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Energiemanagement

Mit Künstlicher Intelligenz Energie hamsternde Häuser

Das Energiemanagement in einem Haus mit Photovoltaik-Anlage ist komplex: Wann stellt man die Heizung an, damit es abends angenehm warm ist? Wieviel Strom darf der Pufferspeicher aufnehmen? Reicht die Energie dann noch fürs Elektroauto? Künstliche Intelligenz (KI) kann da helfen: Forschende der Empa haben eine KI-Steuerung entwickelt, die solche Aufgaben selbständig erlernen kann – und dabei mehr als 25 % Energie einspart.

Wie waren die alten Zeiten einfach: Im Frühjahr, wenn die Heizölpreise sanken, hat man die Tanks im Keller einfach randvoll gefüllt. Dann war man alle Sorgen bis zur nächsten Saison los. Auch fürs Auto gab es Sprit an jeder Ecke. Rund um die Uhr. Volltanken, weiterfahren fertig…

Entenkurve verhindern

Der Ausstieg aus der fossilen Wirtschaft macht es für Sparfüchse deutlich schwerer. Nun ändern sich die Energiepreise nicht mehr jährlich, sondern stündlich. Eigenen Solarstrom gibt es zur Mittagszeit im Überfluss – am Abend liefert die Photovoltaik-Anlage bei tiefstehender Sonne jedoch kaum noch Energie, gleichzeitig lassen heimkehrende Arbeitspendler den Strombedarf ansteigen.

Der Effekt ist auf Verbrauchsgrafiken so deutlich zu sehen, dass Wissenschaftler ihm einen eigenen Namen gegeben haben: „Duck-Curve“ (Entenkurve). Wenn die Ente ihr Haupt erhebt, wird es teuer für alle, die nun Strom beziehen müssen – wenn in der Zukunft zeitvariable Tarife solche Entwicklungen durch die Verlagerung der Nachfrage abflachen sollen.

Wer günstig und zugleich umweltschonend die verfügbare erneuerbare Energie nutzen will, kann sich in Zukunft nicht mehr auf fest installierte Thermostate und manuell betätigte Knöpfe verlassen.

Ein vielschichtiges Problem

Bratislav Svetozarevic forscht im „Urban Energy Systems“-Labor an der Empa und hat das Problem erkannt. Gefragt ist eine automatische Steuerung, die Energie zu günstigen Tageszeiten hamstert und für teure Tageszeiten nutzbar macht. Als Speicher könnte zum Beispiel die Antriebsbatterie des eigenen Autos dienen, das in der Garage an der Ladestation hängt.

Doch Svetozarevic hat mit einem vielschichtigen Problem zu tun: Jedes Haus ist anders, und seine Bewohner sind es auch. Je nach Wetter und Jahreszeit ändern sich zudem die Stromerzeugung der Photovoltaik-Anlagen sowie die  Heiz- oder Kühllast. Eine optimale Energiesteuerung muss also den Tagesrhythmus eines Hauses und seiner Bewohner erlernen – und sollte auch während des Betriebs flexibel reagieren können, etwa wenn ein Wetterumschwung alle Kalkulationen umwirft.

Schritt eins: die Theorie

Die Lösung für solche Probleme ist Künstliche Intelligenz. Svetozarevic hat eine KI-Steuerung entworfen, die auf dem Reinforcement Learning Prinzip basiert. Wenn das System „richtig“ agiert, erhält es eine „Belohnung“. Allmählich perfektioniert die Steuerung auf diese Weise ihr Verhalten.

Zunächst wurde die Steuerung nur am Computer simuliert. Die Vorgaben: Ein bestimmter Raum in einem Gebäude musste elektrisch auf die gewünschte Temperatur geheizt werden und diese halten. Zugleich musste das System ein Elektroauto mit Strom versorgen, das morgens um 7:00 Uhr zu mindestens 60 % geladen sein sollte und dann den Bilanzkreis verlässt.

Um 17:00 Uhr kehrt das Elektroauto mit einer Restladung zur Ladestation zurück und kann während der Nachtstunden auch Strom ins Haus zurückliefern. Die Steuerung wurde mit Wetterdaten und Raumtemperaturen aus dem vergangenen Jahr gefüttert und musste mit zwei Stromtarifen zurechtkommen: Teurer Strom am Tag zwischen 8:00 Uhr und 20:00 Uhr, billiger Strom während der Nachtstunden.

Das Ergebnis war verblüffend: Die selbstlernende Steuerung sparte gegenüber einer fest programmierten Lösung rund 16 % Energie ein und hielt im Theorieversuch auch die gewünschte Raumtemperatur deutlich exakter ein.

Schritt zwei: Test im realen Gebäude

Nun musste die Steuerung den Test in der Wirklichkeit bestehen. Svetozarevic nutzte dazu das Forschungsgebäude NEST auf dem Empa-Campus. In der Unit DFAB House steuerte der KI-Algorithmus eine Woche lang die Temperatur eines Raumes. Zugleich wurde die 100-kWh-Speicherbatterie im NEST genutzt, um die Batterie des Elektroautos zu simulieren.

Diesmal fiel das Ergebnis noch deutlicher aus: In einer kühlen Woche im Februar 2020 sparte die KI-Steuerung, im Vergleich zum benachbarten Studentenzimmer, dessen Heizung mit einer fest programmierten (regelbasierten) Steuerung betrieben wurde, 27 % Heizenergie ein.

Svetozarevic: „Das Schöne an unserer selbstlernenden KI-Steuerung ist, dass man sie nicht nur im Forschungsgebäude NEST, sondern auch jedem anderen Gebäude einsetzen kann. Es braucht keinen Ingenieur, der die Steuerung programmiert, und niemanden, der das Haus zuvor analysiert und eine maßgeschneiderte Lösung errechnet.“

Wohlige Wärme auf sparsame Art

In einem nächsten Schritt wollen Svetozarevic und seine Kolleginnen und Kollegen nun ermitteln, wie sich das System von einem Raum auf größere Gebäude erweitern lässt. „Wir haben in unserem ersten Experiment einen typischen Haushalt der Zukunft abbilden wollen.“ Der Einfachheit halber hat sich das Team auf das Heizen und Fahrzeugladen beschränkt.

Die Arbeit legt jedoch die Basis für deutlich mehr. Svetozarevic ist sich sicher: „Unsere KI-Steuerung kommt auch dann noch zurecht, wenn eine Photovoltaik-Anlage Strom liefert, eine Wärmepumpe und ein lokaler Pufferspeicher bedient werden muss – und sich die Komfortansprüche der Bewohner immer wieder ändern.“

Um das KI-System in Zukunft für eine optimale Energieversorgung nutzen zu können, ist allerdings eine neue Generation Elektroautos nötig. Die heute üblichen europäischen und US-amerikanischen Modelle mit CCS-Schnelladeanschluss können nur Strom tanken, jedoch keinen aus ihrem Stromspeicher liefern.

Japanische Autos mit Chademo-Stecker sind dagegen für das sogenannte bidirektionale Laden ausgelegt. Der koreanische Konzern Hyundai hat im Dezember 2020 angekündigt, seine neue Elektroauto-Plattform E-GMP ebenfalls für bidirektionales Laden auszurüsten. Damit könnten Elektroautos langfristig beim Energiesparen helfen und zugleich das Elektrizitätsnetz stabilisieren. ■

Originalpublikation
B. Svetozarevic, C Baumann, S Muntwiler, L Di Natale, P Heer, M Zeilinger; Data-driven MIMO control of room temperature and bidirectional EV charging using deep reinforcement learning: simulation and experiments; https://arxiv.org/abs/2103.01886