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Energiewende

EU-Taxonomie betrifft auch den Wärmemarkt

Billd 1 Nacht- und Nebelaktion: In der Silvesternacht 2021/22 hat die EU-Kommission im Rahmen der EU-Taxonomie für ökologisch nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten ihren Vorschlag für die technischen Überprüfungskriterien in bestimmten Energiesektoren an die Mitgliedstaaten versendet.

Andrey Kuzmin – stock.adobe.com

Billd 1 Nacht- und Nebelaktion: In der Silvesternacht 2021/22 hat die EU-Kommission im Rahmen der EU-Taxonomie für ökologisch nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten ihren Vorschlag für die technischen Überprüfungskriterien in bestimmten Energiesektoren an die Mitgliedstaaten versendet.

Ein Vorschlag der EU-Kommission zur EU-Taxonomie gibt Erdgas- und Kernkraftwerken unter bestimmten Bedingungen den Status „nachhaltige Aktivität“ bzw. „grünes Investment“ und würde damit die privilegierte Finanzierung solcher Projekte ermöglichen. Der wohl kaum noch zu stoppende delegierte Rechtsakt wird sich auch auf den Gebäudesektor respektive den Wärmemarkt auswirken. Hier könnte er aber auch sehr unterschiedliche Positionen zusammenbringen.

Kompakt zusammengefasst
■ Die EU-Kommission hat einen Vorschlag zur EU-Taxonomie bezüglich Erdgas- und Kernkraftwerken veröffentlicht.
■ Im Gegensatz zur öffentlichen Diskussion bekommen Erdgas und Erdgaskraftwerke damit kein grünes Label.
■ Vielmehr geht es darum, mit Gaskraftwerken eine schnelle Minderung von Treibhausgasemissionen und bis 2036 den Ausstieg aus der Nutzung von Erdgas in diesen Kraftwerken zu erreichen.
■  Mit der Fähigkeit des Wärmemarkts, Erdgas mit einer Beimischung von Wasserstoff zu nutzen, könnten der Investitionsbedarf verringert und die Nutzungsoption für Wasserstoff im Wärmemarkt ohne Lock-in-Effekte offengehalten werden.
 

In der Silvesternacht 2021/22 hat die EU-Kommission im Rahmen der EU-Taxonomie für ökologisch nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten ihren Vorschlag für die technischen Überprüfungskriterien in bestimmten Energiesektoren an die Mitgliedstaaten versendet. Danach soll zumindest übergangsweise die Stromproduktion durch Kern- und Erdgaskraftwerke als „nachhaltig“ klassifiziert werden, um so Investitionen in diese Techniken als „grünes Investment“ anerkennen zu können. Zeitgleich wurden in Deutschland mit Grohnde, Gundremmingen C und Brokdorf drei Kernkraftwerke endgültig vom Netz genommen.

Die Kritik ließ nicht lange auf sich warten und fiel deutlich aus. Die Deutsche Umwelthilfe benötigte nur wenige Stunden zur Bewertung des 60 Seiten umfassenden Dokuments. Neujahr gegen 11:30 Uhr wurde per Pressemitteilung „aufs Schärfste kritisiert, dass damit umweltschädliche Investitionen unter einem grünen Deckmantel ermöglicht werden. Offenbar hat sich Bundeskanzler Olaf Scholz für die Aufnahme von fossilem Gas in die Taxonomie eingesetzt und dafür im Gegenzug den französischen Wunsch nach Aufnahme der gefährlichen Atomkraft unterstützt.“

EU-Taxonomie (Finanzrahmen für nachhaltige Investitionen)

Die Taxonomie für nachhaltige Aktivitäten der EU legt entlang mehrerer Kriterien fest, wann Investitionen als nachhaltig gelten können und hat damit eine zentrale Bedeutung für die Energiewende und die Umsetzung des Europäischen Green Deals (Klimaneutralität 2050 in der EU). Die EU-Kommission ist ermächtigt, die Taxonomie mit delegierten Rechtsakten auszugestalten. Ein delegierter Rechtsakt kann nur noch durch den Rat oder das Europäische Parlament verhindert werden, sobald er vorgelegt ist. Änderungen können nicht mehr vorgenommen werden. Der am 31. Dezember 2021 / 1. Januar 2022 bekannt gewordene Entwurf war ein interner Vorschlag zur Abstimmung innerhalb der EU-Kommission.

