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Zukunft BAU auf der BAU Online 2021

CO2-neutrale Gebäude nur mit Materialwende

Bild 1 Nach drei Jahren Vorbereitungszeit wurde im Sommer 2019 das bundesweit erste Recyclinghaus fertiggestellt. Die hohen normativen Bauanforderungen ließen jedoch „nur“ eine 50%ige Recyclingquote zu. Neue Materialien wurden so eingebaut, dass sie beim Rückbau wiederverwendet werden können. Der Initiator, Lorenz Hansen, geschäftsführender Gesellschafter der Gundlach Bau- und Immobilien GmbH & Co KG, Hannover: „Wir wollten Neuland betreten, in der Praxis erleben, was hier und heute für uns möglich ist. Wie nahe kommen wir an 100 % Recycling ran?“

Gundlach-Bau

Bild 1 Nach drei Jahren Vorbereitungszeit wurde im Sommer 2019 das bundesweit erste Recyclinghaus fertiggestellt. Die hohen normativen Bauanforderungen ließen jedoch „nur“ eine 50%ige Recyclingquote zu. Neue Materialien wurden so eingebaut, dass sie beim Rückbau wiederverwendet werden können. Der Initiator, Lorenz Hansen, geschäftsführender Gesellschafter der Gundlach Bau- und Immobilien GmbH & Co KG, Hannover: „Wir wollten Neuland betreten, in der Praxis erleben, was hier und heute für uns möglich ist. Wie nahe kommen wir an 100 % Recycling ran?“

Kompakt informieren
■ Die Fokussierung auf eine möglichst hohe Gebäudeenergieeffizienz von Neubauten trägt nicht zum Klimaschutz bei, selbst wenn die Gebäude ihren eigenen Strom produzieren.
■ Die Protagonisten der Bewegung „Energiehaus Plus“ fordern heute, die Energiebilanzierung auf die Produktion, den Bau und den Rückbau eines Gebäudes auszuweiten und Gebäude nach ihrer tatsächlichen CO2-Belastung über den gesamten Lebenszyklus zu betrachten.
■ Wichtige Rollen in der CO2-Bilanz spielen der Abbruch und das Recycling von Bau-und Ausbaumaterialien. Dies sollte bereits bei der Planung durch die Auswahl der Materialien und Energiekonzepte nach CO2-Minderungskriterien berücksichtigt werden.
■ Portale wie Ökobaudat schaffen erstmals Transparenz, welche Materialien und Systeme über den Lebenszyklus eines Gebäudes den GWP-Wert senken und welche eher kontraproduktiv auf das Klimaschutzziel 2050 wirken.
 

Die gute Nachricht zuerst: Wohngebäude nach dem Standard „Effizienzhaus Plus“ haben sich in der nunmehr zehnjährigen Testphase bewährt. Wissenschaftlich validiert läutet dieser energetisch optimierte Gebäudestandard das Zeitalter der positiven Energiebilanz im Gebäudebereich ein.

Sofern bei Planung, Bauausführung, den gebäudetechnischen Anlagen und beim Nutzer bzw. Bewohner die besonders hohen Anforderungen eines Effizienzhauses eingehalten werden, produzieren solche Häuser mehr Energie als sie selbst verbrauchen. Im Idealfall liefern sie noch genügend Strom für die Beladung von ein bis zwei Elektrofahrzeugen.

Die schlechte Nachricht: solche Neubauten tragen – gesamthaft gesehen – nichts zum Klimaschutz bei. Die Energiebilanz der vergleichsweise wenigen Neubauten spielt in der energetischen Gesamtbetrachtung des Gebäudebestands in Deutschland keine Rolle.

Mehr noch: Bilanziert man die graue Energie der Baustoffe, der Anlagentechnik, des Erhaltungsaufwands und des Rückbaus nach Ende des Lebenszyklus in die Gesamtemissionsbilanz eines Gebäudes mit ein, dann ist dem Klima durch den Zubau von neuen Hocheffizienzhäusern nicht geholfen, auch wenn sie ihren Strom selbst produzieren.

Nachdrücklich wurde auf der Veranstaltung deshalb für eine forcierte energetische Sanierung des Gebäudebestandes plädiert, allerdings unter Einbeziehung einer ressourcenschonenden Vorgehensweise.

