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TGA-Kongress 2021

Künstliche Intelligenz plant künftig mit

Kompakt zusammengefasst
■ Bisher galt die integrale Planung als Schlüssel für bessere Gebäude. Künftig muss dieser Ansatz deutlich auf eine gesamthafte Strategie zur Verringerung von Treibhausgasemissionen im gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes und aller seiner Baustoffe und -elemente erweitert werden.
■ Diese Betrachtung lässt sich nur mit einer durchgängigen Digitalisierung des Bauwesens erreichen. Eine wichtige Rolle soll dabei der 5G-Mobilfunkstandard übernehmen. Dazu wird aktuell eine Open-Source-Plattform mit repräsentativen Beispielen entwickelt.
■ Analog zum „smarten“ Stromnetz mit vielen volatilen Einspeisern werden sich auch bestehende Hoch- und Mitteltemperatur-Fernwärmenetze zu bidirektionalen Niedrigsttemperatur-Wärmenetzen der 5. Generation weiterentwickeln.
■ In allen Bereichen des Planens, Bauens und Betreibens wird zunehmend Künstliche Intelligenz zum Einsatz kommen, um vieldimensionale Optimierungsprobleme lösen zu können.  

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Träger des TGA-Kongresses sind der Bundesindustrieverband Technische Gebäudeausrüstung (BTGA), der Fachverband Gebäude-Klima (FGK), der Herstellerverband Raumlufttechnische Geräte (RLT-Herstellerverband), sowie der Bundesverband der Deutschen Heizungsindustrie (BDH).
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Die Argumentation „das haben wir schon immer so gemacht, das hat sich bestens bewährt und deshalb weiter so …“ gerät mit zunehmender Digitalisierung ins Abseits. Und noch eine Erkenntnis: Die alleinige Orientierung an der Energieeffizienz führt nicht zwangsweise zu klimaneutralen, den CO2-Ausstoß vermindernden Lösungen. Erste Ansätze einer gesamthaften CO2-Senkungsstrategie nach dem Vorbild „European Great Deal“ deuten darauf hin, dass es durch die Neuorientierung bei Bau, Ausbau und der Technischen Gebäudeausrüstung zu ganz anderen Lösungen kommen wird.

Wegbereiter für eine neue Klimaschutzstrategie ist zweifellos eine durchgängige Digitalisierung des Bauwesens und der peripheren Gewerke. Tenor der Vorträge im Themenbereich Digitalisierung: Klimaneutralität ist heute am ehesten durch Quartierslösungen in Verbindung mit digital gesteuerten Low-Exergy-Nahwärmenetzen, Wärmepumpen, Photovoltaik(PV)-Anlagen und Ladestationen für Elektrofahrzeuge zu erreichen.

5G unterstützt die Realisierung einer klimaneutralen Energieversorgung

Der Wandel von zentralen Energieversorgungsstrukturen hin zu klimaneutralen, regional strukturierten Systemen stellt die Energiewirtschaft vor schier unlösbare Aufgaben. Während bisher die Nachfragelast die Steuerung von Kraftwerken und Netzen bestimmte, wird künftig die Residuallast (Restbedarf an konventionell erzeugtem Strom) zur bestimmenden Größe.

Typisch für künftige Energiesysteme sind volatile Einspeiser, wie Photovoltaik- und Windkraftanlagen sowie eine starke Regionalisierung der Erzeugerstruktur. Die Herausforderung liegt darin, diese lokalen elektrischen Einspeisungen beziehungsweise thermischen Bedarfe (Fern- bzw. Nahwärme) regional auszugleichen, das heißt, in Balance zu halten.

Da dies mit kabelgebundenen, starren Übertragungs- und Kommunikationswegen kaum möglich ist, soll diese Aufgabe künftig primär von funkbasierenden Systemen übernommen werden. Dazu wurde im Mai 2020 das Großforschungsprojekt „National 5G Energy Hub“ etabliert, das die Grundlagen für eine Open-Source-Plattform zur Anwendung in der Energietechnik erarbeiten soll.

