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Standpunkt zur Energiewende im Gebäudesektor

Treibhausgas-Budget muss die Agenda sein

Die Energie- und Klimaschutzpolitik muss am noch verfügbaren Treibhausgas-Budget neu ausgerichtet werden. Das erfordert ein grundlegendes Umdenken für den Energie- und Gebäudesektor.

Bild 1 Werden die Treibhausgasemissionen nicht kurzfristig deutlich gesenkt, hat Deutschland sein verbleibendes Treibhausgas-Budget schon Ende 2024 aufgebraucht.

Leigh Prather – stock.adobe.com

Bild 1 Werden die Treibhausgasemissionen nicht kurzfristig deutlich gesenkt, hat Deutschland sein verbleibendes Treibhausgas-Budget schon Ende 2024 aufgebraucht.

Kompakt zusammengefasst
■ Damit Deutschland einen gerechten Beitrag zum Pariser Übereinkommen und dem 1.5-Grad-Ziel leistet, ist ein Bekenntnis zu einem (noch zu beziffernden) Treibhausgas-Budget erforderlich und die Energie- und Klimapolitik an diesem Budget auszurichten.
■ Das von der Wissenschaft bezifferte Emissionsbudget von 3000 Mio. t CO2-Äquivalent für eine 50%ige Wahrscheinlichkeit das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, ist mit den aktuellen Zielen nicht ansatzweise einzuhalten.
■ Wichtige Maßnahmen sind eine konsequente und einheitliche CO2-Bepreisung und ein steuernder CO2-Preis. Mit dem Upstream-Prinzip steht eine marktwirtschaftliche Lösung zur Verfügung.
■ Im Gebäudesektor ist eine Ausrichtung auf Photovoltaik und dezentrale Heizungs-Wärmepumpen angezeigt. Heiße und warme Netze sowie die Wärmeerzeugung mit Wasserstoff sind hier keine sinnvollen Optionen.

Eigentlich wollte Dr. Robert Habeck, Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz Bundeswirtschaftsminister, mit seiner Eröffnungsbilanz Klimaschutz am 11. Januar 2022 letztmalig auf die Versäumnisse der vorherigen Bundesregierungen zurückblicken. Dies sei notwendig, um aufzuzeigen, wo Deutschland bei den einzelnen Handlungsfeldern in Sachen Klimaschutz steht.

Die Eröffnungsbilanz Klimaschutz ist ein 37 Seiten umfassender Statusbericht [1]. Habeck leitet daraus ab: „Wir starten mit einem drastischen Rückstand. Die bisherigen Klimaschutzmaßnahmen sind in allen Sektoren unzureichend. Es ist absehbar, dass die Klimaziele der Jahre 2022 und 2023 verfehlt werden. Aber wir unternehmen alle Anstrengungen, um den Rückstand wettzumachen. Hierzu müssen wir die Geschwindigkeit unserer Emissionsminderung verdreifachen und deutlich mehr in weniger Zeit tun.“

Bild 2 Robert Habeck: „Wir starten mit einem drastischen Rückstand. Die bisherigen Klimaschutzmaßnahmen sind in allen Sektoren unzureichend.“

Urban Zintel

Bild 2 Robert Habeck: „Wir starten mit einem drastischen Rückstand. Die bisherigen Klimaschutzmaßnahmen sind in allen Sektoren unzureichend.“

Habecks Bewertung „drastischer Rückstand“ ist wenig hinzufügen, seit Jahren wird darauf hingewiesen. Aber: Es wird nicht ausreichen, den Rückstand wettzumachen. Denn momentan sind in Deutschland die Klimaschutzziele gar nicht ausreichend und auch nicht am richtigen Ziel ausgerichtet. Es gibt zwar auch in der Präambel des Ampel-Koalitionsvertrags das Bekenntnis „Die Klimaschutzziele von Paris zu erreichen, hat für uns oberste Priorität.“, aber zu wenig deutet auf den nachfolgenden 170 Seiten der politischen Leitlinien für die nächsten vier Jahre darauf hin, dass die Verhandler sich mit der notwendige Tragweite auseinandergesetzt haben.

Das Vorhaben „letztmalig zurückblicken“ konnte Habeck nur wenige Tage durchhalten. Am 24. Januar 2022 musste er wegen einer heftigen Überschreitung der zur Verfügung stehenden Mittel die Reißleine bei den KfW-Programmen der Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG) ziehen.