Entsorgungskosten bereits beim Gebäudebezug hinterlegen

Bild 2 Das Effizienzhaus Plus mit Elektromobilität, Berlin, Fasanenstraße 87a, entworfen von Werner Sobek im Jahr 2010. Damals ging es in erster Linie um den Nachweis, dass ein Gebäude mehr Energie erzeugen kann, als für den Betrieb notwendig ist.

Nikolas Klostermann

Bild 2 Das Effizienzhaus Plus mit Elektromobilität, Berlin, Fasanenstraße 87a, entworfen von Werner Sobek im Jahr 2010. Damals ging es in erster Linie um den Nachweis, dass ein Gebäude mehr Energie erzeugen kann, als für den Betrieb notwendig ist.

Prof. Dr. Werner Sobek, einer der Initiatoren der Bewegung „Effizienzhaus Plus“ (Bild 2) sieht die Gebäudesanierung weniger unter Energieaspekten, sondern als ein Emissions- und Ressourcen-Verfügbarkeitsproblem. Ein Beispiel endlicher Ressourcen ist der weltweite Mangel an Sand für die Bauindustrie.

Wichtig seien exaktere Sprachregelungen rund um die Bilanzierung von Energieverbräuchen sowie neue Ansätze hinsichtlich der Energieeffizienz. So führe die reine Orientierung an der Gebäudeenergieeffizienz im Hinblick auf den Klimaschutz in die falsche Richtung.

Vielmehr gelte es, die gesamte Produktionskette von Bau- und Ausbaustoffen auf ihren Verbrauch an grauer Energie und ihre Recyclingtauglichkeit zu untersuchen und zu bilanzieren.

Langfristiges Ziel müsse es sein, dass bei Herstellung und Rückbau eines Gebäudes nur noch recyclingfähige Materialien anfallen. Dazu ist eine lückenlose Dokumentation der verwendeten Materialien anhand von Materialkatastern notwendig. Vorbild sei die Schweizer Baubranche, die heute bereits 80 % des Abbruchmaterials als Rezyklate wieder dem Bauprozess zuführe.

Als zusätzliche Motivation für recyclinggerechtes Bauen schlägt Sobek vor, dass Bauherren und Investoren vor dem Bezug eines Gebäudes die voraussichtlichen Entsorgungskosten hinterlegen müssten.

Sobek sprach sich außerdem für ein grundsätzliches Verbot aller Verbrennungsprozesse aus, selbst wenn die Brennstoffe aus nachhaltiger Produktion stammen. Er begründet dies damit, dass auch CO2-neutrale Brennstoffe klimaschädliche Emissionen erzeugen.

Es fehlt an Mut und Wissen

Auch Prof. Dr. Norbert Fisch ist der Auffassung, dass die Zeit reif ist, Gebäude so zu bauen, dass sie mindestens ihren eigenen Strom produzieren: „Wir wissen aus dem Modellvorhaben Effizienzhaus Plus, dass sich dieses Konzept bewährt hat.“ Dazu zählt Fisch den Standard „KfW 55+“, dessen Maßgabe völlig ausreiche. Aufwendige Passivhaus-Hüllen werden nicht gebraucht, so Fisch.

Ebenso müssten Solarthermieanlagen infrage gestellt werden. Bei wirtschaftlichen Vergleichsrechnungen zwischen KfW-55+-Gebäuden mit Erdgasheizung und Solarthermie und KfW-55+-Gebäuden mit Wärmepumpe und Photovoltaik-Anlage sei die Wärmepumpen-Photovoltaik-Lösung eindeutig im Vorteil, da Solarthermieanlagen inzwischen rund 30 bis 50 % teurer als PV-Anlagen gleicher Leistung seien. Fisch: „Die Wärmepumpe ist in einem dekarbonisierten Stromnetz eindeutig das Heizgerät der Zukunft.“

Bild 3 Recycling ist der neue Mainstream, auch in der Architektur. Für einen Interimsbau (100 % aus Recyclingmaterial) des Deutschen Museums in München wurde eine temporäre Fassade im 3D-Druck erstellt. Dieses Druckverfahren schafft luftgefüllte Hohlräume, die gleichzeitig für Stabilität und Dämmung sorgen. Dünne regengeschützte Lüftungskanäle ermöglichen eine natürliche Belüftung, vorausberechnete standortbezogene Wölbungen sorgen für Verschattung. Durch die Verwendung von Rezyklat ist der GWP-Wert negativ, wirkt sich also günstig auf die CO2-Bilanz des Gebäudes aus. Entwurf und Planung Fassade: 3F Studio.