Prof. Dr.-Ing. Joachim Seifert vom Einstein-Center Digital Future (ECDF) der TU Berlin und Sprecher des National 5G Energy Hub (n5Geh) (Bild 2), sieht in der Erstellung einer Open-Source-Plattform mit repräsentativen Beispielen auf der Basis des 5G-Mobilfunkstandards einen entscheidenden Wendepunkt hin zu einer dezentralen und regenerativ dominierten Energieversorgung.

Bild 2 Eine klimaneutrale Energieversorgung setzt die Zusammenführung von thermischer Energie, elektrischer Energie und Kommunikationstechnik voraus. Die Grundlagen dafür werden im Forschungsprojekt „National 5G Energy Hub“ erarbeitet.

Seifert / n5Geh

Bild 2 Eine klimaneutrale Energieversorgung setzt die Zusammenführung von thermischer Energie, elektrischer Energie und Kommunikationstechnik voraus. Die Grundlagen dafür werden im Forschungsprojekt „National 5G Energy Hub“ erarbeitet.

Ziel des Projekts ist die Erprobung der Plattform mit typischen Anwendungsfällen (Use Cases) – etwa das Gebäudemonitoring über Cloud-basierte Regelungen von Gebäudeenergiesystemen, digital gesteuerte Fernwärmeübergabestationen, regional organisierte virtuelle Kraftwerke, Netzschutz im Nieder- und Mittelspannungsnetz – sowie weiteren Use Cases, beispielsweise die Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge.

Eine wichtige Rolle nehmen dabei Smart Buildings ein. So ist geplant, die Regelung von Energiesystemen unter verschiedenen Zielfunktionen, wie der Energieeffizienz oder der Reduktion von CO2-Emissionen, über 5G zu definieren und zu erproben. Auch das oft beschriebene Smart Grid, also der intelligente und gleichzeitig robuste Betrieb eines Energieversorgungsnetzes zur Steigerung der Energieeffizienz und der Flexibilität, soll mithilfe von 5G realisiert werden.

Wichtig dabei ist die Erprobung der jeweiligen Systeme unter dem Gesichtspunkt der systemisch geforderten Latenzzeit. Da die Reichweite von 5G in Gebäuden begrenzt ist, geht es auch darum, wie Sensordaten aus dem Inneren des Gebäudes mittels Wandlern (Transducer) an das 5G-Netz und damit an die Cloud weitergegeben werden können.

Aufgrund dieser Schwachstelle von 5G spielt die Definition und Erprobung von geeigneten Funktechnologien für die Indoor-Kommunikation innerhalb des n5Geh-Projekts eine wichtige Rolle, zumal sich die Zentralen für die Gebäudetechnik und damit auch die der Gebäudeautomation meist in einem der Untergeschosse eines Gebäudes befinden (Bild 3).

Bild 3 Da die Reichweite von 5G in Gebäuden sehr begrenzt ist, spielt die Erprobung geeigneter Indoor-Kommunikationsprotokolle im n5Geh-Projekt eine wichtige Rolle.

Seifert / n5Geh

Bild 3 Da die Reichweite von 5G in Gebäuden sehr begrenzt ist, spielt die Erprobung geeigneter Indoor-Kommunikationsprotokolle im n5Geh-Projekt eine wichtige Rolle.

So kann beispielweise durch eine geschlossene Brandschutztür im 2. Untergeschoss die Ankunftsrate einer Funkverbindung auf fast Null absinken. Während sich im Außenbereich das LoRaWAN-System (Long Range Wide Area Network) für große Reichweiten (> 10 km auf freiem Feld) bewährt hat, müssen bei Funkverkehr innerhalb des Gebäudes viele Störgrößen durch dessen Bauart (Fassade, Wände), aber auch durch mögliche Wechselwirkungen mit Maschinen und Anlagen berücksichtigt werden.