Kritik ohne Fundament

Trotz Feiertag und Wochenende folgten schnell weitere kritische Stimmen, kampfbereit, sich gegen den Vorschlag der EU-Kommission zu wehren, auch aus dem Bundeskabinett. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Die Grünen) bewertete in einem Statement gegenüber der Deutschen Presse-Agentur den Vorschlag der EU-Kommission als „Verwässerung“ des guten Labels für Nachhaltigkeit und sah keine Zustimmung für die Vorschläge. Schwerpunkt seiner Kritik waren allerdings die Regelungen für die Kernkraft. Auch die erste Kritik von Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Die Grünen) fokussiert sich auf die Einstufung der Kernkraftwerke, bei Gaskraftwerken ruderte sie später zurück.

Viele Tageszeitungen hoben das Thema auf die Titelseite ihrer ersten Ausgabe im Jahr 2022, fast ausschließlich auf Basis kritischer bis empörter, teils ideologisch gefärbter Äußerungen. Allerdings: Weder die Kritiker noch die Redakteure oder die Nachrichtenagenturen schienen sich die Mühe gemacht zu haben, den Vorschlag der EU-Kommission zu lesen oder ihn bezüglich der schnell vorgebrachten Kritik zu bewerten.

Die Einstufung von Kernkraftwerken in der EU-Taxonomie kann Deutschland zwar nicht egal sein, auch wenn hierzulande planmäßig Ende 2022 die letzten Kernkraftwerke vom Netz genommen werden. Nachfolgend wird wegen der Relevanz für den Gebäudesektor und den Wärmemarkt aber nur auf Gaskraftwerke eingegangen.

Erdgas wird nicht grün gestempelt

Mit dem Entwurf der EU-Kommission bekommt Erdgas kein grünes Label, auch Erdgaskraftwerke bekommen damit keinen Freibrief. Vielmehr enthält der Entwurf einen Vorschlag, unter welchen Kriterien neue oder umgerüstete Gaskraftwerke als nachhaltig gelten können. Nachhaltige mit Erdgas befeuerte Kraftwerke? Auf den ersten Blick mag das ein irritierender Widerspruch sein. Denn klar ist: Klimaneutralität wird nur mit einem Ausstieg aus der heutigen Nutzung von Erdgas mit der Freisetzung von Treibhausgasemissionen bei der Verbrennung und in der Vorkette erreichbar sein. Und selbst Klimaneutralität garantiert nicht per se Nachhaltigkeit.

Bild 2 Erdgas bekommt mit der EU-Taxonomie kein grünes Label, auch Erdgaskraftwerke bekommen damit keinen Freibrief. Vielmehr ist bei mit der EU-Taxonomie konformen Gaskraftwerken das Ende der Nutzung fossiler Gase bis spätestens 2036 vorgezeichnet.

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Bild 2 Erdgas bekommt mit der EU-Taxonomie kein grünes Label, auch Erdgaskraftwerke bekommen damit keinen Freibrief. Vielmehr ist bei mit der EU-Taxonomie konformen Gaskraftwerken das Ende der Nutzung fossiler Gase bis spätestens 2036 vorgezeichnet.

Ein realistischer Blick findet sich im Ampel-Koalitionsvertrag: „Wir beschleunigen den massiven Ausbau der erneuerbaren Energien und die Errichtung moderner Gaskraftwerke, um den im Laufe der nächsten Jahre steigenden Strom- und Energiebedarf zu wettbewerbsfähigen Preisen zu decken. Die bis zur Versorgungssicherheit durch erneuerbare Energien notwendigen Gaskraftwerke müssen so gebaut werden, dass sie auf klimaneutrale Gase (H2-ready) umgestellt werden können. Erdgas ist für eine Übergangszeit unverzichtbar.“

So müsste, wer den Vorschlag der EU-Kommission zur EU-Taxonomie bezüglich Erdgaskraftwerken („Electricity generation from fossil gaseous fuels“) als nicht nachhaltig kritisiert, eigentlich in diesem Punkt auch den Koalitionsvertrag beanstanden – der immerhin den Untertitel „Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“ trägt.