Architekten Schmidt-Schicketanz und Partner GmbH

Bild 3 Recycling ist der neue Mainstream, auch in der Architektur. Für einen Interimsbau (100 % aus Recyclingmaterial) des Deutschen Museums in München wurde eine temporäre Fassade im 3D-Druck erstellt. Dieses Druckverfahren schafft luftgefüllte Hohlräume, die gleichzeitig für Stabilität und Dämmung sorgen. Dünne regengeschützte Lüftungskanäle ermöglichen eine natürliche Belüftung, vorausberechnete standortbezogene Wölbungen sorgen für Verschattung. Durch die Verwendung von Rezyklat ist der GWP-Wert negativ, wirkt sich also günstig auf die CO2-Bilanz des Gebäudes aus. Entwurf und Planung Fassade: 3F Studio.

Ab 2030 könne man davon ausgehen, dass die Elektrodirektheizung bei genauer Bilanzierung der Emissionen eines KfW-55+-Gebäudes besser als eine Gas-Heizung abschneidet.

Von energieautarken Gebäuden, sei es mittels PV-Strom oder Erdgas-BHKW, rät Fisch ab. Solche Lösungen seien nicht bezahlbar oder allenfalls für Sonderanwendungen geeignet. BHKW würden sich wegen der stetigen Dekarbonisierung der Stromversorgung über den Lebenszyklus eines Gebäudes hinweg von Jahr zu Jahr schlechter rechnen und deshalb kaum mehr lohnen.

Stadtquartiere solarisieren und mit
Überschüssen Wasserstoff erzeugen

Eine wichtige Rolle zur Emissionsminderung sieht Fisch in der Solarisierung bestehender Stadtquartiere, da hier der erzeugte Strom über kurze Wege verteilt und gleichzeitig das Leitungsnetz entlastet werde. Langfristig sei vorstellbar, dass überschüssiger PV-Strom innerhalb des Quartiers in Wasserstoff umgewandelt und die bei der Elektrolyse anfallende Abwärme über ein Nahwärmenetz genutzt werde. Der gewonnene Wasserstoff sollte bevorzugt in das bestehende Erdgasnetz eingespeist werden.

Eine der wichtigsten Maßnahmen zu mehr Transparenz über die tatsächliche CO2-Belastung eines Gebäudes sieht Fisch in der zeitnahen Umstellung des Gebäudeenergiegesetzes (GEG) auf die Bilanzierung der CO2-Emissionen von Bau- und Ausbaustoffen sowie der Endenergie.

Erst durch die Erweiterung des Bilanzrahmens werde transparent, dass der Wettlauf um das energieeffizienteste Gebäude im Hinblick auf den noch unsanierten Gebäudebestand keine Rolle spielt. Viel wichtiger sei es, die graue Energie beim Bau von Gebäuden bzw. deren Sanierung mit zu bilanzieren und möglichst nur Baustoffe zu verwenden, die sich mit wenig Energieaufwand rezyklieren lassen (Bild 1 und 3).

Um die im Klimaschutzplan festgelegten Klimaziele im Gebäudebereich zu erreichen, plädiert Fisch zusätzlich für ein Gebäude-CO2-Label und einen Gebäude-TÜV im Fünf-Jahresrhythmus. Außerdem müssten realisierte CO2-Einsparungen belohnt bzw. gefördert werden. Es sei auch eine höhere CO2-Bepreisung notwendig, um die Gebäudesanierung voranzutreiben.

Rohstoffwende voll im Gange

Während die Energiewende bisweilen stockt, ist die Rohstoffwende in der Bau- und Ausbaubranche zumindest in Teilbereichen schon voll im Gang. Neben der Würdigung der Erfolge des Effizienzhaus-Plus-Programms war dies das wichtigste Thema der Veranstaltung.

