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Bundes-Klimaschutzgesetz

KSG-Novelle ohne den Gebäudesektor

Der vom Bundeskabinett beschlossene Entwurf zur Novelle des Bundes-Klimaschutzgesetzes hebt das Klimaziel für 2030 auf eine Minderung der Treibhausgasemissionen gegenüber 1990 von 55 auf 65 % an. Schon bald sollen die energetischen Standards für neue Gebäude verschärft und die Förderung von Heizungen, die ausschließlich mit fossilen Brennstoffen betrieben werden können, beendet werden. Die zusätzlichen Lasten für den Gebäudesektor sind jedoch minimal.

Kompakt zusammengefasst
■ Das Bundeskabinett hat am 12. Mai 2021 eine Novelle des Bundes-Klimaschutzgesetzes (KSG-Novelle) beschlossen.
■ Unter anderem hebt die KSG-Novelle die Minderung der Treibhausgasemissionen bis 2030 gegenüber 1990 von 55 auf 65 % an. Die reale Einsparung an Treibhausgasemissionen ist jedoch gering.
■ Im Gebäudesektor wurden die zulässigen Jahresemissionsmengen nur geringfügig reduziert. Die Hauptlast sollen die Sektoren Energiewirtschaft und Industrie tragen.
■ Zudem wurde ein Sofortprogramm angekündigt: Die Energiestandards für Neubauten sollen angehoben, die Kosten der CO2-Bepreisung zwischen Mietern und Vermietern geteilt und die Förderung von Heizungen, „die ausschließlich mit fossilen Brennstoffen betrieben werden können“ beendet werden.
 

Deutschland wird bis zum Jahr 2045 klimaneutral und beschreibt den Weg dahin mit verbindlichen Zielen für die 2020er- und 2030er-Jahre. Das ist aus Sicht der Bundesregierung der Kern der Novelle des Bundes-Klimaschutzgesetzes (KSG-Novelle, Download des Referentenentwurfs), die das Bundeskabinett am 12. Mai auf Vorschlag von Bundesumweltministerin Svenja Schulze beschlossen hat. Bislang war das Ziel der Bundesregierung Klimaneutralität 2050, nun lautet es Klimaneutralität 2045. Das soll noch nicht das Ende sein, ab 2050 strebt die Bundesregierung negative Emissionen an.

Das Zwischenziel für 2030 wird von derzeit 55 auf 65 % Treibhausgasminderung gegenüber 1990 erhöht. Für 2040 gilt ein neues Zwischenziel für die Minderung der Treibhausgasemissionen von 88 %. Schulze: „Die Klimaschutzanstrengungen werden so bis 2045 fairer zwischen den jetzigen und künftigen Generationen verteilt.“ Dazu hatte das Bundesverfassungsgericht die Bundesregierung am 29. April 2021 aufgefordert (Klimaurteil). Ob „fairer“ auch fair ist, wird sich wohl erst zeigen müssen. Eventuell wird das Bundesverfassungsgericht wegen der KSG-Novelle erneut angerufen.


Klimaurteil des Bundesverfassungsgerichts 

Mit dem am 29. April 2021 veröffentlichten Beschluss hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts entschieden, dass die Regelungen des Bundes-Klimaschutzgesetzes vom 12. Dezember 2019 (KSG) insofern mit Grundrechten unvereinbar sind, als hinreichende Maßgaben für die weitere Emissionsreduktion ab dem Jahr 2031 fehlen und die Vorschriften hohe Emissionsminderungslasten unumkehrbar auf Zeiträume nach 2030 verschieben. Die im KSG bis zum Jahr 2030 zugelassenen Emissionsmengen würden die nach 2030 noch verbleibenden Emissionsmöglichkeiten erheblich reduzieren und dadurch praktisch jegliche grundrechtlich geschützte Freiheit gefährden.
Aus dem Beschluss: „Ein umfangreicher Verbrauch des CO2-Budgets schon bis 2030 verschärft [..] das Risiko schwerwiegender Freiheitseinbußen, weil damit die Zeitspanne für technische und soziale Entwicklungen knapper wird, mit deren Hilfe die Umstellung von der heute noch umfassend mit CO2-Emissionen verbundenen Lebensweise auf klimaneutrale Verhaltensweisen freiheitsschonend vollzogen werden könnte.“
Siehe auch: Bundes-Klimaschutzgesetz muss zu Paris passen
 

Mehr Generationengerechtigkeit?

