Kohei Hara – Getty Images / Siemens AG
Der Artikel kompakt zusammengefasst
■ Daten aus dem Gebäudebetrieb bleiben heute vielfach ungenutzt oder werden nicht zur Informationsgewinnung kombiniert. Typische Hindernisse sind unterschiedliche Formate, Schnittstellen und Zugriffsbeschränkungen.
■ Wertvolles Wissen wird so nicht erschlossen, Fehler werden zu spät erkannt, Optimierungspotenziale übersehen und mit hoher Wahrscheinlichkeit Daten unbewusst falsch interpretiert.
■ Ein zentraler Hebel zur Zusammenführung und Nutzung von Daten über System- und Gewerkegrenzen hinweg sind offene Plattformen.
Für die Digitalisierung des Gebäudebetriebs gilt Künstliche Intelligenz (KI) inzwischen als Schlüsseltechnologie. Mit darauf aufbauenden Funktionen, beispielsweise das Erkennen von Anomalien, das Erstellen von Vorhersagen oder die automatische Anlagenüberwachung, ermöglichen cloudbasierte Plattformen, dass Betreiber ihre Prozesse automatisieren und der Weg zum autonomen Gebäude beschreiten können. Wie das Zusammenspiel von Daten, Plattform und KI funktioniert und welchen Nutzen es bringt.
Der Gebäudesektor steht vor einem tiefgreifenden Wandel: Bis spätestens 2045 soll der Gebäudebestand in Deutschland klimaneutral werden – eine Herausforderung, die nicht nur neue Bauweisen, sondern auch eine intelligente Steuerung und Optimierung bestehender Infrastrukturen erfordert. Digitale Technologien spielen dabei eine Schlüsselrolle, allen voran Künstliche Intelligenz (KI).
Gebäude enthalten und erzeugen große Mengen an Betriebsdaten – von Temperatur- und Verbrauchswerten über Wartungszyklen bis hin zu den technischen Spezifikationen einzelner Anlagenkomponenten. Diese Daten bleiben jedoch häufig in Silos gefangen: Jede Fachdisziplin, jede Softwarelösung und oft auch jedes einzelne Gebäude arbeitet isoliert mit jeweils eigenen Formaten, Schnittstellen und Zugriffsbeschränkungen.
Das hat Folgen: Wertvolles Wissen bleibt ungenutzt, Fehler werden zu spät erkannt und Optimierungspotenziale übersehen. Hinzu kommen steigende Anforderungen durch gesetzliche Vorgaben wie die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD), der wachsende Fachkräftemangel und nicht zuletzt auch der wirtschaftliche Druck, Betriebskosten zu senken.
Offene Plattformen als Enabler für intelligente Gebäude
In vielen Anlagen sind heute noch Software und Systeme im Einsatz, die ursprünglich individuell für einen ganz bestimmten Zweck und ein Unternehmen programmiert worden sind. Solche „Legacy-Systeme“ sind nicht mehr zeitgemäß, denn die Wartung und Pflege der teilweise jahrzehntealten Software kosten viel Geld. Darüber hinaus fehlen offene Schnittstellen – dadurch wird verhindert, dass Betreiber Daten programm- und systemübergreifend austauschen und nutzen können.
Ein zentraler Hebel zur Überwindung solcher komplizierter Systemlandschaften sind offene Plattformen. Sie schaffen die Voraussetzung dafür, Daten über System- und Gewerkegrenzen hinweg zusammenzuführen, einheitlich zu strukturieren und intelligent zu nutzen. Im Gegensatz zu proprietären Insellösungen bieten offene Plattformansätze standardisierte Schnittstellen (APIs), herstellerübergreifende Konnektivität und die Möglichkeit, bestehende Systeme flexibel zu integrieren. Das eröffnet nicht nur technische Vorteile wie Interoperabilität, Skalierbarkeit und geringere Abhängigkeiten. Es schützt auch Investitionen, da bestehende Infrastrukturen weiterhin genutzt und mit neuen Funktionen erweitert werden können.
Offene Plattformen bilden damit die technologische Grundlage für zentrale Digitalisierungsziele im Gebäudesektor: Transparenz, Automatisierung und Effizienz. Sie ermöglichen es, datenbasierte Services bereitzustellen, regulatorische Anforderungen wie die CSRD zu erfüllen und neue Geschäftsmodelle zu erschließen, etwa im Energiemanagement oder der vorausschauenden Instandhaltung. Dieser Kontext ist es, in dem der Einsatz von KI an Bedeutung gewinnt: Denn erst wenn Daten aus verschiedenen Quellen sinnvoll verknüpft und zugänglich sind, lassen sich Muster erkennen, Prognosen erstellen und Prozesse automatisieren.
Durchgängige Plattform für alle Daten
Siemens AG
Ein Beispiel für einen solchen Plattformansatz ist Building X – eine KI-basierte Suite für klimaneutrale Gebäude von Siemens Smart Infrastructure: Die Lösung für Systeme, Applikationen und Gewerke ist offen, interoperabel und wurde speziell für den ganzheitlichen Gebäudebetrieb entwickelt. Grundlage dafür ist eine Cloud-Architektur, die Daten standardisiert, speichert und über definierte Schnittstellen zugänglich macht. Darauf aufbauend kommen verschiedene KI-Methoden zum Einsatz, die datengetriebene Entscheidungen im Gebäudebetrieb unterstützen.