Bild 4 Fast alles, was in der schweizerischen Gebäudetechnik Rang und Namen hat, ist in diesem modularen Forschungs- und Innovationsgebäude der beiden Schweizer Forschungsinstitute Empa und Eawag mit dabei. Das NEST-Gebäude besteht aus einem zentralen Rückgrat und drei offenen Plattformen mit einzelnen austauschbaren Forschungs- und Innovationsmodulen (www.empa.ch/web/nest). Das Baubüro in situ AG, Basel, bereitet derzeit den Einbau eines Moduls vor, das weitgehend aus Rezyklaten besteht.

Empa Pictures / Roman Keller

Bild 4 Fast alles, was in der schweizerischen Gebäudetechnik Rang und Namen hat, ist in diesem modularen Forschungs- und Innovationsgebäude der beiden Schweizer Forschungsinstitute Empa und Eawag mit dabei. Das NEST-Gebäude besteht aus einem zentralen Rückgrat und drei offenen Plattformen mit einzelnen austauschbaren Forschungs- und Innovationsmodulen (www.empa.ch/web/nest). Das Baubüro in situ AG, Basel, bereitet derzeit den Einbau eines Moduls vor, das weitgehend aus Rezyklaten besteht.

Künftig gelte es, die Treibhausgasrelevanz von Bau- und Ausbaustoffen, sprich die teilweise enormen Mengen an grauer Energie zur Herstellung und zur Entsorgung in den Optimierungsprozess mit einzubeziehen, so der überraschend einheitliche Tenor der Veranstaltung.

Ziel ist die Auswahl von Materialien, die mit möglichst wenig grauer Energie hergestellt werden können und zugleich eine hohe Recyclingfähigkeit aufweisen. Treibende Kraft dieser Entwicklung ist der EU-Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft, der im Rahmen des Europäischen Green Deal aufgestellt wurde. Demnach soll die Europäische Union bis 2050 die Klimaneutralität erreichen.

Da die Baubranche als ein extrem energie- und ressourcenintensiver Wirtschaftszweig gilt, läge es nahe, die Energiewende mit der Materialwende zu verknüpfen, ergab eine digitale Umfrage bei den Teilnehmern der Veranstaltung. Mit etwa 90 % des Verbrauchs an mineralischen Rohstoffen und einem Anteil von etwa 54,7 % des deutschen Brutto-Abfallaufkommens durch Bau- und Abbruchabfällen (Stand 2018) liegt im Bauwesen ein enormes CO2-Einsparpotenzial.

Wichtig sei auch die Verlängerung der Nutzungszeit von Gebäuden, mehr geplante Flexibilität für Umbau und Zweitnutzung sowie die Wahl von langlebigen Bau- und Ausbaumaterialien. Ziel ist eine Verlangsamung der Stoffkreisläufe und damit die Einsparung von Energie und Ressourcen.

Wichtige Weichen für das zirkuläre Bauen werden bereits in der Planung gestellt, das heißt, Gebäude und Anlagen müssten künftig so geplant und gebaut werden, dass am Nutzungsende eine sortenreine Gewinnung der Bauprodukte wirtschaftlich realisiert werden kann (Bild 4).

Megatrend Kreislaufwirtschaft

Ein überzeugendes Beispiel, wie aus Recyclingmaterial hochwertige und normungskonforme Gebäudeaufstockungen realisiert werden können, zeigte Barbara Buser vom Baubüro „in situ AG“ in Basel (Bild 5).

Für die Aufstockung „Lysbüchel“ in Basel akquirierte die Architektin innerhalb einer Woche rund 200 neuwertige und normgerechte Gratisfenster unterschiedlicher Größen von Fensterbauern, die aufgrund baulicher Änderungen als Retouren an die Hersteller zurückgingen.

Auch die Wärmedämmung der vorgefertigten Elementfassade mit den teilweise aufgedoppelten Fenstern besteht zu 100 % aus Restmaterial. Selbst die Tragkonstruktion aus Stahlelementen konnte aus Abbruchmaterial erstellt werden (Bild 6).

Bild 6 Fertige Fassade, komplett aus Recyclingmaterial. Die Herausforderung für den Planer liegt in der regionalen Beschaffung der Materialien und in der Erfüllung von Normen und Vorschriften.

Martin Zeller / in situ

Bild 6 Fertige Fassade, komplett aus Recyclingmaterial. Die Herausforderung für den Planer liegt in der regionalen Beschaffung der Materialien und in der Erfüllung von Normen und Vorschriften.
Bild 5 Vorgefertigte Elementfassade mit Wärmedämmung aus Restbeständen und Fenstern aus Retouren verschiedener Hersteller. 