Das soll hier (fast) gar nicht kommentiert werden, es zeigt aber, dass bisherige Maßnahmenschwerpunkte im Gebäudesektor nicht dazu geeignet sind „die Emissionsminderung zu verdreifachen und in deutlich weniger Zeit mehr zu tun“. Im Gegenteil: Zahlreiche Neubauten, für die bei der KfW in den letzten Monaten Fördermittel beantragt wurden, müssen schon in wenigen Jahren energetisch optimiert werden. Richtig ist in jedem Fall das neue Signal: „Konzentration der Förderung auf den Gebäudebestand“. Es muss also nicht nur mehr, sondern insbesondere das Richtige getan werden.

Doch was ist richtig? Wo müssen die Prioritäten liegen? Was muss im Gebäudesektor und darüber hinaus erfolgen? Welche Pfade sollten eingeschlagen und welche aufgegeben werden? Und welche Geschäftsmodelle haben keine Zukunft mehr?

Verfügbares Emissionsbudget

Zunächst ist es dringend notwendig, allen Verantwortlichen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft verständlich zu machen, dass wir (Deutschland) zum Einhalten des 1.5-Grad-Ziels mit 50%iger Wahrscheinlichkeit nur noch ein Emissionsbudget von etwa 3000 Mio. t CO2-Äquivalent (CO2e) zur Verfügung haben. Und dies bei Emissionen von aktuell knapp 800 Mio. tCO2e/a.

 
Exkurs: Der Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) hat für verschiedene Temperaturschwellen und verschiedene Eintrittswahrscheinlichkeiten aufgrund eines qualitätssichernden Verfahrens unter Offenlegung der verbleibenden Unsicherheit konkrete globale CO2-Restbudgets benannt. Auf dieser Grundlage hat der Sachverständigenrat für Umweltfragen auch für Deutschland ein ab 2020 verbleibendes konkretes nationales Restbudget ermittelt, das mit dem Paris-Ziel vereinbar wäre. Pariser Klimaziele erreichen mit dem CO2-Budget und youtu.be/vvU_nNj5zgQ
 

Interessant sind da Habecks Bewertungen vom 11. Januar 2022. Sie bedeuten: Die „alten“ Zahlen des in 2021 von der alten Bundesregierung korrigierten Klimaschutzgesetzes müssten sofort angepasst werden, wenn wir das 1.5-Grad-Ziel mit 50%iger Wahrscheinlichkeit noch einhalten wollen. Alternativ sollten wir so ehrlich sein, der Bevölkerung reinen Wein einzuschenken und die Zielsetzung mindestens auf ein 1.75-Grad- oder gleich auf ein 2.0-Grad-Ziel anzuheben. Trotzdem sollten wir sofort handeln und das gerade im Gebäude- und im Verkehrssektor.

Im Prinzip kann eine Nation ihr Emissionsbudget auch überschreiten, ohne das globale 1.5-Grad-Ziel zu gefährden: Die Differenz aus diesem Handeln müsste dann mit internationalen Projekten zur äquivalenten Treibhausgasminderung ausgeglichen werden. Solche Projekte wird es künftig auch geben, sie können jedoch bestenfalls dem „Sünder“ mehr Zeit verschaffen, machen aber notwendige Maßnahmen nicht überflüssig.

Bild 3 zeigt, dass das Bundes-Klimaschutzgesetz nicht mit einem Emissionsbudget von 3000 Mio. tCO2e im Einklang ist. Sogar komplett ohne Berücksichtigung des Energiesektors (der nach den Plänen der Ampel schneller dekarbonisiert werden soll) wäre es mit Startpunkt 2020 bereits im Januar 2026 aufgezehrt.

Bild 3 Zulässige Jahresemissionsmengen für die Jahre 2020 bis 2030 nach der Novelle des Bundes-Klimaschutzgesetzes in den einzelnen Sektoren sowie addierte Jahreswerte und ab 2020 kumulierte Werte.

JV

Bild 3 Zulässige Jahresemissionsmengen für die Jahre 2020 bis 2030 nach der Novelle des Bundes-Klimaschutzgesetzes in den einzelnen Sektoren sowie addierte Jahreswerte und ab 2020 kumulierte Werte.