Wärmenetze der 5. Generation

Ähnlich wie das künftige „smarte“ Stromnetz mit vielen volatilen Einspeisern entwickeln sich auch die bisherigen Hoch- und Mitteltemperatur-Fernwärmenetze weiter zu Niedrigsttemperatur-Wärmenetzen der 5. Generation (Bild 4). Darunter versteht man bidirektionale Niedertemperaturnetze, auch Low-Exergy-Wärmenetze genannt, in die erneuerbare Energien (Geothermie, Solarthermie, Flusswasserwärme) eingespeist werden, Wärme auf niedrigem Niveau durch Wärmepumpen entnommen wird oder in die Abwärme aus gewerblichen oder industriellen Prozessen direkt oder in Form von Kondensatorwärme von Kälteanlagen eingespeist wird.

Durch die Einbindung von Wärmepumpen entsteht eine Verbindung des Wärmenetzes zu intelligenten Stromnetzen, sodass auch die Ladeinfrastruktur von Elektrofahrzeugen in eine systemübergreifende Regelungsstrategie einbezogen werden kann. Um die Grundlagen für die Dimensionierung und den Betrieb solcher komplexer Netzstrukturen zu schaffen, hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) mit dem Projekt TransUrbanNRW eines der ersten sogenannten Reallabore der Energiewende auf den Weg gebracht.

Thomas Schreiber, M. Sc., Lehrstuhl für Gebäude- und Raumlufttechnik an der RWTH, Aachen, und Betreuer des TransUrban-Projekts, hob in seinem Vortrag die Vielfalt der Lösungen mit Wärmenetzen der 5. Generation hervor. Allerdings sei der Planungsprozess keinesfalls trivial, da die Ansprüche an das Wärmeangebot und die Wärmenachfrage sowie die Netzansprüche ganz unterschiedlich sein können.

Ohne digitale Planung und mathematische Optimierung sei die Realisierung eines Niedrigenergie-Wärmenetzes kaum möglich, besonders wenn man noch Speichermöglichkeiten (Eisspeicher, thermische Speicher, saisonale Speicher) berücksichtigt. Beim Wärmenetz der 5. Generation stelle sich auch die Frage, in wieweit aufgrund der niedrigen Systemtemperaturen eine Rohrdämmung Sinn macht beziehungsweise ob man mit ungedämmten Rohren die Speicherkapazität des umgebenden Erdreichs mit einbeziehen kann.

Bild 4 Die Evolution der Wärmenetze schreitet voran. Während die Dampfnetze (1. Generation) Anfang des vorigen Jahrhunderts noch mit Netztemperaturen von bis zu 200 °C arbeiteten, liegt das Temperaturniveau bei der 5. Generation zwischen nur noch 5 und 35 °C.

Thomas Schreiber / RWTH

Bild 4 Die Evolution der Wärmenetze schreitet voran. Während die Dampfnetze (1. Generation) Anfang des vorigen Jahrhunderts noch mit Netztemperaturen von bis zu 200 °C arbeiteten, liegt das Temperaturniveau bei der 5. Generation zwischen nur noch 5 und 35 °C.

Hinzu kommen weitere Variablen, beispielsweise durch die Einbindung von PV-Anlagen, Ladesäulen und Speicherbatterien, die über das Smart Grid mit den Wärmepumpen und Kälteanlagen netzdienlich verknüpft werden müssten. Weitere Zielfunktionen in der Netzsimulation sind die Minimierung von Investitionskosten, der CO2-Emissionen und des Strombezugs sowie die Maximierung des Anteils erneuerbarer Energien.