Aber beide Pläne sind durchaus mit der Definition für Nachhaltigkeit in Einklang zu bringen: Als nachhaltig wird eine Entwicklung bezeichnet, bei der heutige Bedürfnisse befriedigt werden (intergenerationale Gerechtigkeit), ohne zukünftigen Generationen die Lebensgrundlage zu entziehen (intragenerationale Gerechtigkeit).

Hohe Hürden für Erdgaskraftwerke

Der Plan der EU-Kommission sieht hohe Hürden vor, nach denen die Errichtung oder der Betrieb von „Stromerzeugungsanlagen, die Strom aus fossilen gasförmigen Brennstoffen erzeugen“, gemäß der Taxonomie-Verordnung Artikel 10 Absatz 2 (siehe Info-Kasten) einen „wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz“ leistet. Dazu muss sie unter anderem folgende technische Überprüfungskriterien erfüllen:

● Die Lebenszyklus-Treibhausgasemissionen aus der Stromerzeugung mit fossilen gasförmigen Brennstoffen liegen unter 100 g CO2e/kWh [CO2e: CO2-Äquivalent], diese müssen von einem unabhängigen Dritten zertifiziert werden.

● Maßnahmen zur Minderung der Treibhausgasemissionen, einschließlich der CO2-Abscheidung und Speicherung oder die Verwendung dekarbonisierter Brennstoffe, können unter bestimmten Bedingungen dabei berücksichtigt werden.

● Bei Anlagen, für die die Baugenehmigung bis zum 31. Dezember 2030 erteilt wird, muss erfüllt sein:

▪ die direkten THG-Emissionen müssen geringer als 270 g CO2e/kWh bezogen auf die Ausgangsenergie sein oder die jährlichen Treibhausgasemissionen dürfen einen Durchschnitt von 550 kgCO2e/kW bezogen auf die Ausgangsnennleistung der Anlage über 20 Jahre nicht überschreiten, und

▪ die Anlage ersetzt eine bestehende Anlage zur Stromerzeugung mit hohen Emissionen, die feste oder flüssige fossile Brennstoffe verwendet, und

▪ die Nennleistung der Anlage übersteigt die Kapazität der ersetzten Anlage nicht um mehr als 15 %, und

▪ es muss nachgewiesen werden, dass die Anlage die Mitverbrennung kohlenstoffarmer gasförmiger Brennstoffe ermöglicht und es wirksame Pläne oder Verpflichtungen gibt, ab dem 1. Januar 2026 mindestens 30 % und ab dem 1. Januar 2030 mindestens 55 % erneuerbare oder kohlenstoffarme Gase zu verwenden und spätestens bis zum 31. Dezember 2035 auf erneuerbare oder kohlenstoffarme Gase umzustellen, und

▪ der Ersatz zu einer Verringerung der Treibhausgasemissionen von mindestens 55 % pro kWh bezogen auf die Ausgangsenergie führt, und

▪ die Tätigkeit auf dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats, der sich EU-rechtskonform zum Ausstieg aus der Energieerzeugung aus Kohle verpflichtet hat, stattfindet.

Sinngemäß gelten die Bedingungen auch für mit Erdgas betriebene Erzeugungsanlagen in Fernwärme- und -kältenetzen.

Für die Praxis wohl viel zu nachhaltig

Bild 3 Um Wasserstoff direkt zu Gaskraftwerken ohne Anbindung an eine Wasserstoffpipeline zu transportieren, ist ein hoher logistischer Aufwand erforderlich.

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Bild 3 Um Wasserstoff direkt zu Gaskraftwerken ohne Anbindung an eine Wasserstoffpipeline zu transportieren, ist ein hoher logistischer Aufwand erforderlich.

