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Studie

Wasserstoffziele EU / Deutsch­land: Kinderschuhe statt Hochlauf

vchalup – stock.adobe.com

2030 will die EU 20 Mio. t/a sauberen Wasserstoff nutzen und 10 Mio. t/a davon in der EU produzieren. Doch erst ein Bruchteil der notwendigen Kapazität ist finanziert. Das Tempo müsste nun schnell erheblich gesteigert werden.

Sauberer Wasserstoff gilt weltweit als essenziell, um die Dekarbonisierung voranzutreiben. Der Markt für die Schlüsseltechnologie kommt allerdings kaum in Gang. Zu diesem Ergebnis kommt die Studie „Navigating the Hydrogen Ecosystem – What's preventing Progress and how to gain Momentum“ von Strategy&, der globalen Strategieberatung von PwC.

Demnach klafft eine riesige Lücke zwischen den weltweit angekündigten Plänen zur Herstellung von Wasserstoff und den konkreten Projekten, die bereits realisiert werden. So sind zwar Wasserstoffprojekte mit einer globalen Kapazität von 840 GW geplant, tatsächlich durchfinanziert oder in Bau befinden sich jedoch lediglich Projekte mit 15 GW, das entspricht 1,8 %. Die Kapazität von Wasserstoffprojekten, die bereits in Betrieb sind, fällt noch geringer aus und liegt bei ca. 1 GW.

Auch Deutschland hinkt seinen Plänen deutlich hinterher. Bis 2030 will die Bundesrepublik 10 GW Kapazität aufbauen, aktuell sind aber erst weniger als 0,1 GW in Betrieb. Um sein Ziel noch zu erreichen, müsste Deutschland pro Jahr 1 bis 2 GW Elektrolysekapazität zubauen, in den letzten beiden Jahren haben allerdings nur ca. 250 MW Zubau die finale Finanzierungsentscheidung bekommen.

Auf der anderen Seite wird die Gaswirtschaft nicht müde, eine möglichst breite Wasserstoffnutzung zu propagieren, auch in Bereichen, wo elektrische Systeme kurz- und langfristig als die bessere Option gelten, zum Beispiel die Wärmeerzeugung im Gebäudesektor und im Straßen- und Schienenverkehr. In Deutschland werden aktuell rund 57 TWh/a gezielt aus fossilen Energieträgern hergestellter grauer Wasserstoff genutzt. Das entspricht 1,71 Mio. t/a. Deutschland würde also rund 17 % der gesamten geplanten 2030-EU-Erzeugung benötigen, um nur die aktuelle Wasserstoffnutzung zu dekarbonisieren. Deutschlands Anteil an der Bevölkerung beträgt rund 19 %. Der Erdgasabsatz von rund 800 TWh/a im Jahr 2023 in Deutschland liegt energetisch umgerechnet bei rund 24 Mio. t/a Wasserstoff.

Europa muss 20-mal so schnell ausbauen wie bisher

Insgesamt befinden sich mehr als die Hälfte aller weltweit angekündigten Projekte für sauberen Wasserstoff in Europa. Ende 2023 ergaben sie zusammengenommen eine potenzielle Leistung von 200 GW. Von der Realisierung dieser Leistung ist die EU allerdings weit entfernt. So sind aktuell lediglich Elektrolyseanlagen mit 0,2 GW in Betrieb, zusätzlich befinden sich Anlagen mit 3 GW Leistung in Bau oder sind finanziert.

In den Jahren 2022 und 2023 erhielten jeweils Projekte mit insgesamt 1 GW Leistung eine finale Finanzierung oder gingen in Bau. Mit Blick auf die eigenen Ziele müsste die EU jedoch bis 2030 Elektrolyseur-Anlagen mit insgesamt 120 GW Leistung aufbauen, was einem Plus von 20 GW pro Jahr und somit einem 20-mal so schnellen Ausbautempo wie bislang entspricht. Da für die Herstellung sauberen Wasserstoffs große Mengen erneuerbare Energie benötigt werden, müssen zudem auch hier erhebliche Kapazitäten entstehen. Für die anvisierten 120 GW Leistung würden zum Beispiel 24 000 neue Windkraftanlagen benötigt. Zum Vergleich: In Deutschland gibt es rund 29 000 Windkraftanlagen.