Mit einem eigens dafür entwickelten thermo-hydraulischen Simulationsmodell (Modelica) lassen sich das Zusammenspiel von Verteilnetz, Übergabestationen, Wärmepumpen, Kältemaschinen, zentrale thermische Speicher sowie die Einbindung von dezentralen erneuerbaren Energien realitätsnah simulieren und größtenteils auch darstellen. Konkrete Anwendungen für Wärmenetze der 5. Generation sind die Demonstrationsquartiere Shamrock-Park in Herne, Seestadt mg+ in Mönchengladbach, Düsselterrassen in Erkrath und die Kokerei Hassel in Gelsenkirchen; Konsortialführer ist E.on.

Ausführungsqualität mittels Augmented Reality verbessern

Mit Einführung der digitalen Planungsmethode Building Information Modeling (BIM) und dem damit verbundenen permanenten Datenabgleich durch die beteiligten Gewerke konnte / kann die Produktivität des Planungsprozesses hinsichtlich Kosten, Qualität und Termintreue enorm gesteigert werden. Allerdings findet laut einer Umfrage der Bundesarchitektenkammer (Stand 2017) bei Architekten, Bauingenieuren und Fachplanern die BIM-Methode überwiegend in der Planungsphase Zuspruch. Nur bei etwa 40 % der mit BIM geplanten Projekte werde BIM auch in der Ausführungsphase genutzt.

Leonie Temme, M. Sc., wissenschaftliche Mitarbeiterin der FH Münster, Fachbereich Bauingenieurwesen, gibt zu bedenken, dass die Fehlerkosten am Bau mit dem Wertschöpfungsprozess exponentiell steigen und deshalb eine Fortführung der BIM-Strategie über die Ausführungsphase hinaus sinnvoll und wirtschaftlich sei. Laut einer Analyse von ifa Bau-Consult, Stuttgart, liegt der Anteil der Fehlerkosten am Jahresumsatz der deutschen Bau-Akteure bei durchschnittlich 15,4 %.

Ein Großteil dieser Kosten könnte vermieden werden, wenn man schon während der BIM-Planungsphase auch virtuelle Methoden, wie Virtual and Augmented Reality (VR / AR) einsetzen würde, so Temme. Mit VR ließe sich zum Beispiel die BIM-Planung kundengerecht visualisieren und die Abstimmung der Gewerke verbessern. Auch die Bemusterung gemeinsam mit dem Kunden würde sich dadurch vereinfachen, beispielsweise wenn es um Ausstattungsgegenstände in Büros, Küchen und Bädern geht.

Eine wesentliche Erleichterung sieht Temme im Einsatz von AR bei der Montage, als Einbauhilfe, als Soll-Ist-Kontrolle sowie bei der Kommunikation während der Ausführung. Dadurch könne das zeitraubende Suchen in Plänen und die analoge Beschaffung weiterer Informationen, zum Beispiel von Einbauanleitungen und Papierplänen, vermieden werden. Zusätzliche Daten aus der BIM-Planung könnten direkt in die AR-Brille, das Tablet oder das Smartphone eingeblendet und damit Zeit eingespart werden. Empfehlenswerte AR-fähige Apps zur Qualitätssicherung in BIM-Projekten seien beispielsweise GenieVision by AGC (Bild 1), Dullux und Gamma AR.

Auch als Unterstützung bei der Instandhaltung könne Augmented Reality Kosten und Geld einsparen. So besteht die Möglichkeit, die Position von zu prüfenden Bauteilen aufgrund der BIM-Dokumentation exakt anzugeben, inklusive der dazugehörenden Daten, Wartungsanleitungen oder Wartungsstrategien. Ein wichtiges Argument für AR sieht Temme auch darin, dass Fehler, unabhängig von der Qualifikation des Prüfers, frühzeitig erkannt werden können.

KI erreicht Lüftungsbranche

Laut einer Studie des BMWi über den Stand der KI-Nutzung im Jahr 2019 setzen bis dato nur etwa 5,8 % aller Unternehmen (produzierendes Gewerbe und unternehmensorientierte Dienstleistungen) KI in Produkten und Dienstleistungen ein. Ausgerechnet ein relativ kleines Unternehmen der Lüftungsbranche – Westaflex aus Gütersloh – geht mit seiner KI-gestützten Fertigungsplanung in die Offensive; wobei anzunehmen ist, dass weitere Unternehmen aus den Bereichen HLK-Komponenten und -Geräte mit KI experimentieren bzw. diese schon einsetzen.