Martin Zeller / in situ

Bild 5 Vorgefertigte Elementfassade mit Wärmedämmung aus Restbeständen und Fenstern aus Retouren verschiedener Hersteller. 

Zur Beschaffung von hochwertigen Recycling-Bau- und -Ausbaustoffen empfiehlt Buser eine regionale Biete-Suche-Plattform nach dem Vorbild der holländischen „Harvest Map“ (www.oogstkaart.nl) einzurichten. Wichtig sei, dass sich Spender und Empfänger frühzeitig über nutzbares Abbruch- und Recyclingmaterial verständigen (Bild 7 und 8).

Bild 7 Mangels passender Secondhand-Heizkörper waren kreative Lösungen gefragt.

Martin Zeller / in situ

Bild 7 Mangels passender Secondhand-Heizkörper waren kreative Lösungen gefragt.

Je nach Wertigkeit des Materials müsse allerdings auf die Transportkosten geachtet werden. In der Regel lohne sich nur der Transport im Umkreis von 100 km, außer es handelt sich um Stahlteile. In Deutschland bietet das Portal www.bauteilnetz.de gut erhaltene gebrauchte Bauteile an.

Prof. Dr.-Ing. Thomas Stark, Hochschule für angewandte Wissenschaften, Fachgebiet Energieeffizientes Bauen, Konstanz, sieht die Kreislaufwirtschaft nach der Energieeffizienzphase bereits als den Megatrend in der Bauwirtschaft. Auch Stark plädiert dafür, regionale Wertstoffverbände zu etablieren, mit möglichst kleinen Kreisläufen.

Wichtig sei es, eine geänderte Wertschätzung gegenüber Abbruchmaterial aufzubauen und erhaltenswerte Komponenten frühzeitig zu sichern. Der beste Beweis für die Qualität von Recyclingmaterial sind realisierte Projekte, wie beispielsweise das „Haus der 1000 Geschichten“ in Konstanz (www.bit.ly/tga1370), das zu 100 % aus Rückbauprodukten besteht.

Der tatsächliche Energieverbrauch von Gebäuden wird verschleiert

Eine neue Sichtweise auf den tatsächlichen Energieverbrauch von Gebäuden fordert auch Luisa Ropelator von Architects for Future, Bremen (www.architects4future.de). Bei genauer Bilanzierung der Stoffströme und des Aufwands an grauer Energie für die industrielle Produktion von Bau- und Ausbaumaterialien sowie der Logistik vom Hersteller zur Baustelle verbrauche die deutsche Baubranche rund 40 % der Primärenergie und produziere etwa 55 % des gesamten Abfallaufkommens.

Rein statistisch gesehen, liegt der Energieverbrauch von Gebäuden jedoch nur bei 15 % des Gesamtenergieverbrauchs, da hier nur der Energieverbrauch für den Betrieb des Gebäudes gezählt werde. Die enorme Verschwendung rund um den Bau von Gebäuden hinge unter anderem damit zusammen, dass es an ausreichendem Wissen über den tatsächlichen Energieverbrauch von Gebäuden mangelt, so Ropelator. Außerdem fehle es an Regelwerken, welche die Lebenszykluskosten eines Gebäudes in irgendeiner Weise definieren. Lediglich die Nutzungsenergie der Gebäude werde regulatorisch erfasst.

Wertschöpfungsmodelle für Recycling entwickeln

In der Praxis stellen sich unterschiedliche Fragen der Garantie und Gewährleistung von Recyclingprodukten. Laut Barbara Buser ist hier noch ein weites Feld für Vereinbarungen. Bislang müsse der Bauherr beim Bauen mit Rezyklaten selbst haften. Gegebenenfalls könnten auch spezielle Versicherungen die Haftung übernehmen. Auch ist die Branche noch stark vom persönlichen Engagement einzelner oder von Initiativgruppen geprägt.

Für Stark ist es wichtig, dass nach der Pionierphase die Baubranche selbst Wertschöpfungsmodelle entwickelt, damit Anreize für eine Kreislaufwirtschaft geschaffen werden. Das könnten auch Handwerkerzirkel sein, die das Thema Wiederverwertung gemeinsam angehen.