Wer heute mit der Planung eines Gaskraftwerks beginnt – diese sind für die Umsetzung der Energiewende in Deutschland nach aktuellem Stand zwingend erforderlich – und es mit den Vorteilen eines „wesentlichen Beitrags zum Klimaschutz“ finanzieren will, wird es angesichts einer mehrjährigen Planungs- und Realisierungszeit nur für einen kurzen Zeitraum zu 100 % mit Erdgas betreiben können. Schon ab 2026 müssen dann mindestens 30 % „low-carbon gases“ eingesetzt werden.

Der Vorschlag der EU-Kommission macht zwar keine genauen Angaben, es ist aber mit großer Wahrscheinlichkeit von einer energetischen und nicht von einer volumetrischen Quote auszugehen. Der Unterschied ist jedoch enorm: Für eine energetische Quote von 30 % müsste ein Gemisch aus Wasserstoff und Erdgas (Methan) einen volumetrischen Wasserstoffanteil von etwa 57 % aufweisen.

Das würde nach heutigem Stand mit einer vom Regelwerk gedeckten Beimischung bis zu 10-Vol.-% Wasserstoff bedeuten, dass der Wasserstoff oder ein großer Teil separat zum Kraftwerk transportiert und vor Ort beigemischt werden muss. Ein abwegiger und viel zu teurer Plan. Bis 2026 wird es nur wenige Kraftwerksstandorte mit geringer Entfernung zu einer Wasserstoffpipeline geben.

Und beim Transport per Bahn oder Lkw wird schnell die erforderliche Logistikleistung unterschätzt. Ein durchschnittliches GuD-Kraftwerk in Deutschland hat eine elektrische Leistung von etwa 300 MW. Mit einem sehr hohen elektrischen Wirkungsgrad von 60 % beträgt der Wasserstoffbedarf etwa 4,5 t/h, ab 2030 dann 8,3 t/h. Flüssiger Wasserstoff hat eine Dichte von 70,8 kg/m3. 4,5 t Wasserstoff haben also bereits ein reines Flüssigkeitsvolumen von 63,5 m3.

Bild 4 Auch mit Biomethan könn(t)en mit der EU-Taxonomie konformen Gaskraftwerke die „low-carbon gases“-Quoten erfüllen. Allerdings ist auch hier das Angebot knapp.

Karin Jähne – stock.adobe.com

Bild 4 Auch mit Biomethan könn(t)en mit der EU-Taxonomie konformen Gaskraftwerke die „low-carbon gases“-Quoten erfüllen. Allerdings ist auch hier das Angebot knapp.

Als „low-carbon gases“ gelten aktuell erneuerbare oder [zertifiziert] kohlenstoffarme Gase, z. B. Biomethan und Wasserstoff; im noch nicht verabschiedeten „Gaspaket“ sind sie als Gase, die 70 % weniger Treibhausgase als herkömmliches Erdgas verursachen, definiert.

Einfacher wäre es, Biomethan [bilanziell] einzusetzen. Die Umlenkung vorhandener Mengen in den Kraftwerksbereich würde aber nicht unbedingt vollständig auf die Energiewende oder eine Verminderung der Treibhausgasemissionen einzahlen. Und zusätzliche Mengen in der erforderlichen Größenordnung stehen nicht zur Verfügung bzw. können kaum so schnell aufgebaut werden.

Doch ob grüner, blauer oder türkisfarbener Wasserstoff bis 2026 in ausreichender Menge zur Einleitung des Erdgas-Ausstiegs zur Verfügung steht, ist mehr als fraglich. Die Bundesregierung plant zwar, die Maßnahmen zum Markthochlauf der Wasserstofftechnologie anzupassen und die Produktion von grünem Wasserstoff gegenüber den bisherigen Plänen [der vorherigen Bundesregierung] zu verdoppeln. Allerdings hat sie bereits durchblicken lassen, dass man die Produktion von Wasserstoff aus fossilem Gas nicht subventionieren wolle.