PV und dezentrale Wärmepumpen

Unsere Untersuchungen zu den effektivsten und wirtschaftlichsten Lösungen für den Geschosswohnungsbau und zwar für Neubau und Bestandsmodernisierung – ermittelt mit dem frei zugänglichen Excel-Tool Standardbilanz [2] – ergeben folgende sinnvolle Reihenfolge:

1. Photovoltaik-Ausbau auf allen Dächern, die zur Verfügung stehen und diese für Eigen- und Mieterstromlösungen und für möglichst dezentrale Wärmepumpen weitgehend nutzen. Als Wirtschaftlichkeitskriterium nutzen wir den niedrigsten CO2e-Preis, das heißt die geringsten Investitionskosten bzw. jährliche Kapitalkosten je eingesparter Tonne CO2e.

2. Dann wird, wenn immer möglich, die dezentrale Wärmepumpenlösung im Gebäude als Luft/Wasser-Wärmepumpe oder als geothermische Sole/Wasser-Wärmepumpe am wirtschaftlichsten – auch gegenüber sogenannten kalten Netzlösungen sein.

Bild 4 Der verstärkte Zubau von Photovoltaik-Anlagen auf allen geeigneten Dachflächen ist eine Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Energie- und Wärmewende und eine wichtige Bedingung für den bevorzugten Einsatz dezentraler Wärmepumpen.

Animaflora PicsStock – stock.adobe.com

Bild 4 Der verstärkte Zubau von Photovoltaik-Anlagen auf allen geeigneten Dachflächen ist eine Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Energie- und Wärmewende und eine wichtige Bedingung für den bevorzugten Einsatz dezentraler Wärmepumpen.

Voraussetzung aller Überlegungen ist dabei, dass durch politische Entscheidungen eine angepasste CO2-Bepreisung kurzfristig eingeführt wird. Der Gaspreis müsste auf das Doppelte steigen – was derzeit bereits erfolgt ist – und der Strompreis muss sinken, was kurzfristig mit der Abschaffung der EEG- und der KWK-Umlage und der in der EU geringstmöglichen Stromsteuer in Gang gesetzt werden könnte.

Zur aktuellen Situation: Auch die Baukosten sind zuletzt gestiegen, aber das war auch schon im Zeitraum 2010 bis 2020 so. Drastisch verändert hat sich die Relation der Energiepreise zwischen Erdgas und Strom: Von „vor Corona“ ca. 1 : 5 auf „aktuell“ fast 1 : 2,5. Mit dieser Preiskonstellation zwischen fossilem Erdgas und künftig erneuerbarem Strom könnte man auf mehr Fordern und weniger Fördern setzen. Startet man mit diesen Werten in das Berechnungstool Standardbilanz und fordert zukünftig bei jeder neuen Wärmepumpe die Installation einer Photovoltaik-Anlage ergibt sich in den meisten typischen Fällen kein zusätzlicher Investitionsförderbedarf. Zur Beschleunigung der Markteinführung könnte dies dennoch zeitlich begrenzt gefördert werden – obwohl es sich wirtschaftlich von selbst rechnen würde.

CO2-Bepreisung nach Upstream-Prinzip

Es kommt also auf den richtigen CO2-Preis und die richtig gestaltete CO2-Bepreisung an. Diese sollte deutschland-, europa- und möglichst auch weltweit für alle Sektoren – also Energiewirtschaft, Industrie, Verkehr und Gebäude – einheitlich sein.

Sie sollte sich am Upstream-Prinzip des 2019 von der Großen Koalition eingeführten „Gesetz über einen nationalen Zertifikate-Handel für Brennstoffemissionen“ (Brennstoffemissionshandelsgesetz – BEHG) orientieren und möglichst kurzfristig auch auf den Europäischen Emissionshandel ETS (Downstream-Prinzip) übertragen werden.

Upstream-Prinzip bedeutet: In allen Bereichen werden Emissions-Zertifikate von denen erworben werden, die Kohle, Erdgas oder Erdöl als Inverkehrbringer von Kraft- und Brennstoffen in den Markt einführen.

