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37. Heilbronner Aufzugstage

Aufzüge: Regelwerk, Modernisierung, Recht

Der Situationsbericht des Robert Koch-Instituts (RKI) zur Lungenkrankheit Covid-19 vom 4. März 2020 weist 262 laborbestätigte Covid-19-Fälle aus, am Vortag waren es 196. Der Landkreis Heinsberg wird erst im RKI-Situationsbericht vom 7. März 2020 als „besonders betroffenes Gebiet in Deutschland“ eingestuft. Was später an Maßnahmen ergriffen wurde, ließ sich Anfang März 2020 kaum erahnen; die Sensibilität in der Branche für das Coronavirus eilte seiner Verbreitung aber schon voraus:

Tagungsleiter Klaus Dietel vom TÜV Nord musste wegen Coronavirus-bedingter Absagen von Referenten das Programm der 37. Heilbronner Aufzugstage kurzfristig anpassen und die Begrüßung der Teilnehmer durch Prof. Dr. Georg Clauß, Geschäftsführer des Veranstalters Technische Akademie Heilbronn, beinhaltete eine Risikoanalyse, die Konferenz stattfinden zu lassen, sowie daraus resultierende Maßnahmen, besonders beim Catering und beim persönlichen Verhalten.

Weiterentwicklung des Regelwerks

Dr. Gerhard Schiffner, thyssenkrupp Elevator, berichtete in seinem Überblick über das europäische Regelwerk, dass die Normen EN 81-20/-50 (Sicherheitsregeln für die Konstruktion und den Einbau von Aufzügen – Aufzüge für den Personen- und Gütertransport – Teil 20: Personen- und Lastenaufzüge; Teil 50: Konstruktionsregeln, Berechnungen und Prüfungen von Aufzugskomponenten) ab 2022 mit langer Übergangsfrist durch die Normen EN ISO 8100-1/-2 (Aufzüge für den Personen- und Gütertransport – Teil 1: Personen- und Lastenaufzüge; Teil 2: Konstruktionsregeln, Berechnungen und Prüfungen von Aufzugskomponenten) ersetzt werden.

Schiffner präsentierte auch weitere ISO-Normen für technische Lösungen von Aufzügen, Komponenten und damit verbundene Berechnungen, Konstruktionen, Installationen, Sicherheitsanforderungen sowie Prüfungen, und wie sie im internationalen Geschäft angewandt werden.

Die Revision der EU-Maschinenrichtlinie wird für 2021 ohne große Auswirkungen auf Aufzüge erwartet. Die Studie über die Produktverordnung für Aufzüge für die EU-Ökodesignrichtlinie ist abgeschlossen (Abschlussbericht unter www.eco-lifts.eu/eco-lifts-en/content/documents.php) Darin ergeben sich ein begrenztes Potenzial bei Neuanlagen, jedoch Schwierigkeiten bei der Umsetzung. Die Entscheidung der EU über das weitere Vorgehen werde noch Jahre dauern; Dänemark und Portugal haben Aufzüge schon vorab in ihre nationalen Erweiterungen der Richtlinie aufgenommen.

Nur zwei europäische Normen ändern sich zurzeit generell, manche aber auch substanziell, so Schiffners Fazit seiner ausführlichen Präsentation der europäischen Normung. Besonders hob er hervor:

  • Neuer Anhang ZA für EN 81-20/-22/-50/-72/-73 mit ausführlicherer Darstellung der Gesundheitsschutz- und Sicherheitsanforderungen
    aus der EU-Aufzugsrichtlinie (AR) und der EU-Maschinenrichtlinie (MR) ohne technische Änderungen; Veröffentlichung Q1/Q2-2020.
  • Begrenzte Überarbeitung der EN 81-21/-28/-58/-70/-71/-77 aus rechtlichen Gründen z. B. Handlungsanweisungen an Zuständige / Verantwortliche in klare und unmissverständliche Anforderungen umgewandelt. Bauseitige Anforderungen außerhalb der AR entfallen. Veröffentlichung ca. 2022.
  • Der Bau und das Inverkehrbringen von Aufzügen sind überwiegend europäisch und der Betrieb eher national geregelt, hergeleitet aus der EU-Aufzugsrichtlinie (AR). Thomas Pfaff vom TÜV Rheinland Industrie Service referierte über das „Nationale Regelwerk zu Aufzügen – TRBS 1201 Teil 4 etc.“ und verdeutlichte die Vielfalt zu beachtender Regelungen aus dem Baurecht (BMI), dem Umweltrecht (BMU) sowie aus Arbeitsschutz und Produktsicherheit (BMAS). Auch Normen, Technische Regeln oder Merkblätter können rechtliche Relevanz gewinnen, wie die DIN-EN-81-Reihe, VDI-Richtlinien, Technische Regeln für Betriebssicherheit (TRBS) und andere. Die technische Regelsetzung sei höchst dynamisch.

