eine Höhe von 2,9 m.

Pufferspeicher aus Beton werden in der in Schallstadt verwendeten Bauart und Größenordnung im Fertigteilwerk (Bild 8) hergestellt, in Segmenten zum gewünschten Termin zur Baustelle gebracht und innerhalb von zwei Tagen montiert (Bilder 9 und 10). Unterstützt durch einen Autokran machen das Monteure des Herstellers, damit die Gewährleistung in einer Hand liegt.

Für den Aushub vorab, für den Anschluss der Leitungen sowie das Verfüllen der Baugrube danach wird ein Tiefbauunternehmen beauftragt. So kann nach etwa acht Tagen das Gelände oberhalb des Behälters vom Garten- und Landschaftsbaubetrieb fertiggestellt werden – bei Bedarf wie in Schallstadt sogar als Parkplatz, denn das Speicherbauwerk aus Betonfertigteilen ist gemäß Statik mit 0,5 m Mindestüberdeckung für Pkw und Lkw befahrbar.

Andreas Bölling, beim Hersteller Mall für diesen Großbehälter verantwortlich, nennt einen weiteren Vorteil der Fertigteilbauweise: „Einstiegsöffnungen und Wanddurchführungen für Leitungen wurden von uns nach Wunsch des Auftraggebers bereits bei der Fertigung integriert. Das beschleunigt den Baufortschritt vor Ort.“ Sein Team hat auch die Domschächte auf die Abdeckung des Behälters gesetzt und die Verbindungstaschen an den Elementstößen mit Spezialmörtel verschlossen sowie die Leitern zum Einstieg im Behälter montiert.

Der Lastabtrag in den Baugrund erfolgt über eine etwa 25 cm starke Schotterschicht mit 5 cm Splittauflage, die vor der Montage in die Baugrube eingebracht wurde. Die Bodenplatten der Betonelemente haben zur Auftriebssicherung einen Überstand. Die Auflast nach dem Verfüllen der Baugrube wirkt dem Auftrieb des leeren Behälters bei hohem Grundwasserstand entgegen.

Bild 9 Montage der Betonfertigteile für den thermischen Pufferspeicher auf einer 25 cm starken Schotterschicht mit 5 cm Splittauflage. Der Überstand der Bodenplatte dient der Auftriebssicherung. Die Auflast nach dem Verfüllen der Baugrube wirkt dem Auftrieb des leeren Behälters bei hohem Grundwasserstand entgegen.

Mall

Bild 9 Montage der Betonfertigteile für den thermischen Pufferspeicher auf einer 25 cm starken Schotterschicht mit 5 cm Splittauflage. Der Überstand der Bodenplatte dient der Auftriebssicherung. Die Auflast nach dem Verfüllen der Baugrube wirkt dem Auftrieb des leeren Behälters bei hohem Grundwasserstand entgegen.
Bild 10 Montage einer oberen Behälterhälfte in „gestülpter“ Elementbauweise. Jedes U-förmige Segment verlängert den thermischer Pufferspeicher um 3 m.

Mall

Bild 10 Montage einer oberen Behälterhälfte in „gestülpter“ Elementbauweise. Jedes U-förmige Segment verlängert den thermischer Pufferspeicher um 3 m.

Automatische Reinigung

Im Anbau des neuen Rathauses Schallstadt stehen in der Heizzentrale zwei baugleiche Abwasser/Wasser-Wärmeübertrager (Bild 1 und Bild 5) nebeneinander. Bei Spitzenbedarf sind sie gleichzeitig in Betrieb, sonst abwechselnd. Das Abwasser, das im Siebschacht beim Kanal entnommen wird, fließt im Primärkreislauf zu diesen Wärmeübertragern und, hier um 2 bis 4 K abgekühlt, zum Kanal zurück. Die Energiedifferenz wird auf den Sekundärkreislauf, das kalte Nahwärmenetz, übertragen.

Bild 5 In der Heizzentrale stehen zwei baugleiche Abwasser/Wasser-Wärmeübertrager, die bei Spitzenbedarf gleichzeitig in Betrieb sind, sonst abwechselnd. Der Sekundärkreislauf (kalte Nahwärme) wird damit um etwa 2 bis 4 K erwärmt.

Huber

Bild 5 In der Heizzentrale stehen zwei baugleiche Abwasser/Wasser-Wärmeübertrager, die bei Spitzenbedarf gleichzeitig in Betrieb sind, sonst abwechselnd. Der Sekundärkreislauf (kalte Nahwärme) wird damit um etwa 2 bis 4 K erwärmt.

Im Wärmeübertrager fließt das klare Wasser des Nahwärmenetzes durch eine „Batterie“ parallel angeordneter dünner Edelstahlrohre, außen wird das trübe Abwasser vorbeigeführt. Solange sich kein Belag aus gelösten organischen Feinstoffen des Abwassers auf der Außenseite der Rohre des Wärmeübertrags bildet, wird die Wärme so sehr gut übertragen.