Ropelato hält es für wichtig, dass es auch für Baustoffe eine CO2-Bepreisung gibt, damit künftig die tatsächlichen, sprich klimarelevanten Kosten, in die Energiebilanzierung eines Gebäudes eingehen. Dadurch werden problematische Baustoffe belastet, recyclingfähige Materialien aber entlastet. Es sei nicht mehr hinnehmbar, dass die Allgemeinheit die Kosten für den Klimaschutz bezahle.

Bild 8 Aufstockung K118 in Winterthur. Basis für die Beschaffung der Secondhand-Materialien ist eine Harvest Map mit genauen Angaben über wiederverwendbare Produkte und Materialien sowie Daten über den Zeitpunkt der Verfügbarkeit.

in situ

Bild 8 Aufstockung K118 in Winterthur. Basis für die Beschaffung der Secondhand-Materialien ist eine Harvest Map mit genauen Angaben über wiederverwendbare Produkte und Materialien sowie Daten über den Zeitpunkt der Verfügbarkeit.

Bauen mit CO2-Bilanzierung

Wie sehr sich eine CO2-Bilanz-orientierte Gebäudeplanung von einer nach Energieeffizienzkriterien geleiteten Planung unterscheidet, zeigt Stefan Oehler von Archkom, Jungenheim / Berlin. Aus seiner Sicht kommt man durch eine CO2-Orientierung bei der Gebäudeplanung zu komplett anderen Lösungen als bei der bisherigen Energieeffizienz-Orientierung.

Das habe man auch in Brüssel und Berlin erkannt und entsprechende Änderungen bei den Verordnungen in die Wege geleitet. Im Mittelpunkt der Gebäudeplanung stehe künftig die CO2-Bilanz des Gebäudes bzw. dessen Ökobilanz, das heißt, die Umweltwirkung, neudeutsch das Global Warming Potential (GWP). Künftig bestehe die Lebenszyklusbetrachtung eines Gebäudes aus dem Neubau mit einem möglichst hohen Anteil an Recyclingstoffen, aus der Betriebsenergie sowie aus dem Rückbau mit einer möglichst hohen Recyclingquote.

Im Idealfall werden die Ausgangsstoffe für den Neubau aus dem Rückbau-Recycling wiedergewonnen. Im Zuge der sogenannten Near-Zero-Energy-Buildings, also Häuser, die beispielsweise vollelektrisch betrieben werden und den Strom per PV-Anlage emissionsfrei produzieren, liege dann der Schwerpunkt der Planung auf der Minimierung des Energieeinsatzes bei der Herstellung und dem Recycling der Bau- und Ausbaustoffe.


CO2-Minderungspotenziale bei Gebäuden

Bei einer sektorübergreifenden Betrachtung im Gebäudebereich ergeben sich Potenziale zur Minderung der Treibhausgas-Emissionen durch:

● Suffizienz
    – Überprüfung von Flächenbedarf und Komfortanforderung

● Effizienz/Konsistenz bei Berücksichtigung des kompletten Energiebedarfs
    – Reduzierung des Energiebedarfs
    – Umstellung auf erneuerbare Energien bzw. Dekarbonisierung der Energieversorgung
    – Verbesserung der Effizienz
    – netzdienliche Energieerzeugung an Gebäuden mit möglichst hohem Eigennutzungsgrad

● Lebenszyklusbezug
     –  Sicherstellung der Langlebigkeit und Anpassungsfähigkeit von Gebäuden
    –  Einflussnahme auf Bauweisen und Art der Baustoffe
    –  Nutzung von Sekundärstoffen
    –  Dekarbonisierung der Baustoffproduktion

Quelle: Prof. Dr.-Ing. Thomas Lützkendorf, KIT Karlsruhe 

Gemäß EN 15 978 (Nachhaltigkeit von Bauwerken – Bewertung der umweltbezogenen Qualität von Berechnungsmethoden) gliedere sich der Lebenszyklus eines Gebäudes künftig in die Phasen Herstellen, Errichten, Nutzen und Entsorgen mit anschließendem Recycling, neudeutsch Cradle-to-Cradle-Prinzip (von Wiege zu Wiege).