Dieser Vorschlag wurde bereits 2007 von dem ehemaligen Mitglied der Advisory-Group Energy der EU-Kommission, Dr. Gerd Eisenbeiß, eingebracht, geriet aber durch die Folgen der Finanzkrise in Vergessenheit. Mit dem Upstream-Prinzip wäre eine marktwirtschaftliche Lösung gegeben, es würden sich für fossile Brennstoffe einheitliche Energiepreise bilden und eine komplexe Beaufschlagung von Energiesteuer und / oder CO2-Bepreisung wäre nicht mehr notwendig. Unterschiedliche Preise für Heizöl oder Diesel wären dann obsolet bzw. politisch einfacher steuerbar. Kostenlose Zertifikate-Zuteilungen oder die Befreiungen von Steuern sollten dann die Ausnahme sein.

Einheitlicher CO2-Preis

Das gesamte System der Energiepreisbildung durch unterschiedliche Abgaben, Entgelte und Energiesteuern könnte mit der CO2-Bepreisung nach dem Upstream-Prinzip entschlackt werden. Hilfreich ist dabei eine Bestandaufnahme der deutschen Endenergiekosten für die Endverbraucher und der deutschen Importkosten für fossile Energieträger im Vergleich zum verbliebenen Treibhausgas-Budget.

Die gesamten jährlichen Endenergiekosten Deutschlands lagen vor dem Beginn der Coronavirus-Krise im Jahr 2019 mit rund 240 Mrd. Euro bei knapp 7 % des deutschen Bruttoinlandsprodukts BIP. Der Saldo des Außenhandels für fossile Energieträger lag 2019 bei 62,9 Mrd. Euro, im Jahr 2020 bei 42,2 Mrd. Euro und für die Jahre 2021 und 2022 wird er mit hoher Wahrscheinlichkeit über 100 Mrd. Euro liegen.

Jeder Bundesbürger wird dadurch direkt oder indirekt mit etwa 3000 Euro/a belastet. Allein für die privaten Bereiche Wärme und Strom in Gebäuden liegen diese Kosten bei etwa 1000 Euro/a, für den Bereich privater Kraftstoffe bei etwa 700 Euro/a.

Bild 5 Eine CO2-Bepreisung nach dem Upstream-Prinzip könnte das bisherige System mit zahlreichen Abgaben, Umlagen und Steuern entschlacken und notwendige Finanzmittel für Investitionen und Förderprogramme generieren.

Fokussiert – stock.adobe.com

Bild 5 Eine CO2-Bepreisung nach dem Upstream-Prinzip könnte das bisherige System mit zahlreichen Abgaben, Umlagen und Steuern entschlacken und notwendige Finanzmittel für Investitionen und Förderprogramme generieren.

Um so schnell wie möglich klimaneutral zu werden, müssten beispielsweise über die nächsten zehn Jahre die bisher akzeptierten 3000 Euro/a je Bundesbürger nach Abzug der Importkosten für fossile Energieträger und nach Abzug weiterer Grundkosten der Energieversorgung (Netzentgelte …) in einen sich am Markt entwickelnden CO2-Zertifikatepreis nach dem Upstream-Prinzip umgewandelt werden.

Professor Edenhofer, Direktor und Chefökonom des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) hat mit mehreren kürzlich veröffentlichten Stellungnahmen Recht: Dieser zwangsläufig in den nächsten Jahren steigende CO2-Preis müsste bei mindestens 120 Euro/tCO2e, besser und realistischer bei 200 Euro/tCO2e liegen. Diesen Preis schätzt auch der oben zitierte frühere EU-Berater Eisenbeiß in einer aktuellen Veröffentlichung [3] ab.

Für die nächsten fünf Jahre stünden damit aus dem Zertifikate-Handel Einnahmen zwischen mindestens 360 und 600 Mrd. Euro für die Einhaltung des noch verfügbaren Treibhausgas-Restbudgets zur Verfügung. Diese Einnahmen könnten für den sozialen Ausgleich, für Förderprogramme, für Investitionszuschüsse aber auch für Bildung und Forschung sinnvoll eingesetzt und neu verteilt werden.

Regulierung und Förderung neu justieren

Das Regulierungs- und Fördersystem sollte vollständig neu justiert werden: Ohne zusätzliche Kreditaufnahme, ohne das Antasten der Schuldenbremse und auch möglichst ohne steigende Endenergiepreise (Strom) für die privaten Haushalte.

Bisherige Subventionen für Diesel und Dienstwagenprivileg, Umlagen zur Finanzierung der EEG-Vergütung, für Strom- und Mineralölsteuer etc. gehören auf den Prüfstand, könnten dann wahrscheinlich teilweise entfallen bzw. neu auf Basis der CO2-Zertifikatepreise gestaltet werden.