Denn die KSG-Novelle ist eine eigenwillige Interpretation des Klimaurteils, weiterhin wird bis 2030 ein großer Teil des Deutschland nach unterschiedlichen Methoden noch zustehenden CO2-Budgets aufgezehrt. Nimmt man für die nicht festgelegten Werte in Bild 2 jeweils eine lineare Entwicklung an, genehmigt das aktuelle Bundes-Klimaschutzgesetz im Zeitraum 2020 bis 2030 den Ausstoß von 7448 Mio. t CO2-Äquivalent (CO2e).

Mit der gleichen Vorgehensweise sind es laut KSG-Novelle 7011 Mio. t CO2e. Die Differenz entspricht 80,4 % der nach bisherigem KSG für das Jahr 2030 maximalen Jahresemissionsmengen aller Sektoren. Die Erhöhung der Minderung von 55 auf 65 % ist somit ein Scheinriese, sie verlegt das bisherige Mengenziel um weniger als zehn Monate nach vorne. Mehr Generationengerechtigkeit verspricht das nicht.

Bundesumweltministerin Svenja Schulze sieht das anders: „Mit diesem Gesetz schaffen wir mehr Generationengerechtigkeit, mehr Planungssicherheit und einen entschlossenen Klimaschutz, der die Wirtschaft nicht abwürgt, sondern umbaut und modernisiert. Ich spreche dabei nicht von einer Verschärfung der Klimaziele, sondern es geht mir um die Entschärfung der Klimakrise.

Das Bundes-Klimaschutzgesetz setzt den Rahmen für die nächsten Jahre und Jahrzehnte. Es stellt uns alle vor eine große Aufgabe. Denn es geht nicht um Mathematik, es geht um die Art, wie wir künftig leben, produzieren, heizen und uns fortbewegen wollen. Das betrifft viele Politikbereiche. Künftig müssen alle Ministerien mehr denn je Klimaschutzministerien sein.“

„Budget-schonend“ sind insbesondere Maßnahmen, die früh ergriffen werden. Die zusätzliche Emissionsminderung gegenüber dem aktuellen KSG findet mit der KSG-Novelle aber insbesondere in der zweiten Hälfte der Dekade statt (Bild 2).

Zulässige Jahresemissionsmengen für die Jahre 2020 bis 2030 laut Referentenentwurf für das Bundes-Klimaschutzgesetz in den einzelnen Sektoren.

JV

Zulässige Jahresemissionsmengen für die Jahre 2020 bis 2030 laut Referentenentwurf für das Bundes-Klimaschutzgesetz in den einzelnen Sektoren.

Energiewirtschaft und Industrie sollen die Hauptlast tragen

Der Referentenentwurf für die Novelle des Bundes-Klimaschutzgesetzes führt das System der jahresscharfen zulässigen Emissionsmengen für die einzelnen Sektoren für die 2020er-Jahre fort und senkt sie ab. Den Löwenanteil der zusätzlichen Minderung bis 2030 müssen dabei die Energiewirtschaft und die Industrie übernehmen.

Dies folgt laut Schulze einerseits dem ökonomischen Gedanken, dort zu mindern, wo die Vermeidungskosten am geringsten sind, andererseits sind der Industrie- und Energiesektor weiterhin die Sektoren mit den höchsten Emissionen. Hinzu komme, dass hier eine erneuerbare Energieversorgung der Schlüssel für Emissionsminderungen in allen anderen Sektoren ist, in denen erneuerbar erzeugter Strom fossile Brenn- und Kraftstoffe ersetzen kann.

Gebäudesektor vergessen?

Warum aus dieser richtigen Analyse keine höheren Minderungsziele für den Gebäudesektor abgeleitet werden, muss vorerst unbeantwortet bleiben. Fakt ist aufgrund der Zuordnung der Treibhausgasemissionen zu den Sektoren: Im Gebäudesektor werden fast ausschließlich die verbrennungsbezogenen CO2-Emissionen aus Heizungsanlagen in Gebäuden – also aus der Verwendung von Erdgas und Heizöl (jeweils die nicht erneuerbaren Anteile) und in geringem Umfang von Kohlen – bilanziert. Das bedeutet: Für die Bilanz des Gebäudesektors haben Wohngebäude, die über Fernwärme, elektrisch angetriebene Wärmepumpen oder direktelektrisch mit Wärme für Raumheizung und Trinkwassererwärmung versorgt werden, keine Treibhausgasemissionen.