Für eine solche Planung existieren bereits vollständige Datensätze von Bau- und Ausbaustoffen, aber auch von den unterschiedlichen Heizungs-, Lüftungs- und Klimasystemen, die über das Portal Ökobaudat (www.oekobaudat.de) frei zugänglich sind. Baustoffe oder Anlagen mit GWP-Minus-Werten bedeuten eine CO2-Gutschrift, GWP-Plus-Werte dagegen einen CO2-Malus.

Hohe Bonuswerte lassen sich beispielsweise durch Photovoltaik-Anlagen erzielen, dagegen führt die Verwendung von Hightech-Dämmmaterial, wie Vakuum-Dämmung oder Aerogel-Dämmung, wegen des hohen Energieaufwands bei der Herstellung zu Maluspunkten.

Im Idealfall erzeugt das Gebäude über eine Photovoltaik-Anlage so viel Überschussenergie, dass Maluspunkte aus der Herstellung von Baumaterialien über die Lebenszeit des Gebäudes kompensiert werden. Die Anzahl der Jahre bis zur Tilgung ist die Carbon-Payback-Time. Eine maximale Nachhaltigkeit wird dann erreicht, wenn die Nutzungsdauer länger als die Tilgungszeit ist.

Beste Voraussetzungen für ein Net-Zero-Energy-Building haben, so Oehler, seriell sanierte Bestandsgebäude mit Vollwärmedämmung und großzügig bemessenen Photovoltaik-Anlagen. Durch die Sanierung zu einem Net-Zero-Energy-Building wird die Lebenszeit eines Gebäudes signifikant verlängert und durch den Stromüberschuss die CO2-Bilanz verbessert.

Im Grunde bedeutet dies, dass erst die Sanierung des Gebäudebestands nach Net-Zero-Energy-Gesichtspunkten zu einem bundesweiten CO2-neutralen Gebäudebestand führt.

www.zukunftbau.de/effizienzhaus-plus

www.zebau.de/projekte/informationsstelle-effizienzhaus-plus

Wolfgang Schmid
ist freier Fachjournalist für Technische Gebäudeausrüstung, München, wsm@tele2.de

Margot Dertinger-Schmid


Bauen für das Klima

Klimaschutzpolitische Grundsätze sowie Maßnahmen und Ziele der Bundesregierung sind im Rahmen des Klimaschutzplans 2050 und des Klimaschutzprogramms 2030 definiert. Deutschland verpflichtet sich aktuell über das Bundes-Klimaschutzgesetz, bis zum Jahr 2030 mindestens 55 % weniger Treibhausgase im Vergleich zu 1990 freizusetzen. Bis 2050 soll der Gebäudesektor nahezu klimaneutral sein. Derzeit sind Gebäude für rund 30 % der nationalen Treibhausgasemissionen verantwortlich. Die wichtigste Maßnahme zur Senkung der Treibhausgase ist die CO2-Bepreisung.

Darüber hinaus sollen durch Fördermaßnahmen und gesetzliche Standards Innovationen und Investitionen initiiert werden. Umstritten ist, ob das bisherige Quellprinzip, also nur die direkten Emissionen von Gebäuden zu betrachten, ausreicht, die hohen Ziele zu erreichen. Denn so werden weder die „graue Energie“ bei der Herstellung der Produkte noch die Emissionen aus dem Energiesektor erfasst.

Während nach dem Quellprinzip der Gebäudesektor nur mit circa 15 % an der Gesamtemission beteiligt ist, liegt der Emissionsanteil bei Berücksichtigung der gebäudespezifischen Anteile aus Energiebereitstellung, Industrie, Landwirtschaft (Holzprodukte), Abfall und Verkehr bei rund 40 % (Verursacherprinzip).

Einen Ausweg aus diesem Dilemma ermöglichen unter anderem quartiersbezogene Energiekonzepte (über Photovoltaik-Anlagen) mit einem hohen Anteil an recyclingfähigen Bau- und Ausbaustoffen mit regionalem Bezug.

Um einen klimaneutralen Zustand bis 2050 zu erreichen, müsste laut Umweltbundesamt das persönliche jährliche Budget an Treibhausgas-Emissionen dann bei 1 t/(a  ∙  Pers) liegen. 2018 lagen die Pro-Kopf-Emissionen in Deutschland liegt bei 8,4 t/a.