Stellungnahme der Bundesregierung zur EU- Taxonomie

Am 22. Januar 2022 hat Berlin ihre „Stellungnahme der Bundesregierung zur Taxonomie der Europäischen Union“ nach Brüssel geschickt und darin ihre Ablehnung zur Einbeziehung von Kernenergie deutlich zum Ausdruck gebracht: „Sie ist risikobehaftet und teuer; auch neue Reaktorkonzepte wie Mini-Reaktoren bringen ähnliche Probleme mit sich und können nicht als nachhaltig eingestuft werden.“

Im Bereich Gas hat die Bundesregierung der EU-Kommission „Präzisierungshinweise“ gegeben. Aus Sicht der Bundesregierung sind gesonderte Grenzwerte für Fernwärmenetze und für den Ersatz von alten durch neue Gaskraftwerke erforderlich. Auch den verbindlichen Erdgas-Ausstieg nach Kalender will sie aufweichen. Sie bezweifelt, dass ab 2026 genug „low-carbon gases“ zur Verfügung stehen:

„Die beim Fuel Switch verlangten Zwischenschritte mit Beimischungsquoten dekarbonisierter Gase von 30 % bis 2026 und 55 % bis 2030 sind nicht realistisch zu erreichen. In der Markthochlaufphase mit knappen Verfügbarkeiten können die Zwischenschritte die Umstellung auf erneuerbaren Wasserstoff in anderen Sektoren (insbesondere Industrie) behindern. Daher sollten Zwischenschritte ausgespart und der Fuel Switch ab 2036 flexibel ermöglicht werden. In jedem Fall sind die Fuel-Switch-Anforderungen aus unserer Sicht als Richtwerte zu verstehen, die jeweils unter Berücksichtigung der tatsächlich verfügbaren Menge entsprechender Brennstoffe bewertet werden müssen. Dies sollte im Text eindeutig klargestellt werden, auch um sicherzustellen, dass eine Haftung für diese nicht vom Kraftwerksbetreiber beeinflussbare Voraussetzung ausgeschlossen ist.“

Stellungnahme der Bundesregierung zur EU-Taxonomie
 

Einflüsse auf den Gebäudesektor

Per Definition machen mit der EU-Taxonomie konforme Gaskraftwerke den Strommix ab der ersten Betriebsstunde und danach zusätzlich stufenweise sauberer. Der ökologische Rucksack einer mit Netzstrom angetriebenen Wärmepumpe wird damit immer leichter, dies könnte sich über angepasste Anforderungen im Gebäudeenergiegesetz positiv für strombetriebene Wärmeerzeuger auswirken.

Bild 5 Wasserstoff-Beimischanlage für einen Feldversuch zur Beimischung von Wasserstoff ins Erdgasnetzt mit bis zu 20 Vol.-% in einem Teilnetz in Sachsen-Anhalt der E.on-Tochter Avacon. Der Wärmemarkt könnte eine wichtige Rolle dabei spielen, die „low-carbon gases“-Quoten von mit der EU-Taxonomie konformen Gaskraftwerken kostengünstig zu erfüllen.

Avacon / Andre Walther

Bild 5 Wasserstoff-Beimischanlage für einen Feldversuch zur Beimischung von Wasserstoff ins Erdgasnetzt mit bis zu 20 Vol.-% in einem Teilnetz in Sachsen-Anhalt der E.on-Tochter Avacon. Der Wärmemarkt könnte eine wichtige Rolle dabei spielen, die „low-carbon gases“-Quoten von mit der EU-Taxonomie konformen Gaskraftwerken kostengünstig zu erfüllen.

Viel relevanter wäre es allerdings, wenn mit der EU-Taxonomie konforme Gaskraftwerke die zur Verfügung stehenden Mengen an Biomethan und CO2-armen Wasserstoff an sich binden: Im Wärmemarkt wäre dann die Dekarbonisierung über die Substitution von Erdgas keine realistische Option mehr. In Kombination mit der ab 2025 beginnenden 65-%-Klausel für erneuerbare Energien im Koalitionsvertrag würde ab 2026 die Gas-Heizung bei der Heizungsmodernisierung weitgehend aussortiert, im Neubau wird dies mutmaßlich schon aufgrund der heutigen Marktbedingungen (auch ohne die aktuelle Hochpreisphase) stattfinden.

Die Knappheitssituation dürfte sich nach übereinstimmenden Prognosen – auch unter Berücksichtigung von blauem Wasserstoff – bis Anfang 2030 nicht entschärfen, eine Entspannung wird erst in den späten 2030er-Jahren erwartet. Denn Deutschland ist nicht die einzige Nation, die mit importiertem grünen oder blauen Wasserstoff oder entsprechenden Wasserstoffderivaten Lücken in ihren Energiewendestrategien füllen will bzw. füllen muss.