Und das Beste: Am Ende machen wir uns vollständig von Importen fossiler Energien und auch weitgehend von Wasserstoff-Importen frei und können die bisherigen Endenergieausgaben in sinnvolle Investitionen für eine kostenoptimale Energiewende umwandeln. Das wäre ein guter Anfang für die Ampel-Koalition und den Erhalt des Industriestandorts Deutschland.

Es ist notwendig, dass wir uns klarmachen, dass wir alle als Gesellschaft einen Paradigmenwechsel vollziehen müssen, um zum Erreichen der Pariser Klimaziele noch einigermaßen im Rahmen einer gerechten Aufteilung beizutragen.

Dezentrale gebäudeweise Lösungen

Kommunale Wärmeplanung und Quartiersansätze sind eine große Hoffnung, vor allem auf politischer Seite. Sie sind nach unseren Erfahrungen aber nur sinnvoll anwendbar, wenn das Quartier von einem einzigen Wohnungsunternehmen bzw. von einem Betreiber geprägt ist. Sonst stehen sich zu viele unterschiedliche Stakeholder selbst im Weg und es kommt vor allem im Bestand nicht zu zufriedenstellenden Lösungen. Dies mussten wir in der wissenschaftlichen Begleitung mehrerer geförderter Quartierskonzepte in den letzten 15 Jahren erfahren.

Für Quartierskonzepte häufig vorgeschlagene BHKW- und KWK-Konzepte bzw. Biogasanlagen haben aus unserer Sicht in einer regenerativen Welt keine Marktchancen mehr, da Biomasse gegenüber Photovoltaik und oberflächennaher Geothermie eine erheblich geringere Flächeneffizienz aufweist.

Auch die Diskussion rund um die EU-Taxonomie zeigt: Mit Erdgas betriebene Heiz-Kraftwerke für Fernwärme und Stromerzeugung sollten sinnvollerweise nicht weiter gebaut oder ausgebaut werden.

Warme Netze versus Kalte Netze

Warme Nah- und Fernwärmenetze bei dichter Bebauung in Neubau und Bestand, die zukünftig auch im Wesentlichen durch Großwärmepumpen oder durch Power-to-Heat gespeist werden, benötigen ebenfalls einen nicht zu vernachlässigenden Flächenmehrbedarf verglichen mit kalten Netzen, die aus niedrig temperierten Wärmequellen gespeist werden. Das gilt für die zu installierenden Photovoltaik- bzw. Windkraftleistung als thermodynamisch zu bewertenden Exergie-Quellen und auch für die Anergie-Quellen (Erdreich, Abwärme).

Bild 6 Heiße und warme Fern- und Nahwärmenetze sind aufgrund ihrer hohen Verluste für die Energie- und Wärmewende nicht geeignet.

Glaser – stock.adobe.com

Bild 6 Heiße und warme Fern- und Nahwärmenetze sind aufgrund ihrer hohen Verluste für die Energie- und Wärmewende nicht geeignet.

Im Gegensatz dazu hat Dänemark bereits nach der ersten Ölkrise in den 1970er-Jahren wegweisende Entscheidungen getroffen. Allerdings unter ganz anderen Randbedingungen als in Deutschland. Am einfachsten lässt sich das durch die in Dänemark fast doppelt so große Landfläche je Einwohner erklären. Damit standen auch mehr Biomasse und Flächen für Solarthermie zur Verfügung. Photovoltaik und Windkraft gab es damals nur im Experimentierstadium.

Hätte man für Deutschland in den 1970er-Jahren die Umstellung auf Wärmepumpen flächendeckend vorgenommen (damals mit Kernenergie) – wie von vielen Fachleuten prognostiziert und von den großen Unternehmen der Energiewirtschaft und der Heizungsindustrie gefordert – wären wir heute sicherlich auch in Deutschland schon sehr viel weiter.

Das Sinken der Öl- und Gaspreise nach 1984 über die nachfolgenden zwei Jahrzehnte bis etwa 2005 machte diesen Ideen jedoch einen Strich durch die Rechnung. Aber auch Dänemark sieht heute ein: Brennholzimport aus dem Baltikum ist langfristig keine Lösung. Man setzt vermehrt auf Windkraft und den Wärmepumpenausbau.

