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Berlin

„Bund steuert Energiewende weiterhin unzureichend“

Es ist die zweite Schelte in drei Jahren: Der Bundesrechnungshof mahnt erneut, die Energiewende nicht durch die mangelhafte Steuerung des BMWi zu gefährden.

„Seit unserer letzten Bilanz in 2018 hat sich zu wenig getan, um die Energiewende erfolgreich zu gestalten. Das ist ernüchternd. Die Bundesregierung steuert den Transformationsprozess weiterhin unzureichend. Das gefährdet eine sichere und bezahlbare Stromversorgung. Mehr noch:

Die Energiewende droht Privathaushalte und Unternehmen finanziell zu überfordern“, bilanziert der Präsident des Bundesrechnungshofs Kay Scheller anlässlich der Zuleitung eines Berichts an den Deutschen Bundestag über die Umsetzung der Energiewende durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi).

„Bedenklich stimmen mich die hohen Strompreise“

Scheller: „Die Bezahlbarkeit ist noch immer nicht messbar bestimmt; die Versorgungssicherheit lückenhaft erfasst. Ob Bürger und Wirtschaft künftig verlässlich mit Strom versorgt werden, unterliegt Risiken, die die Bundesregierung nicht vollständig im Blick hat.

Bedenklich stimmen mich die hohen Strompreise für Privathaushalte und für kleinere und mittlere Unternehmen. Das setzt die Akzeptanz des Generationenprojektes aufs Spiel. Und gefährdet die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands. Hier besteht Handlungsbedarf: Wir schlagen vor, das System der staatlichen Umlagen und Entgelte grundlegend zu reformieren.“

Versorgungssicherheit vollständig erfassen und bewerten

Die sichere Versorgung mit Strom hat das BMWi anhand von Indikatoren und Schwellenwerten zu messen und zu bewerten. Sein Monitoring ist aber laut dem Bericht des Bundesrechnungshofs lückenhaft: Aspekte zur Versorgungszuverlässigkeit und Systemsicherheit wie Netzausbau und Speicher, Netzwartung, Netzstabilität oder Versorgungsausfälle decke das BMWi nicht oder nur unzureichend durch Indikatoren ab.

Zahlreiche andere Aspekte würden sich erheblich auf die zukünftige Versorgung mit Strom auswirken. Das Monitoring müsse daher auch Szenarien untersuchen, die aktuelle Entwicklungen und bestehende Risiken zuverlässig und realistisch erfassen und abbilden. Der Bundesrechnungshof zählt dazu auf:

● Die Bundesregierung hat den geplanten Kohleausstieg bislang nicht richtig berücksichtigt. Das hinterlässt eine Kapazitätslücke von bis zu 4,5 GW – die Leistung von vier großen konventionellen Kraftwerken.

● Gleichzeitig verursachen die neuen Pläne zur Wasserstoffgewinnung einen erheblichen Strommehrbedarf. Dieser muss gedeckt werden.

● Außerdem haben der stockende Netzausbau und eingeschränkte grenzüberschreitende Austauschkapazitäten Einfluss auf eine sichere Versorgung.

● Zudem muss das BMWi für seine Berechnungen auch Jahre mit extremem Klima berücksichtigen, in denen Wind und Sonne erheblich weniger Strom erzeugen.

Trotz dieser Unabwägbarkeiten habe das BMWi in seiner Bewertung kein „Worst-Case“-Szenario untersucht. Ein solcher Stresstest, in dem mehrere Risikofaktoren zusammentreffen, ist aber notwendig – für eine realistische Erfassung und Bewertung der Versorgungssicherheit, für eine belastbare Risikoanalyse.

„Das BMWi beugt diesen realen Gefahren für eine sichere Stromversorgung nicht wirksam vor“, stellt Scheller fest. „Es muss sein Monitoring dringend vervollständigen.“

Umfassende Preisreform vorantreiben

Das BMWi hat bisher nicht bestimmt, was es unter einer preisgünstigen und effizienten Versorgung mit Elektrizität versteht. Bis zu welchem Niveau gilt Strom als preisgünstig, als „bezahlbar“?