Wasserstoff im Wärmemarkt

Die Gaswirtschaft wirbt zwar munter dafür, Wasserstoff für das Heizen in Wasserstoff-Roadmaps und -strategien aufzunehmen, „gerade der Wärmesektor könne der Wasserstoffwirtschaft erhebliche Impulse geben und den angestrebten Markthochlauf durch eine gesicherte Abnahme beschleunigen“.

Bild 6 Wie entwickelt sich der Wärmemarkt: Rund 50 % der Hauseigentümer in Deutschland würden sich für eine Heizungs-Wärmepumpe entscheiden – wenn Geld und sonstige Bedingungen keine Rolle spielen. Nur 1 % der Befragten will künftig noch eine neue Gas-Heizung.

www.co2online.de

Bild 6 Wie entwickelt sich der Wärmemarkt: Rund 50 % der Hauseigentümer in Deutschland würden sich für eine Heizungs-Wärmepumpe entscheiden – wenn Geld und sonstige Bedingungen keine Rolle spielen. Nur 1 % der Befragten will künftig noch eine neue Gas-Heizung.

Angesichts der Stellungnahme(n) der Bundesregierung, die in den nächsten Jahren noch nicht einmal genügend (erneuerbaren) Wasserstoff für die Industrie als gesichert betrachtet, ist die Haltung der Gaswirtschaft bezüglich Wasserstoff im Wärmemarkt wohl am besten durch das Pippi Langstrumpf Syndrom (… „Zwei mal drei macht vier, widewidewitt und drei macht neune, ich mach mir die Welt, widewide wie sie mir gefällt“) zu beschreiben: Ein Zustand starker und anhaltender Realitätsverweigerung, (gepaart mit massiver Erkenntnis- und Beratungsresistenz).

Denn es ist kaum zu erwarten, dass momentan eine Nachfrage neben den ohnehin bestehenden Möglichkeiten entsteht. Solange Wasserstoff deutlich teurer als Erdgas ist, würde die Nachfrage wohl nur eine steigende Treibhausgas-Minderungsquote sichern. Sinn macht die Forderung zudem nur, wenn damit der Markthochlauf (teil)finanziert wird. Ohne Finanzierungsbedarf würde sich die Nachfrage selbstständig entwickeln. Und welche Auswirkungen eine hohe Nachfrage schon bei nur temporär geringem Angebot hat, erlebt die ganze Welte derzeit gerade live bei Erdgas.

Die Nutzung von Wasserstoff im Wärmemarkt ist aber auf einer anderen Ebene sinnvoll. Wasserstoff mit großem logistischen oder infrastrukturellen Aufwand zu Gaskraftwerke zu transportieren, wird kaum dazu führen, dass die erforderlichen zukunftsfähigen Kraftwerke entstehen. Ökonomischer wäre es, wenn die Kraftwerke zwar zwingend mit Blick auf die Zukunft technisch für den Betrieb mit „low-carbon gases“ geeignet sind, die dafür vorgegebenen Mengen aber übergangsweise voll oder anteilig „nur“ bilanziell nachgewiesen werden können. Auch bei Biomethan würde man nicht auf die Idee kommen, es vom Erzeuger direkt zum Gaskraftwerk zu transportieren.

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So könnten die „low-carbon gases“-Pflichtmengen nach wirtschaftlichen Kriterien in geeignete Netzgebiete eingespeist werden, ohne dass dort die Gaskunden dafür einen Aufschlag bezahlen müssen.