    Die Änderungen und Neuerungen der TRBS 1201 Teil 4 „Prüfung von überwachungsbedürftigen Anlagen – Prüfung von Aufzugsanlagen“ vom März 2019 und deren rechtliche Relevanz behandelte Pfaff im Detail: Neu ist darin beispielsweise der Begriff „Sichtprüfung“. Die Anzahl der Punkte zur Haupt- und Zwischenprüfung hat sich vervielfacht mit ausführlicheren Beschreibungen. Für die Prüfung nach Änderung werden im Anhang das erste Mal Beispiele genannt.

    Bild 2: Die Fachausstellung auf den 37. Heilbronner Aufzugstagen mit Lösungen zur Modernisierung und Digitalisierung von Aufzügen zum Ansehen und Anfassen, z. B. der 4G-Router von Rocom Energie- und Kommunikationssysteme als Beitrag zur vor­beugenden und vorausschauenden Wartung.

    Bild: Stricker-Berghoff

    Bild 2: Die Fachausstellung auf den 37. Heilbronner Aufzugstagen mit Lösungen zur Modernisierung und Digitalisierung von Aufzügen zum Ansehen und Anfassen, z. B. der 4G-Router von Rocom Energie- und Kommunikationssysteme als Beitrag zur vor­beugenden und vorausschauenden Wartung.

    Modernisierung erhöht die Sicherheit

    Klaus-Peter Kapp, freier Mitarbeiter in einem Ingenieurbüro für Fördertechnik in Hamburg, übernahm den Vortrag „Modernisierung von Aufzugsanlagen – Vom Unfallgeschehen zur (neuen) EN 81-80“ für Carsten Henriksen, Schindler Deutschland. In Europa werden ca. 6,16 Mio. Einheiten betrieben, das entspricht knapp einem Aufzug pro 100 Bewohner. In Deutschland laufen rund 765 000 Stück durchschnittlich über 30 bis 35 Jahre; mehr als 50 % der Aufzugsanlagen sind älter als 25 Jahre.

    Alternde Aufzugsanlagen bedürfen der Nachrüstung und erhöhter Wartung, was einem Bedarf für die Modernisierung von insgesamt 280 Mio. Euro in Deutschland in 2018 entspricht. Wird das zum Beispiel aus Kostengründen nicht umgesetzt, steigen die Anzahl der Störungen sowie die Unfallgefahr für Nutzer und Wartungs- und Prüfpersonal. Dem begegnet die DIN EN 81-80:2019-11 (Sicherheitsregeln für die Konstruktion und den Einbau von Aufzügen - Bestehende Aufzüge – Regeln für die Erhöhung der Sicherheit bestehender Personen- und Lastenaufzüge). Elf neue Gefahren bzw. Risiken wurden ergänzt. Die Norm ist allerdings nicht harmonisiert, in Deutschland daher nicht zwingend anzuwenden; stattdessen gilt die BetrSichV.

    Zur „Modernisierung von Auszugsanlagen aus Sicht des Mittelstandes“ trug Christoph Piorek von Hübschmann Aufzüge vor. Verbunden mit vielen praktischen Tipps und anschaulichen Beispielen beschrieb er u. a. das Vorgehen bei einer Modernisierung beginnend mit der detaillierten Analyse des Ist-Zustands der Altanlage über die Planung unter Beachtung des Regelwerks bis hin zur Errichtung der Anlage. Für ihn gibt es keine generelle Ideal-Lösung.

    Nico Bittel von Schindler Management sprach über „Modernisierung von Aufzugsanlagen aus Sicht der Großindustrie“. Als Modernisierungstreiber nennt er neben der EN 81-80 mit den darin genannten Gefahrenquellen auch staatliche Energie-Förderprogramme teilweise inklusive Aufzügen. Drei Gründe motivieren Kunden laut einer Umfrage seines Hauses zu ­einer Modernisierung:

  • Die Immobilie muss funktionieren.
  • Die Sicherheit laut aktuellen Normen muss gegebenen sein.
  • Der Aufzug darf nur wenig ausfallen.
  • Ästhetik, Kapazitätserhöhung und Planbarkeit der Maßnahme unterstützen die Entscheidung für eine Modernisierung. Verschiedene Engineering-Prozesse führen dann zu stufenweisen Lösungen von der Reparatur über die Modernisierung von Einzelkomponenten oder Paketlösungen wesentlicher Bauteile bis hin zur Ersatzanlage. Modernisierungen betreffen dabei oft Steuerung / Antrieb, Kabine und Schachttüren sowie den Fahrkorb.