Fernwärme und Heizkostenabrechnung: auslaufende Geschäftsmodelle

Warmen und heiße Netzen räumen wir aufgrund der Verlustvermeidung und des zusätzlichen Flächenbedarfs zukünftig kaum noch Chancen ein. Die Vorteile dezentraler Lösungen bzw. kalter Netze gegenüber zentralen heißen und warmen Nah- und Fernwärmen sind eindeutig [4].

Die Ergebnisse der Überlegungen widersprechen vielen Marketingaktivitäten einiger Verbände (z. B. VKU) und Institute (z. B. ifeu), die grüne Fernwärme 4.0 oder 5.0 ausbauen wollen. Wobei unklar bleibt, welcher Energieträger das System speisen soll. Viele gebaute Beispiele zeigen den exorbitanten Investitions- und Finanzierungsbedarf solcher Lösungen – in unseren Augen sind das eher Negativbeispiele.

Wir sind uns ziemlich sicher, dass sich Stadtwerke und Fernwärmeversorger sowie Heizkostenabrechnungsfirmen schnell neue Geschäftsfelder suchen müssen, da warme und heiße Fernwärme und aufwendige Heizkostenerfassungssysteme als Auslaufmodelle zu bewerten sind. Eine Option ist der Rückbau oder Umbau zu kalten Netzen oder besser zu dezentralen Lösungen.

Wenn überhaupt und nur bei nicht vorhandenen Möglichkeiten für die dezentrale Wärmequellenerschließung können kalte Anergie-Netze zukünftig als sinnvolle Wärmequellen für Heizungs-Wärmepumpen in den angeschlossenen Gebäuden dienen. Hierfür sind aber noch gerechte Kostenmodelle zu entwickeln. Am einfachsten wäre eine von der Quellenleistung abhängige Flatrate. Was dann verwundert: Bei gleichem Pumpenergieaufwand sind die notwendigen Rohrquerschnitte nicht gedämmter kalter Netze geringer als die einigermaßen gut gedämmter warmer oder heißer Rohrnetze.

Primärenergiebedarf-Desaster beenden

Die gesamten gesetzlichen Nachweisverfahren und Förderprogramme für Gebäude mit entsprechenden KfW-Standards beziehen sich noch auf den Primärenergiebedarf und nicht – wie schon vielfach vorgeschlagen – auf CO2e-Emissionen. Das 2002 mit der EnEV-Einführung vorgesehene Kompensationsprinzip der Primärenergiebilanzierung sehen wir heute als einen grundlegenden Fehler an, auch wenn wir an seiner Einführung vor mehr als 20 Jahre beteiligt waren. Die Industrie konnte dadurch – ähnlich wie im Automobilsektor – fiktive Prüfstands-(Bedarfs-)Werte für ihre Heizungs- und Wärmetechnologien einsetzen, die mit der Realität im praktischen Betrieb nur noch wenig zu tun haben.

Bild 7 Für die Einhaltung eines angemessenen Treibhaus-Budgets ist in Deutschland ein sofort beginnender massiver Ausbau der Stromerzeugung mit erneuerbaren Energien erforderlich. 

Mike Mareen – stock.adobe.com

Bild 7 Für die Einhaltung eines angemessenen Treibhaus-Budgets ist in Deutschland ein sofort beginnender massiver Ausbau der Stromerzeugung mit erneuerbaren Energien erforderlich. 

Parallel wurden mit der Stromgutschriftmethode für KWK- und Fernwärmesysteme Primärenergiefaktoren errechnet, die mit der Wirklichkeit nichts zu tun haben. Diese führen bis heute dazu, dass Fernwärmeversorger damit werben können, dass beim Anschluss an ihre Kohle-Heizkraftwerke Gebäude geringere Anforderungen an den Wärmeschutz erfüllen müssen.

Deshalb ist es bei den nächsten Novellierungen des Gebäudeenergiegesetzes (GEG) und der Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG) dringend notwendig, den Wechsel vom Primärenergiebedarfs-Nachweis zu einem Endenergie- und CO2e-Nachweis zu vollziehen.

Gleichzeitig sollte man auch das Nachweisverfahren drastisch vereinfachen. Dazu haben Fachkollegen und wir seit 2005 mehrfach Vorschläge gemacht. Das gesamte Konstrukt der Nachweisführung, früher für die EnEV und heute für das GEG und die BEG, mit aufwendigsten Bilanzierungsverfahren und dem nicht mehr zeitgemäßen Kompensieren zwischen Gebäude und Anlagentechnik ist abzuschaffen.