Bild 5 Der Lüftungsgerätehersteller Westaflex nutzt KI zur Optimierung seiner Reihenfolgeplanung und erhöht damit seine Wertschöpfung. Das KI-Know-how dazu kommt auch vom „KI-Marktplatz“, ein Cluster ganz unterschiedlicher Akteure, die ihre Erfahrungen mit KI teilen.

KI-Marktplatz

Bild 5 Der Lüftungsgerätehersteller Westaflex nutzt KI zur Optimierung seiner Reihenfolgeplanung und erhöht damit seine Wertschöpfung. Das KI-Know-how dazu kommt auch vom „KI-Marktplatz“, ein Cluster ganz unterschiedlicher Akteure, die ihre Erfahrungen mit KI teilen.

Dr. Olaf Knospe, Leiter Forschung und Entwicklung bei Westaflex, Gütersloh, erklärt die Motivation und die Vorgehensweise des Lüftungsgeräte- und Komponentenherstellers so: Laut einer Studie von Price Waterhouse Coopers (PwC) können durch den Einsatz von KI die Entwicklungskapazitäten um 19 % gesteigert, die Entwicklungszeit um 17 % und die Herstellungskosten um 13 % reduziert werden.

Westaflex entschied sich bei seinem Einstieg in die KI-gestützte Fertigungsplanung für eine Zusammenarbeit mit dem KI-Cluster „KI-Marktplatz“ (www.ki-marktplatz.com), eine digitale Plattform von KI-Anbietern, KI-Neulingen und KI-erfahrenen Unternehmen (Bild 5).

Bei der KI-gestützten Fertigungsplanung arbeitet Westaflex eng mit dem Marktplatzteilnehmer Fraunhofer-Institut für Entwurfstechnik Mechatronik (IEM) am Standort Paderborn zusammen. Ziel ist es, die Reihenfolgeplanung von Fertigungsaufträgen mithilfe von KI zu optimieren. Dazu werden ERP-Daten, Echtzeitdaten aus der Produktion sowie Maschinendaten ausgewertet, um mittels KI-Algorithmen Hinweise auf die optimale Maschinenbelegung zu extrahieren und diese Erkenntnisse in die Arbeitsplanung einfließen zu lassen. Von der KI-gestützten Reihenfolgeplanung versprechen sich die beteiligten Partner eine Optimierung der Nutzleistung und damit eine Erhöhung der Wertschöpfung durch Zeitersparnis.

Durch die Lösung „KI-Marktplatz“ mit aktuell 48 assoziierten Partnern aus allen Bereichen der Industrie sei ein schneller Praxistransfer von KI-Lösungen gewährleistet, beispielsweise in Form von Apps oder kompletten KI-Bausteinen, so Knospe.

Bezogen auf das Westaflex-Produktprogramm lassen sich beispielsweise digitale Zwillinge von Lüftungsgeräten mit KI-Hilfe virtuell überarbeiten und fertigungsbezogen testen. In einer nächsten Stufe besteht die Option, den digitalen Zwilling ohne Zielvorgaben mit KI zu trainieren, um womöglich zu ganz neuen Lösungen zu kommen. Als herausragendes Beispiel für den Booster-Effekt des KI-Marktplatzes nennt Knospe die KI-Synergien mit dem international agierenden Landmaschinenhersteller Claas, der seine Konstruktionslösungen komplett unter Einsatz von KI überarbeitet.