Mehrere Henne-Ei-Probleme

„Der kapitalintensive Wasserstoffmarkt steckt weiterhin in den Kinderschuhen und hatte zuletzt auch noch mit hohen Zinsen und Inflation bei den Materialpreisen zu kämpfen. Wir beobachten dabei mehrere grundsätzliche Herausforderungen, die in Summe so schnell wie möglich angegangen werden müssen“, sagt Dirk Niemeier, Director bei Strategy& Deutschland und Co-Autor der Studie.

„Die größte Barriere ist das Fehlen großvolumiger Abnahmeverträge, was die Finanzierung und damit Fertigstellung der Produktionsprojekte verhindert. Voraussetzung für solche Abnahmeverträge ist wiederum eine Förderung, die ähnlich wie bei erneuerbarem Strom die anfänglichen Mehrkosten gegenüber fossilen Alternativen ausgleicht. Ein ähnliches Henne-Ei-Problem beobachten wir bei der Infrastruktur, die für Lagerung und Transport unerlässlich ist, aber erst gebaut wird, wenn genügend Wasserstoff produziert wird. Hinzu kommt die Knappheit Erneuerbarer Energien, die für sauberen Wasserstoff so dringend benötigt werden.“

Bei der Umsetzung hat China die Nase vorn

Im globalen Vergleich zeigt sich, dass diese Herausforderungen zwar für alle Regionen gelten, allerdings unterschiedlich stark ausgeprägt sind – und auch unterschiedlich erfolgreich gelöst werden. Betrachtet man etwa die angekündigten Produktionskapazitäten, liegen Afrika und Lateinamerika nach Europa auf Platz 2 und 3. Beide Regionen kämpfen jedoch mit hohen Unsicherheiten bezüglich der Konkretisierung der Projekte.

Ganz anders China, Südkorea und Japan: Das asiatische Trio zeigt sich als Umsetzungsspitzenreiter und hat bereits jetzt doppelt so viel Produktionskapazität in Betrieb, finanziert oder in Bau wie Europa. Allein China plant für 2024 ein Plus tatsächlich laufender Elektrolyseur-Kapazität, das dem 2023 in Europa im Bau oder finanzierten Volumen entspricht (3,3 GW). Die USA setzen vor allem auf günstigeren kohlenstoffarmen (blauen) Wasserstoff, der etwa mithilfe von CCS (Carbon Capture and Storage-Technik) aus Erdgas hergestellt wird, um so ihre Gasindustrie in das künftige Wasserstoffökosystem zu integrieren.

„Alle Akteure müssen gemeinsamen Kraftakt leisten“

„Wasserstoff ist einer der entscheidenden Schlüssel, um die globalen Klimaziele noch zu erreichen. Damit der Markt in Gang kommt, müssen alle Akteure einen gemeinsamen Kraftakt leisten, der sich für die heutigen Pioniere später allerdings gleich mehrfach auszahlen kann“, sagt Dr. Daniel Haag, Director bei Strategy& Deutschland und Co-Autor der Studie:

„Konkret sind etwa die Regierungen in der Pflicht, international einheitliche Standards zu definieren und Anreizsysteme zu schaffen. Die Produzenten müssen vor allem die Kosten in den Griff bekommen, etwa durch neue Technologien, Skaleneffekte oder optimierte Produktionsprozesse. Hilfreich können auch Konsortien aus Produzenten und Abnehmern sein, um für beide Seiten mehr Sicherheit zu schaffen.

Zugleich müssen sich die Abnehmer in den verschiedenen Industrien zu Wasserstoff bekennen, während sich Verteiler, Händler und Intermediäre beim Ausbau der Infrastruktur eng mit Produzenten und Abnehmern abstimmen sollten. Zuletzt spielen Aggregatoren eine entscheidende Rolle, da sie Nachfrage strategisch bündeln und so die Lücke zwischen Produktionskosten und Marktpreisen überbrücken.“ ■
Quelle: Strategy& / jv

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