Werden zukünftig in der Regel Wärmepumpen eingesetzt, müssten nur noch Anforderungen an deren Effizienz gestellt werden, die sich im realen Betrieb einfach durch die bereits heute vom BEG geforderten Strom- und Wärmemengenzähler nachweisen lassen.

Für die Gebäudehülle könnte als Anforderung ein spezifischer auf die beheizte Fläche bezogener Transmissionswärmeverlust hT (mittlerer U-Wert multipliziert mit der Außenhülle und dividiert durch die beheizte Fläche in W/(m2 ∙ K)) gefordert werden, der gleichzeitig den Wärmeschutz und den Kompaktheitsgrad des Gebäudes berücksichtigt. Mehr ist schlichtweg nicht notwendig.

Bisher ist der von allen Seiten geforderte Wandel zur Vereinfachung nur zum Teil gelungen. Die 2019 für die steuerliche Förderung energetischer Maßnahmen bei zu eigenen Wohnzwecken genutzten Gebäuden eingeführte Energetische-Sanierungsmaßnahmen-Verordnung (EnSanMV) könnte jedoch praktisch sofort an die Stelle des GEG treten und damit den Nachweis wie früher in Wärmeschutz- und Heizungsanlagenverordnung über Einzelanforderungen an Bauteilqualitäten als „Best-Practice-Forderungen“ festlegen.

Der Nachweis von Endenergie und Gebäudequalität über Verbrauchsdaten im realen Betrieb wäre automatisch gegeben, wenn Messeinrichtungen für In- und Output von Wärmeerzeugern in allen Fällen gefordert würden (Energieanalyse aus dem Verbrauch, EAV).

Kostengünstige Lösungen ermöglichen

Dann kämen kostengünstigere Lösungen für neue Gebäude, für Bestandsmodernisierungen und auch für Sozialwohnungen heraus, wie viele beispielsweise in Hamburg erstellte Neubauten zeigen:

Bild 8 Klimaneutraler Wasserstoff ist für die Energiewende bei bestimmten Anwendungen alternativlos. Aufgrund der geringen Verfügbarkeit im relevanten Zeitfenster ist Wasserstoff für die Wärmeerzeugung im Gebäudesektor aber keine Option.

magann – stock.adobe.com

Bild 8 Klimaneutraler Wasserstoff ist für die Energiewende bei bestimmten Anwendungen alternativlos. Aufgrund der geringen Verfügbarkeit im relevanten Zeitfenster ist Wasserstoff für die Wärmeerzeugung im Gebäudesektor aber keine Option.

Wir benötigen nicht in allen Fällen eine kontrollierte Wohnungslüftung mit Wärmerückgewinnung, auch einfache Abluftanlagen können die primären Aufgaben erfüllen. Wir bräuchten keine aufwendigen Hybridlösungen, keine kostenintensiven Smart-Home-Systeme mit geringem Einsparpotenzial und vor allem auch keine Solarthermie in Mehrfamilienhäusern – nur um Anforderungen hauptsächlich auf dem Papier zu erfüllen.

Mit dem überwiegenden Einsatz von Wärmepumpen könnten Warmmieten ohne Anforderungen zur Heizkostenerfassung genutzt werden. Die Trinkwassererwärmung könnte kostengünstig dezentral elektrisch mit Photovoltaik auf allen Dächern und dann in jeder Wohnung mit Durchlauferhitzern, separaten Wärmepumpen für Trinkwarmwasser oder einfachen Speichern mit Elektroheizstab erfolgen. Allein hierdurch können hohe Kosten für aufwendige Heizkostenerfassungssysteme vermieden werden.

Die Effizienz von Gebäuden und Anlagentechnik könnte künftig mit Effizienzmessungen im Wärmeerzeuger automatisch festgestellt werden. Dies wird heute bereits in der BEG gefordert. Ein einfacher GEG-Nachweis im Realbetrieb wäre damit möglich.