Mit KI zum wirtschaftlichsten Klimatisierungskonzept

TGA-Planer neigen dazu, Klimatisierungssysteme zu empfehlen, die sie bereits mehrfach und damit meist erfolgreich realisiert haben. In Zukunft könnte es sein, dass nicht der TGA-Fachplaner die Systementscheidung trifft, sondern ein Auslegungsprogramm, das nach den Prinzipien der Schwarmintelligenz, sprich Künstlicher Intelligenz, arbeitet.

Einen solchen Coup hat die LTG AG, Stuttgart, mit dem innerhalb von drei Jahren entwickelten Softwaretool Systemfinder gelandet, den das Unternehmen kostenlos im Netz (www.system-finder.de) zur Verfügung stellt. Laut LTG-Technikvorstand Ralf Wagner müssen künftig nur noch sechs Fragen dieses Auslegungsprogramms beantwortet werden, dann startet das Programm und die wichtigsten Grundzahlen für die Entscheidungsfindung, wie Energieverbrauch, Investitionskosten, Wartungskosten und Instandhaltungskosten eines Systems, stehen zur Verfügung. Die Fragen lauten:

● Wo steht das Gebäude?

● Wie viele Achsen hat ein Raum?

● Welche Kühlleistung?

● Welche Heizleistung?

● Welche Luftqualität IAQ (= welche Luftmenge)?

● Welche akustische Qualität?

In einer Beschreibung dazu heißt es: „Der Systemfinder ist ein Simulationstool, das verschiedene Rechenmodelle, zum Beispiel Kühllast, Heizlast, Akustik im Raum, Kostenmodelle, Innenluftqualität und Produktauslegung, erstmals zusammenführt und damit vereinfacht. Dazu werden Kennzahlen und Anforderungen aus einer Vielzahl von Normen und Richtlinien übernommen und mehr als 100 technische Lösungen mittels der KI-Technik, im vorliegenden Fall durch „Particle Swarm Optimization“ (PSO) optimiert.“

Die Art der Klimasysteme bezieht sich dabei nicht nur auf das LTG-Lieferprogramm, sondern umfasst auch Fensterlüftungen, Betonkerntemperierung und dezentrale Lüftungsgeräte. Der Vorteil des KI-Algorithmus liegt darin, so Wagner, dass er ein 13-dimensionales Optimierungsproblem durch den Zugriff auf etwa 1,7 Mio. Systemoptimierungen nach den vom Planer beziehungsweise vom Investor gewünschten Planungsparametern quasi auf Knopfdruck lösen kann (Bild 6).

Bild 6 Wer aus mehr als 100 verschiedenen Klimatisierungssystemen die projektbezogen optimale Lösung auswählen will, hat ein 13-dimensionales Optimierungsproblem. Mit dem von der LTG AG entwickelten KI-gestützten „Systemfinder“ lassen sich die „richtigen“ Optionen per Knopfdruck auswählen, zum Beispiel kostengünstige Systeme mit geringem Primärenergiebedarf.

Systemfinder / LTG

Bild 6 Wer aus mehr als 100 verschiedenen Klimatisierungssystemen die projektbezogen optimale Lösung auswählen will, hat ein 13-dimensionales Optimierungsproblem. Mit dem von der LTG AG entwickelten KI-gestützten „Systemfinder“ lassen sich die „richtigen“ Optionen per Knopfdruck auswählen, zum Beispiel kostengünstige Systeme mit geringem Primärenergiebedarf.

Zu wünschen wäre, dass künftig auch die „Graue Energie“ für die Herstellung sowie das Treibhauspotenzial der im Klimasystem verwendeten Kältemittel ausgewiesen werden, damit eine ganzheitliche Optimierung nach Klimaschutzkriterien möglich ist. Auch darf das Thema Demontage- und Entsorgungskosten sowie die Recyclingfreundlichkeit der verwendeten Materialien nicht außer Acht gelassen werden.

In spätestens zehn Jahren wird auch die Frage eine Rolle spielen, ob das System für eine Robotermontage geeignet ist. Lässt man dann der KI freien Lauf, werden mit Sicherheit bislang eher unterschätzte Klimatisierungssysteme in den Vordergrund rücken.