Um die Belagbildung zu minimieren, fährt ein- bis zweimal pro Tag ein Reinigungsschlitten innerhalb der Wärmeübertrager automatisch über die Rohroberflächen. „Ein patentiertes Verfahren“, erklärt Wolfgang Schnabl, Vertriebsingenieur des Herstellers Huber aus Berching.

„Während der Reinigung ist der Primärkreislauf für 200 s unterbrochen, um den Feinschlamm abzulösen und auszuspülen. Das Wasser im Sekundärkreislauf zirkuliert jedoch weiter und nimmt ungestört Wärme auf.“ Laut Schnabl genügt je Gerät eine vierstündige Wartung pro Jahr, wenn zusätzlich einmal nach 7 bis 10 Jahren ein ganzer Wartungstag eingeplant wird.

Die beiden Abwasser/Wasser-Wärmeübertrager (RoWin, Huber) haben im Auslegungsfall eine Entzugsleistung von insgesamt 400 kW. Das entspricht 70 % der erforderlichen Spitzenleistung. Die restliche Leistung wird über den Pufferspeicher sichergestellt.

Monovalente WP sparen Kosten

Decken Wärmepumpen wie bei diesem Projekt den Wärmebedarf vollständig ab, sind die Investitionskosten niedrig. Die monovalente Betriebsweise mit nur einem System für Grund- und Spitzenlast kommt mit wenig Technik im Heizungskeller aus. Weitere Vorteile ergeben sich durch den Entfall eines Brennstofflagers und den Schornstein.

Bild 11 System Huber ThermWin: Die Wärme des Abwassers, das im Siebschacht beim Kanal entnommen wird, gelangt im Primärkreislauf zu den Wärmeübertragern, im Sekundärkreislauf zu den Wärmepumpen in den Gebäuden.

Huber

Bild 11 System Huber ThermWin: Die Wärme des Abwassers, das im Siebschacht beim Kanal entnommen wird, gelangt im Primärkreislauf zu den Wärmeübertragern, im Sekundärkreislauf zu den Wärmepumpen in den Gebäuden.

Vergleichbar mit Wärme aus Grundwasser (8 bis 15 °C) werden bei einem kalten Nahwärmenetz Wasser/Wasser-Wärmepumpen verwendet. Da die Energie in beiden Fällen schon auf einem relativ hohen Temperaturniveau liegt, sind die Betriebskosten der Wärmepumpen niedrig.

Die Steuerung des kalten Nahwärmenetzes schaltet den Primärkreislauf und damit auch die Nutzung der Wärmequelle zeitweise ab, wenn die Wärmepumpen in den Gebäuden keinen Bedarf haben oder das Abwasser zu viel Energie (eine zu hohe Temperatur) liefert.

Stefan Schlachter, Projektleiter der Energiedienst AG: „Die handelsüblichen Wasser/Wasser-Wärmepumpen in den Gebäuden funktionieren nur bis ca. 20 °C Quelltemperatur störungsfrei. Deshalb unterbrechen wir ab etwa 16 °C Netztemperatur vorsorglich die Abwasserentnahme und den Betrieb der Wärmeübertrager.“

Eine hohe Netztemperatur ist im Sommer gelegentlich der Fall. Da nicht nur die Heizung, sondern auch die Trinkwassererwärmung über die Wärmepumpen erfolgt, sinkt die Netztemperatur allmählich so weit ab, bis der Normalbetrieb mit Abwasserwärme (Bild 11) automatisch wieder anläuft.

Elektrischer Strom als Brennstoffersatz

Es ist kein Geheimnis, dass Wärmepumpen elektrischen Strom zum Betrieb benötigen und die Wirtschaftlichkeit vom Verhältnis der investierten elektrischen Energie zur gewonnenen thermischen Energie abhängt. Energiedienst ist zunächst nur Contractor der Wärmelieferung inklusive Hausanschluss für das Gebiet Weiermatten, das Quartier neue Ortsmitte, die Gruppe der Plusenergiehäuser und das neue Rathaus.

Wer die Wärmepumpen betreibt und woher der dazu erforderliche Strom kommt, ist unterschiedlich. Die Bewohner einiger Gebäude beziehen die elektrische Energie teilweise aus eigenen Photovoltaik-Anlagen. Zusätzlich oder alternativ bietet Energiedienst den Wärmenutzern zu 100 % regenerativ erzeugten Strom aus eigenen Wasserkraftwerken am Hochrhein an.

Bild 12 Einbau der EPDM-Dichtung im Elementstoß zwischen den Betonfertigteilen des thermischer Pufferspeichers. Nach Fertigstellung ist der 500 m3 fassende Behälter befahrbar bei einer Lastverteilung mit mindestens 50 cm Überdeckung.

Mall

Bild 12 Einbau der EPDM-Dichtung im Elementstoß zwischen den Betonfertigteilen des thermischer Pufferspeichers. Nach Fertigstellung ist der 500 m3 fassende Behälter befahrbar bei einer Lastverteilung mit mindestens 50 cm Überdeckung.