Ein zentrales Anwendungsfeld ist dabei die automatische Anomalie-Erkennung im Energieverbrauch: Mithilfe von Machine-Learning-Algorithmen werden Verbrauchsmuster analysiert und auffällige Abweichungen identifiziert, ohne dass Nutzer aktiv danach suchen müssen. Das System informiert proaktiv, wenn ein bestimmter Energiezähler ein ungewöhnliches Verhalten zeigt – beispielsweise in Form von übermäßigem Wärmeverbrauch in der Lüftung außerhalb der Betriebszeiten. Die Reaktion erfolgt schnell und datenbasiert, was Ausfallzeiten, Energieverluste und Kosten reduziert.
Ergänzend dazu bietet Building X Prognosefunktionen (Forecasting), mit denen der künftige Energieverbrauch auf Basis historischer Daten vorhergesagt werden kann. Dabei werden externe Faktoren berücksichtigt, beispielsweise Wetterdaten, Feiertage oder Nutzungsprofile. Betreiber erhalten dadurch die Möglichkeit, frühzeitig gegenzusteuern, etwa wenn sich abzeichnet, dass ein zuvor definiertes CO2-Ziel ohne zusätzliche Maßnahmen nicht erreicht werden wird.
Ein weiteres bedeutendes Einsatzfeld ist das Fehlermanagement mithilfe regelbasierter (und zukünftig auch lernender) KI-Modelle. Der Applikation Operations Manager nutzt derzeit mehr als 300 Diagnoseregeln, um Betriebsfehler automatisch zu identifizieren. Sie erkennt zum Beispiel das gleichzeitige Heizen und Kühlen in einer Anlage. Schon heute erhalten Nutzer dazu konkrete Hinweise auf mögliche Ursachen. Perspektivisch sollen KI-Agenten diese Aufgaben weiter automatisieren: von der Identifikation über die Analyse bis hin zur Bewertung der Priorität.
Anreicherung von Gebäudedaten
Häufig wird noch die semantische Anreicherung von Gebäudedaten in Building X übersehen. In der Praxis bedeutet das: Informationen wie Sensordaten, Messpunkte oder technische Komponenten werden automatisch mit sogenannten Tags und Labels versehen, um sie einheitlich zu strukturieren, zu benennen und später gezielt auswertbar zu machen.
Diese Form der automatisierten Datenaufbereitung ist wichtig, damit Anwendungen wie der Energy Manager oder der Operations Manager effizient arbeiten können. KI übernimmt dabei Aufgaben, die früher zeitaufwendig manuell erfolgen mussten: etwa das Zuweisen von eindeutigen Namen oder die korrekte Zuordnung von Datenpunkten zu Gebäudestrukturen. Das spart nicht nur Zeit und reduziert Fehlerquellen, sondern schafft auch eine skalierbare Datenbasis für alle weiteren Analysen und Anwendungen innerhalb der Plattform.
Ein viel effizienterer Zugriff auf Daten
Siemens AG
Auch Sprachmodelle und Copilot-Funktionen gewinnen an Bedeutung: Mit „Ask Building X“ steht Anwendern ein KI-gestützter Assistent zur Verfügung, der per Texteingabe Fragen zur Plattform beantworten, relevante Dokumente finden und Inhalte sprachlich zusammenfassen kann. Auch eine Übersetzungsfunktion für verschiedene Sprachen ist darin enthalten; die Anwendung Lifecycle Twin mit über 160.000 technischen Dokumenten ist bereits eingebunden. Entscheidend ist dabei: Der Zugriff erfolgt nicht mehr nur auf die Dokumente selbst, sondern direkt auf die darin enthaltenen Informationen. Die dadurch erreichbare Nutzerersparnis ist enorm.
Besonders effizient werden all diese Funktionen, wenn sie anwendungsübergreifend zusammenspielen: So lassen sich im Energy Manager identifizierte Anomalien im Operations Manager analysieren und direkt im Lifecycle Twin mit konkreten Wartungsmaßnahmen verknüpfen. KI hilft dabei, diese Prozesskette zu automatisieren – bis hin zur autonomen Ableitung und Zuweisung von Maßnahmen.
Mehrwert durch mehr Daten und weniger Aufwand
Durch den Einsatz von KI in Building X entstehen für Betreiber von Gebäuden und Liegenschaften zahlreiche Vorteile. Die Plattform nimmt den Nutzern mühsame Routineaufgaben ab, liefert relevante Informationen automatisch und reduziert den Zeitaufwand für Analyse und Fehlersuche erheblich. Daten werden nicht nur gesammelt, sondern auch verstanden und nutzbar gemacht – unabhängig von ihrer Herkunft oder dem eingesetzten Subsystem. Die Plattform lernt kontinuierlich hinzu und kann ihre Vorschläge und Hinweise über die Zeit immer präziser auf den jeweiligen Anwendungsfall abstimmen.
Die langfristige Vision ist das autonome Gebäude: ein System, das sich selbst optimiert, Fehler frühzeitig erkennt, Maßnahmen einleitet und nur dann menschliches Eingreifen erfordert, wenn es wirklich notwendig ist. Noch ist dieser Zustand nicht erreicht. Doch mit Building X und der Integration intelligenter, lernender Systeme ist die technologische Basis geschaffen. Die Gebäude der Zukunft werden nicht nur energieeffizienter und nachhaltiger sein. Sie werden auch selbstständiger und intelligenter agieren. Künstliche Intelligenz ist dabei kein Selbstzweck, sondern ein Werkzeug, um Gebäude wirtschaftlicher, komfortabler und resilienter zu betreiben.
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