Im Gebäudesektor wurden die Ziele nur in sehr geringem Umfang verändert, unterm Strich bedeuten sie, dass der Gebäudesektor sein bisheriges 2030-Ziel 228 Tage früher erreichen muss, rechnerisch also am 16. August 2030 statt am 31. Dezember 2030. Die von 2020 bis 2030 kumulierten (zulässigen) Treibhausgasemissionen des Gebäudesektors sinken von 1033 Mio. t CO2e (aktuelles KSG) auf 1015 Mio. t CO2e. Die Budget-Ausschöpfung verringert sich auf Basis der zulässigen Treibhausgasemissionen nur um 1,74 %.

Legt man die zusätzliche Minderung für den Gebäudesektor von 18 Mio. t CO2e auf ein fiktives Einheitsgebäude mit einem Erdgasbezug von 19 841 kWh/a (Hi), das entspricht verbrennungsbezogenen CO2-Emissionen von 4 t/a, ließe sich die zusätzliche Minderung wie folgt erreichen:

● im Jahr 2021 wird die Wärmeversorgung von 500 000 Einheitsgebäuden zusätzlich zum normalen Marktgeschehen auf Elektro-Wärmepumpen oder Fernwärme umgestellt oder

● in den Jahren 2021 bis 2029 wird die Wärmeversorgung von jeweils 100 000 Einheitsgebäuden zusätzlich zum normalen Marktgeschehen auf Elektro-Wärmepumpen oder Fernwärme umgestellt

Im Jahr 2020 wurden in Deutschland rund 667 000 Gas- und Öl-Heizkessel verkauft, der überwiegende Anteil ging in die Heizungsmodernisierung. Die Zahlen zeigen, dass die zusätzliche Einsparung allein über die Heizungsmodernisierung zu leisten wäre. Da der Erdgasbezug des Einheitsgebäudes niedrig angesetzt ist und im Gebäudesektor zahlreiche weitere Maßnahmen forciert werden können, ließe sich das Gebäudesektor-Budget viel deutlicher absenken. Die Zahlen zeigen auch die Bedeutung frühen Handelns: 500 000 Maßnahmen in 2021 vs. 900 000 Maßnahmen von 2021 bis 2029.

Wegen des EU-Klimaziels muss eventuell noch nachgebessert werden

Das neue deutsche Klimaziel für 2030 soll auch das neue höhere EU-Klimaziel für 2030 (55 statt 40 % gegenüber 1990) berücksichtigen. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts Ende April 2021 hatte sich die Bundesregierung entschlossen, mit der Umsetzung der EU-Einigungen nicht zu warten, sondern diese bereits zu antizipieren und später bei Bedarf zu aktualisieren. Laut Schulze habe das den Vorteil, dass so keine Zeit verloren geht. Es dürfte allerdings auch viel Kalkül angesichts der anstehenden Bundestagswahl 2021 eine Rolle gespielt haben.

Auch für die 2030er-Jahre sieht das Gesetz für jedes einzelne Jahr konkrete Minderungsziele vor. Wie diese zwischen den Sektoren aufgeteilt werden, wird allerdings erst im Jahr 2024 entschieden, wenn auf europäischer Ebene die Weichen für die künftige Klimaschutz-Architektur gestellt sind.

Senkenausbau zur Kompensation unvermeidbarer Emissionen

Neu ist in der KSG-Novelle eine Zielvorgabe für den Erhalt und den Ausbau der natürlichen Senken, wie Wälder und Moore. Sie werden benötigt, um die unvermeidbaren Restemissionen von Treibhausgasen, etwa aus der Viehhaltung oder bestimmten Industrieprozessen, zu kompensieren.

Der Senkenausbau benötigt einen langen Vorlauf. Darum will die Bundesregierung schon jetzt beginnen, die Wiedervernässung von Mooren und den notwendigen Waldum- und -ausbau zu intensivieren. Nach dem Jahr 2050 strebt die Bundesregierung negative Emissionen an, dann soll Deutschland mehr Treibhausgase in natürlichen Senken einbinden, als es ausstößt.

Mit der Novelle des Bundes-Klimaschutzgesetzes wird auch die Rolle des Expertenrats für Klimafragen gestärkt. Der Rat wird nun alle zwei Jahre einen Bericht über die bisherige Zielerreichung und über Trends vorlegen.