Technologieoffenheit hat Grenzen

Um die Verpflichtungen aus dem Übereinkommen von Paris national zu erfüllen, muss Deutschland einen drastischen Rückgang der Treibhausgasemissionen von heute knapp 800 Mio. tCO2e/a auf nahe null etwa im Jahr 2028, also in den nächsten sieben bis acht Jahren, erreichen. Das 2021 neu ausgerufene Ziel Klimaneutralität 2045 ist kein Fortschritt, sondern eine Ignoranz des noch zur Verfügung stehenden Treibhausgas-Budgets, auch unter Berücksichtigung neu geschaffener Kohlenstoffsenken und / oder der Rückholung von CO2 aus der Atmosphäre. 

Bis 2030 können Wasserstoff-Technologien nicht vom heutigen Experimentierstatus zur erprobten Praxis hochskaliert werden. Jede Diskussion über Technologieoffenheit und Importe von Wasserstoff verkennt die Lage und verzögert den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen. Mit direkter Nutzung von Photovoltaik und Windkraft für dezentrale Heizungs-Wärmepumpen in den Gebäuden sparen wir uns etwa das Fünf- bis Achtfache an erneuerbarer Elektrizität und die dafür notendigen Flächen für Windkraft- und Photovoltaik-Anlagen gegenüber der in Aussicht gestellten Verbrennung von (grünem) Wassersoff oder daraus produziertem synthetischen Methan. Es ist unverständlich und irritierend, dass Heizkesselhersteller noch auf das Pferd „Unsere Brennwertheizkessel sind schon heute H2-ready.“ setzen. Wasserstoff ist für den fossilen Brennstoffersatz in Feuerungen von Hausheizungen zu wertvoll.

Bild 9 Die Einsatzreihenfolge von Kraftwerken darf künftig nicht ausschließlich nach dem Merit-Order-Prinzip erfolgen, sondern muss auch die Treibhausgasemissionen berücksichtigen.

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Bild 9 Die Einsatzreihenfolge von Kraftwerken darf künftig nicht ausschließlich nach dem Merit-Order-Prinzip erfolgen, sondern muss auch die Treibhausgasemissionen berücksichtigen.

Die Autoren sehen den Wasserstoff überall da, wo eine sehr hohe Energiedichte notwendig bzw. unumgänglich ist: In der Grundstoffindustrie, bei der Stahlerzeugung, in der Chemie, im Schwerlast- und Flugverkehr sowie zur Überbrückung (kalter) Dunkelflauten in Gaskraftwerken, aber nicht als Brennstoff für Heizkraftwerke.

Kohlekraftwerke sollten so bald wie möglich heruntergefahren oder abgeschaltet werden und nicht – wie seit Sommer 2021 – aufgrund des angeblich „marktwirtschaftlichen Merit-Order-Prinzips“ ihren Anteil noch weiter erhöhen können, nur weil momentan der Erdgaspreis gegenüber nahezu kostenloser Braunkohle und preisgünstig importierter Steinkohle so hoch sind. Die Einsatzreihenfolge von Kraftwerken auf Basis ihrer heute nicht die wahren Kosten berücksichtigenden Grenzkosten belastet das noch zur Verfügung stehenden Treibhausgas-Budget und verursacht in der Zukunft viel höhere Kosten. Die Einsatzreihenfolge von Kraftwerken muss deshalb ebenfalls von der Politik neu geregelt werden.

Literatur

[1] Eröffnungsbilanz Klimaschutz. Berlin: Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, 10. Januar 2022 
Download auf www.bmwi.de

[2] Wolff, Dieter; Jagnow, Kati: Standardbilanz für Wohngebäude. Braunschweig: Excel-Tool und Erläuterungen, 2020 
Downloads auf www.delta-q.de

[3] Eisenbeiß, Gerd: Klimaschutz- und Finanzpolitik. Überlegungen vor den Koalitionsverhandlungen, 28.09.2021 
Download auf www.politikessays.de

[4] Wolff, Dieter; Jagnow, Kati: Plädoyer für kalte versus warme Nah- und Fernwärmenetze aus erneuerbaren. Braunschweig, 2021
Download auf www.delta-q.de

Prof. Dr.-Ing. Kati Jagnow
lehrt Anlagentechnik und Energiekonzepte an der Hochschule Magdeburg-Stendal – Fachbereich Wasser, Umwelt, Bau und Sicherheit, www.bauwesen.hs-magdeburg.de

Jagnow

Prof. Dr.-Ing. Dieter Wolff
Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften, Campus Wolfenbüttel, Fakultät Versorgungstechnik, d.wolff@ostfalia.de, www.ostfalia.de

Wolff