    Maik Vondran, DB Station + Services, beschäftigte sich mit „Der Aufzug aus Betreibersicht: Anforderungen, Auftragsklärung, Schnittstellen“. Alle 20 Jahre müssen DB-Aufzüge wegen hohem Verschleiß ersetzt werden, was nur mit hoher Standardisierung, z. B. der Kabine, des Antriebs und des Schachts möglich ist; gleiches gilt für den Neubau. Der Service erfolgt derzeit bahnintern, aber die externe Vergabe nimmt aus Kapazitätsgründen zu. Eine Besonderheit ist auch die Montage, die beispielsweise ohne Witterungsschutz zu erfolgen hat. Speziell sind auch die Schnittstellen zu vielen anderen Gewerken, wie Entwässerung, Zugangsbeleuchtung und Stromversorgung u. a. mit Erdung und Blitzschutz.

    Aufzug-as-a-Service

    Alexander Wüllner, Mitglied der Geschäftsleitung von Hundt Consult, beschäftigte sich mit dem Thema Ausschreibung bereits auf der Vorabendveranstaltung von Bosch: Beim Qualitätswettbewerb steht der Preis fest; der Anbieter mit der höchsten Qualität gewinnt. Beim Preiswettbewerb steht die Qualität fest; der Anbieter mit dem günstigsten Preis gewinnt. Mögliche Folgen nicht nur bei Aufzügen können Minderleistung oder Spätleistung, Trennung von Bau und Betrieb und deren Kosten sowie späte Reaktionen auf sinnvolle Innovationen in Ausschreibungen sein.

    Als mögliche Reaktionen werden im ersten Schritt dynamische Qualitätsmessgrößen bei der Vergabe, z. B. Pünktlichkeit der Baustelle und / oder Mängel bei der Übergabe genannt. Im zweiten Schritt kann eine live und handlungsorientierte Überwachung der Aufzugsdaten eingeführt werden. Dies kann in Zukunft dazu führen, dass Kunden Förderleistung statt einer Aufzugsanlage und deren Betrieb einkaufen. Vergleichbare Entwicklungen gibt es schon bei Wärme. Dies führt dann in letzter Konsequenz zu einem Angebot des Aufzug-as-a-Service, zurzeit mit einer Laufzeit von meist 25 Jahren basierend auf optimalen Betriebskosten und eben nicht dem billigsten Aufzug oder den niedrigsten Betriebskosten.

    Direkt auf dem Aufzugstag trug dann Rechtsanwalt Hartmuth Hardt zur „Data Ownership: Die rechtskonforme Datenübertragung bei der Fernwartung von Aufzugsanlagen + KI: Der vorsichtige Blick des Juristen“ vor. Er definierte u. a. den Begriff des autonomen Systems, aus dem sich die kreative Leistung von Maschinen (ePerson) ergibt, die im Widerspruch zur traditionellen Willenserklärung steht. Werden Schäden durch autonome Systeme verursacht, greift das Recht auf den Haftungsadressaten durch, bei dem dann eine Verschuldenshaftung und / oder Gefährdungshaftung und / oder Kausalhaftung eintritt.

    Bild 3 Komplette Erneuerung eines Antriebs in der Variante „Getriebelos mit unverändertem Treibscheibendurchmesser“ von Hübschmann Aufzüge.

    Bild: Hübschmann Aufzüge

    Bild 3 Komplette Erneuerung eines Antriebs in der Variante „Getriebelos mit unverändertem Treibscheibendurchmesser“ von Hübschmann Aufzüge.
    Dipl.-Ing. (TU) CEng MEI VDI Undine Stricker-Berghoff
    ist Vorsitzende der Richtlinie VDI 3922 Blatt 1 und 2. Seit 2005 führt sie in Travemünde ihr Ingenieurbüro ProEconomy mit dem Schwerpunkt Management und Marketing in der Energie- und Gebäudetechnik.

    Bild: ProEconomyProEconomy

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