Mit dem derzeitigen System der staatlich geregelten Preisbestandteile werden die ohnehin hohen Strompreise nach einer Bewertung des Bundesrechnungshofs weiter ansteigen. Dies überfordere viele private Endverbraucher finanziell, mindere die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands und lasse die Akzeptanz für die Energiewende schwinden.

Zahlreiche Faktoren beeinflussen die Entwicklung der Strompreise, unter anderem die Nachfrage nach Strom, der weitere Ausbau erneuerbarer Energien, der Netzausbau und die CO2‑Bepreisung.

Die staatlich geregelten Preisbestandteile mit Umlagen, Steuern und Netzentgelten machen aktuell 75 % der Strompreise (für Haushalte) aus und tragen daher wesentlich zu dem hohen Preisniveau bei, vor allem durch die EEG-Umlage. Als Konsequenz liegen die Preise für private Haushalte sowie kleine und mittlere Unternehmen in Deutschland europaweit an der Spitze.

Wasserstoff und Elektromobilität werden Strom verteuern

Dieser Trend wird sich weiter verstärken: Wasserstoffstrategie und Einbeziehung von Verkehr (z. B. Förderung der E-Mobilität) und Wärme (wie der Ersatz von Öl- und Gas-Heizungen durch elektrische Systeme oder „erneuerbare Wärmeträger“) in die Energiewende generieren zusätzliche Nachfrage nach Strom. Auch die Kosten für den weiteren Netzausbau und den Ausbau erneuerbarer Energien werde auf den Strompreis noch aufgeschlagen. Beides treibe den Strompreis absehbar weiter in die Höhe.

Deshalb gelte es, dass System der staatlich geregelten Preisbestandteile grundlegend zu reformieren. Das BMWi muss prüfen, wie es eine umfassende Preisreform vorantreiben kann, um die Letztverbraucher künftig zumutbar finanziell zu belasten. Dazu müsse es endlich – so der Bundesrechnungshof – bestimmen, was es unter einer preisgünstigen und effizienten Stromversorgung versteht. Anhand von Indikatoren habe es festzulegen, bis zu welchem Preis Strom als preisgünstig gilt.

Scheller: „Unsere Prüfungsergebnisse zeigen deutlich: Mit Blick auf die gesetzlichen Ziele einer sicheren und preisgünstigen Versorgung mit Strom steuert das BMWi die Energiewende weiterhin unzureichend. Das gefährdet den Erfolg der an sich notwendigen Energiewende.“

Bericht des Bundesrechnungshofs nach § 99 BHO zur Umsetzung der Energiewende im Hinblick auf die Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit bei Elektrizität

Hintergrund

Im Jahr 2018 unterrichtete der Bundesrechnungshof den Deutschen Bundestag, den Bundesrat und die Bundesregierung in einem Bericht nach § 99 BHO über die Koordination und Steuerung der Energiewende durch das BMWi. Er kritisierte, dass dieses Generationenprojekt unzureichend koordiniert und mangelhaft gesteuert wird. Im Jahr 2019 hat das BMWi den Zweiten Fortschrittsbericht zur Energiewende vorgelegt. Danach setzt die Bundesregierung 227 Maßnahmen um, die einem Monitoring-Prozess unterliegen.

Der Bundesrechnungshof ist daraufhin den Fragen nachgegangen, ob das BMWi Sorge dafür trägt, dass die Stromversorgung sicher und zuverlässig bleibt und inwieweit die energiepolitischen Ziele Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit erreicht werden. Ausgangspunkt ist der gesetzliche Auftrag aus § 1 des Energiewirtschaftsgesetzes: „Zweck des Gesetzes ist eine möglichst sichere, preisgünstige, verbraucherfreundliche, effiziente und umweltverträgliche leitungsgebundene Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität und Gas, die zunehmend auf erneuerbaren Energien beruht.“ ■

Siehe auch: Günstiger Wasserstoff nur mit Heizungs-Wärmepumpen