Die physikalische Verwendung der „low-carbon gases“ im Gebäudesektor wäre damit eine Erfüllungsoption aus den Pflichten der Energiewirtschaft. Im Gebäudesektor müssten aber weiterhin die Treibhausgasemissionen einer „reinen“ Erdgasversorgung bilanziert werden. Lock-in-Effekte würden so vermieden und gleichzeitig der Druck zur Dekarbonisierung durch eigene Leistungen des Gebäudesektors hoch und der spätere Einsatz von Wasserstoff bei hoher Verfügbarkeit und akzeptablen Kosten offen gehalten werden. Jochen Vorländer

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Taxonomie-Verordnung

Die Taxonomie-Verordnung, amtlich Verordnung (EU) 2020/852 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2020 über die Einrichtung eines Rahmens zur Erleichterung nachhaltiger Investitionen und zur Änderung der Verordnung (EU) 2019/2088 enthält Kriterien zur Bestimmung, ob eine Wirtschaftstätigkeit als ökologisch nachhaltig einzustufen ist (Taxonomie), um damit den Grad der ökologischen Nachhaltigkeit einer Investition ermitteln zu können. Sie ist der zentrale Rechtsakt, der durch Förderung privater Investitionen in grüne und nachhaltige Projekte einen Beitrag zum Europäischen Green Deal leisten soll.

Artikel 10: Wesentlicher Beitrag zum Klimaschutz

(1) Eine Wirtschaftstätigkeit wird als ein wesentlicher Beitrag zum Klimaschutz eingestuft, wenn sie wesentlich dazu beiträgt, die Treibhausgaskonzentrationen in der Atmosphäre auf einem Niveau zu stabilisieren, das eine gefährliche anthropogene Störung des Klimasystems verhindert, indem im Einklang mit dem langfristigen Temperaturziel des Übereinkommens von Paris Treibhausgasemissionen vermieden oder verringert werden oder die Speicherung von Treibhausgasen verstärkt wird, einschließlich durch Prozess- oder Produktinnovationen, durch:

a) Erzeugung, Übertragung, Speicherung, Verteilung oder Nutzung erneuerbarer Energien gemäß der Richtlinie (EU) 2018/2001, unter anderem durch den Einsatz innovativer Technologien mit Potenzial für erhebliche zukünftige Einsparungen oder durch eine notwendige Netzverstärkung oder -erweiterung;

[…]

(2) Für die Zwecke von Absatz 1 leistet eine Wirtschaftstätigkeit, für die es keine technologisch und wirtschaftlich durchführbare CO2-arme Alternative gibt, einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz, wenn sie den Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft unterstützt, im Einklang mit dem Weg hin zur Begrenzung des Temperaturanstiegs auf 1,5 °C gegenüber dem vorindustriellen Niveau, auch durch die schrittweise Einstellung von Treibhausgasemissionen, insbesondere aus festen fossilen Brennstoffen, und wenn diese Wirtschaftstätigkeit

a) Treibhausgasemissionswerte aufweist, die den besten Leistungen des Sektors oder der Industrie entsprechen,

b) die Entwicklung und Einführung CO2-armer Alternativen nicht behindert, und

c) in Anbetracht der wirtschaftlichen Lebensdauer von CO2-intensiven Vermögenswerten nicht zu Lock-in-Effekten bei diesen Vermögenswerten führt.

Für den Zweck dieses Absatzes und die Festlegung technischer Bewertungskriterien gemäß Artikel 19 bewertet die Kommission den potenziellen Beitrag und die Durchführbarkeit aller relevanten bestehenden Technologien.

(3) Die Kommission erlässt gemäß Artikel 23 einen delegierten Rechtsakt, um

a) zur Ergänzung der Absätze 1 und 2 des vorliegenden Artikels technische Bewertungskriterien festzulegen, anhand deren bestimmt wird unter welchen Bedingungen davon auszugehen ist, dass eine bestimmte Wirtschaftstätigkeit einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz leistet; und

b) zur Ergänzung von Artikel 17 technische Bewertungskriterien für jedes relevante Umweltziel festzulegen, anhand deren bestimmt wird ob eine Wirtschaftstätigkeit, für die gemäß Buchstabe a des vorliegenden Absatzes technische Bewertungskriterien festgelegt werden, eines oder mehrere dieser Ziele erheblich beeinträchtigt.

[…]
 

Die Expertengruppe, die die EU-Kommission im Bereich grüner Finanzen berät, hat deren Pläne kritisiert, Erdgas und Atomkraft vorübergehend als nachhaltig einzustufen (24.01.2022).