Ausblick

Der Europäische Green Deal und die damit verbundene Ausrichtung an CO2-Minderungsstrategien – anstatt der alleinigen Fokussierung auf die Energieeffizienz – erfordert neue Planungsstrategien, die sich am besten mittels Digitalisierung, sprich BIM, sowie dem Einsatz von KI lösen lassen.

Infolge einer CO2-orientierten Planung wachsen Wärmenetze und Stromnetze zu Quartierslösungen zusammen. Dabei gilt es, Wärmeangebot, Wärmenachfrage, Stromangebot und Stromnachfrage unter Einbeziehung von Speichertechnologien auszubalancieren.

Ohne Digitalisierung, Künstliche Intelligenz und schnellen Kommunikationsverbindungen werden solche Konzepte weder berechenbar noch betreibbar sein.

 
Digitaler TGA-Kongress ohne Green Deal als Thema

So bequem war noch kein TGA-Kongress: Keine Hetze, kein verpasster Zug, keine Hotelübernachtung. Dafür aber zwölf gut strukturierte Themenblöcke mit mehr als 60 Vorträgen an zwei Tagen. Für die 375 Teilnehmer hatte die digitale Veranstaltung den Vorteil, dass sie ohne Mühe von einem Themenblock in den anderen wechseln konnten. Ein weiteres Plus: Etwa eine Woche nach dem digitalen Kongress standen die Vorträge als Videos und als PFD online, sodass man die Themen nochmals vertiefen konnte, auch solche, die einem wegen der zeitlichen Überschneidung der Vortragsblöcke bei der Live-Übertragung entgangen sind. Diese Option ist ein deutlicher Mehrwert des digitalen Kongresses gegenüber einer Präsenz-Veranstaltung. Was dabei allerdings fehlt: Der soziale Kontakt und die Fortführung der Diskussion in den Pausen.

Eines der interessantesten Themen mit aktuellem Bezug war mit Sicherheit der von Prof. Dr.-Ing. Martin Kriegel moderierte Themenblock „Aerosolübertragung / Infektionsrisiko / Lüftungstechnik“, zumal dort jeder Teilnehmer auch sein eigenes Verhaltensmuster in Zeiten von Corona überprüfen konnte.

Die vom Autor beschriebenen Vorträge unter dem Generalthema „Digitalisierung“ wurden unter dem Aspekt ausgewählt, welche Themen – außer Corona – in naher Zukunft für die TGA-Branche relevant werden könnten. Sehr hilfreich für die Entscheidungsfindung war der digitale Kongress „Zukunft Bau“, veranstaltet von der BAU-online unter Federführung des Bauministeriums (Mitschnitte unter https://studio-bund.de), der zwei Wochen vor dem TGA-Kongress stattfand.

Dort ging es unter anderem um den Wandel in der Gebäudeplanung, weg von der fast ausschließlichen Fokussierung auf die Energieeffizienz hin zur Orientierung an CO2-Emissionen. Diese Vorgehensweise führt nach Ansicht der Protagonisten dieses Planungsansatzes zu völlig anderen Gebäude(Technik)-Lösungen. Da im Baubereich die Robotik und Künstliche Intelligenz bereits Einzug halten, ist davon auszugehen, dass es im Zuge des „Europäischen Green Deals“  mittelfristig am Bau und damit verzögert auch in der TGA zu disruptiven Veränderungen kommen wird. Während die Baubranche die Themen Nachhaltigkeit und Klimaschutz bereits dem Mainstream zuordnen, scheint die TGA-Branche das Thema – vorsichtig gesagt – noch vor sich her zu schieben bzw. auf der Basis von Komponenten und einzelnen Eigenschaften (etwa H2-ready) zu betrachten.
 

Wolfgang Schmid
ist freier Fachjournalist für Technische Gebäudeausrüstung, München, wsm@tele2.de

Margot Dertinger-Schmid

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