Die Gemeinde Schallstadt, Eigentümerin des Rathauses, hat für dieses Gebäude das Komplettangebot von Energiedienst (Lieferung von Wärme und Betrieb der Wärmepumpe) angenommen. Mit einer errechneten (Inbetriebnahme erst 2021) Jahresarbeitszahl (JAZ) von 5,56 (Auslegung 35/28 und 12 °C Quelltemperatur) läuft die Wärmepumpe im Rathaus sehr effizient – in Relation zur abgegebenen Wärmeenergie beträgt die Aufnahme an elektrischer Energie nur rund 18 %. Eine wichtige Größe, denn der Strom für die Wärmepumpe kann allgemein als Ersatz für Brennstoff gesehen werden. Er stammt bei Energiedienst aus einer erneuerbaren Ressource und entspricht damit den Kriterien des Klimaschutzes, der lokal eingesparte Brennstoffeinsatz wird also nicht in ein Kraftwerk ausgelagert.

Dazu kommen, wie immer bei der Verwendung einheimischer regenerativer Energie, volkswirtschaftliche Vorteile: Kapital für Energieimporte fließt nicht aus Deutschland ab (die Importabhängigkeit der deutschen Energieversorgung im Jahr 2020 lag bei 70,9 %), Arbeitsplätze werden gesichert oder neue entstehen, zusätzliche Steuereinnahmen stärken die beteiligten Kommunen. Das mit einem Pufferspeicher kombinierte kalte Nahwärmenetz in Schallstadt mit Wärme aus Abwasser der Umgebung und Strom aus Wasserkraft der Region ist ein gelungenes Beispiel dafür.

Bis zu 360 t/a weniger CO2-Emissionen

Mit dem Rechenwert des Jahresenergiebedarfs von 130 000 kWh/a ergibt sich für das Rathaus eine kalkulierte Einsparung bei den CO2-Emissionen von 35 t/a (GEMIS, Erdgas). Neben dem Strombezug aus 100 % Wasserkraft verfügt das Gebäude über eine 40-kWp-Photovoltaik-Anlage. Die Wasser/Wasser-Wärmepumpe (Eco Touch DS 5090.5DT, Waterkotte) wurde mit zwei 1500-l-Pufferspeichern für Heizung und Kühlung kombiniert. Die Trinkwassererwärmung erfolgt dezentral.

Für die anderen Anschlussnehmer liegt der Rechenwert des Jahresenergiebedarfs bei insgesamt rund 1,2 Mio. kWh. Bei der Nutzung von CO2-freiem Strom ergibt sich gegenüber Gas-Brennwertheizungen eine Einsparung bei den CO2-Emissionen von 325 t/a (GEMIS, Erdgas).

Das Projekt wurde mit 216 299 Euro Fördermitteln des Landes Baden-Württemberg unter der Projektträgerschaft Umweltforschung, Programm BWPLUS, bezuschusst.

 
Abwasserwärmenutzung

Wärme kann dem Abwasser im Gebäude selbst, dem Kanal oder der Kläranlage entnommen werden. Die erste Variante wird im Merkblatt DWA-M 114 „Abwasserwärmenutzung“ [1] nicht weiter untersucht, da es sich um eine gebäudeinterne Wärmerückgewinnung handelt. Schwerpunkt des Merkblatts ist die Wärmegewinnung aus Abwasserleitungen und -kanälen mit den Aspekten Planung, Bau, Unterhalt und Wirtschaftlichkeit. Auch Auswirkungen der Abwasserwärmenutzung auf die nachgeschaltete Kläranlage werden betrachtet. Grundlage war die im Juni 2009 veröffentlichte erste Auflage DWA-M 114 „Energie aus Abwasser – Wärme- und Lageenergie“. Bereits vorhandene Erfahrungen aus der Schweiz und aus Deutschland sind in das Merkblatt eingeflossen.
 

Fachberichte mit ähnlichen Themen bündelt das TGAdossier Wärmepumpe

Literatur

[1] Merkblatt DWA-M 114 Abwasserwärmenutzung. Bonn: Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall (DWA), April 2020

[2] Sonderlösungen. Realisierte Projekte. Donaueschingen: Referenzbroschüre Mall, www.mall.info/downloads

[3] Behagliche Wärme aus dem Abwasserkanal, Abwasserwärmenutzung. Stuttgart: Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg, www.bit.ly/tga1387

Dipl.-Ing. Klaus W. König
ist selbstständig als freier Fachjournalist sowie Buchautor tätig und veröffentlicht regelmäßig Artikel in Umwelt-, Architektur-, GaLaBau-, Heizungs- und Sanitär-Fachzeitschriften. Er ist Lehrbeauftragter an der ESB Business School der Hochschule Reutlingen. 88662 Überlingen am Bodensee, www.klauswkoenig.com

König

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