Bild 3 Ein begleitender Beschluss zur Novelle des Bundes-Klimaschutzgesetztes kündigt an, dass Mieter und Vermieter künftig jeweils die Hälfte der Kosten aus der CO2-Bepreisung tragen müssen. Im Jahr 2021 sind es 25 Euro/t der verbrennungsbezogenen CO2-Emissionen zuzüglich Mehrwertsteuer. 2022 würden die Kosten nach aktueller Rechtslage auf 30 Euro/t steigen, es wird aber auch eine Erhöhung auf 45 Euro/t diskutiert.

danielsbfoto / iStock / Getty Images Plus

Bild 3 Ein begleitender Beschluss zur Novelle des Bundes-Klimaschutzgesetztes kündigt an, dass Mieter und Vermieter künftig jeweils die Hälfte der Kosten aus der CO2-Bepreisung tragen müssen. Im Jahr 2021 sind es 25 Euro/t der verbrennungsbezogenen CO2-Emissionen zuzüglich Mehrwertsteuer. 2022 würden die Kosten nach aktueller Rechtslage auf 30 Euro/t steigen, es wird aber auch eine Erhöhung auf 45 Euro/t diskutiert.

8-Mrd.-Euro-Sofortprogramm

Zusätzlich zum Beschluss des neuen Bundes-Klimaschutzgesetzes hat die Bundesregierung ein Sofortprogramm angekündigt, mit dem sie die Umsetzung der neuen Klimaschutzziele für die verschiedenen Sektoren unterstützen wird (Download des begleitenden Beschlusses Klimapakt Deutschland. Dies soll mit zusätzlicher Förderung im Umfang von bis zu 8 Mrd. Euro geschehen – aber auch mit zusätzlichen Vorgaben. Zur Finanzierung eines Teils der Ausgaben für den Klimaschutz will die Bundesregierung den Abbau klimaschädlicher Subventionen prüfen.

Vorgesehen ist, dass die Energiestandards für Neubauten angehoben werden und dass Heizungen, „die ausschließlich mit fossilen Brennstoffen betrieben werden können“, nicht mehr gefördert werden. Was das konkret bezüglich der aktuell geförderten Gas-Hybridheizungen und Renewable-Ready-Systeme bedeutet, wurde bisher nicht erläutert.

Für große Aufregung in der Wohnungswirtschaft hat die Ankündigung im begleitenden Beschluss geführt, dass die Kosten der CO2-Bepreisung künftig nicht mehr allein von den Mietern, sondern zur Hälfte von den Vermietern getragen werden sollen. Damit soll die Wirkung der CO2-Bepreisung verbessert werden, da Vermieter über energetische Sanierungen und die Art der Heizung entscheiden.

Axel Gedaschko, Präsident des Spitzenverbandes der Wohnungswirtschaft GdW: „Eine pauschale Kostenaufteilung beim CO2-Preis ist keine faire oder intelligente Lösung. Es ist ein Investitionshemmnis erster Güte. Ausgerechnet die sozial verantwortlichen Vermieter werden bestraft, die bislang mit geringen Mieten gewirtschaftet haben. Denn die finanzielle Belastung mit 50 % der in Gebäuden verursachten CO2-Emissionen entzieht den nachhaltig agierenden Wohnungsunternehmen unmittelbar die finanziellen Mittel, die sie für weitere Klimaschutzmaßnahmen benötigen.“

Kai Warnecke, Präsident von Haus & Grund: „Dass Vermieter nun 50 % der von den Mietern verursachten CO2-Kosten tragen müssen, ist nicht akzeptabel.“ Der Vermieter habe keinen Einfluss darauf, wie viel der Mieter heizt oder wie viel Warmwasser er verbraucht. Klimaschutzpolitisch sei dieser Beschluss deshalb kontraproduktiv. Warnecke kündigte an, diese Regelung verfassungsrechtlich prüfen zu lassen. Er rechne zudem damit, dass viele Vermieter nun die Mieten erhöhen müssten, um die zusätzliche finanzielle Belastung kompensieren zu können.

Wie die Teilung der CO2-Bepreisung administrativ geregelt werden soll, hat die Bundesregierung offen gelassen. Problematisch ist insbesondere, dass die CO2-Bepreisung kein ausweisbarerer Bestandteil der Energiebezugsrechnungen ist und auch nicht ohne weiteres werden kann. Mit dem Positionspapier Begrenzte Umlage der BEHG-Kosten – Investitionsanreize stärken hatte die dena am 14. Januar 2021 einen Vorschlag für eine klima- und sozialpolitisch verträgliche Kostenverteilung vorgelegt. Der Vorschlag zur sozialverträglichen Umlage des CO2-Preises zwischen Mieter und Vermieter beinhaltet auch einen komplexen legislativen Regelungsbedarf.