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Wärmewende

10 Empfeh­lungen für eine 78 % geringere Erdgasabhängigkeit

RafaelKenji – stock.adobe.com

Zehn Empfehlungen von Experten aus Finanzwirtschaft, Wirtschaftspolitik und Technik legen dar, wie Deutschlands Abhängigkeit von Erdgas in Zukunft um bis zu 78 % reduziert werden kann – indem vor allem Wärme für Gebäude und Industrie aus Strom erzeugt wird. Die Vorschläge setzen auf private Investitionen und priorisieren, wo öffentliche Mittel am wirkungsvollsten sind.

Der Fachrat Energieunabhängigkeit zeigt in einer am 23. Januar 2024 vorgestellten Finanzierungsstrategie, wie die Unabhängigkeit von Erdgas in Deutschland gelingen kann. Die Experten betonen, dass eine sicherheitsorientierte Energiepolitik die Unabhängigkeit von Erdgas erfordert.

Jonathan Barth, Sprecher des Fachrats Energieunabhängigkeit und Politischer Direktor ZOE Institut für zukunftsfähige Ökonomien, bei der Vorstellung des Berichts: „Mit dem Ersatz von russischen Erdgasimporten durch den Import von Flüssigerdgas (LNG) – unter anderem aus Katar und den USA – hat Deutschland neue Abhängigkeiten aufgebaut. Das bedeutet: mehr Abhängigkeit von globalen Gaspreisen, von geopolitischen Entwicklungen, mehr Abhängigkeiten mit Blick auf die internationale sicherheitspolitische Lage. Die Energiekrise hat gezeigt, wie teuer diese Abhängigkeiten sind.

Im Sinne von Energie- und Wirtschaftssicherheit sollte Deutschland die Unabhängigkeit von Erdgas ganz oben auf die Agenda setzen. Erdgasunabhängigkeit ist technisch möglich und kann ein Booster für die deutsche Wirtschaft sein. Wenn wir jetzt handeln, können wir Deutschlands Abhängigkeit von Erdgas um bis zu 78 % reduzieren.“

482 Mrd. Euro benötigt der Gebäudesektor

Mit seiner Finanzierungsstrategie zeigt der Fachrat, wie die politischen Akteure Wohnungsbesitzer, Stadtwerke, den Mittelstand und die Finanzwirtschaft für private Investitionen aktivieren kann. Die Investitionen ermöglichen, dass Wärme für Industrie und Gebäude in Zukunft mit Strom statt Erdgas erzeugt wird. Die dafür notwendigen finanziellen Mittel beziffert der Rat mit 526 Mrd. Euro bis 2045 – der Großteil hiervon (482 Mrd. Euro) entfällt auf den Gebäudesektor, während in der Industrie mit geringeren Mitteln (44 Mrd. Euro) viel erreicht werden kann.

Die Hälfte aller Wohnungen wird heute mit Gas beheizt. Wohnungsunternehmen, Energiedienstleister und Stadtwerke können den Umstieg auf erneuerbare Alternativen beschleunigen. Für Stadtwerke ist das aktuell eine besonders große Herausforderung: Ein Viertel ihrer Einnahmen hängt vom Erdgasgeschäft ab. Der Fachrat ermutigt Stadtwerke deshalb, Mietmodelle für Heizungen anzubieten (Empfehlung 3) – ein Angebot, das auch für Hausbesitzer den Umstieg auf eine erdgasfreie Heizung erleichtern könne. Die Umstellung auf erdgasfreie Heizsysteme in Wohngebäuden kann Deutschlands Erdgasverbrauch um mehr als ein Drittel senken.

Empfehlung 6 ist eine „Fachkräfteoffensive Wärmewende“ in der erprobte Umschulungsprogramme, beispielsweise von Vaillant, skaliert werden. Empfehlung 4 bezieht sich auf Praxis-Checks für die Wärmewende, um insbesondere bürokratische Hindernisse zu beseitigen. Empfehlung 5, ein „Wärme-für-Alle Programm für vulnerable Eigentümer“, schlägt die u. a. die Einrichtung einer staatlichen Ausfallbürgschaft vor. Die Empfehlung 2 beschreibt ein „Ermöglichungspaket kommunale Wärmewende“.

44 Mrd. Euro benötigt die Industrie

Auch die deutsche Industrie nutzt Erdgas vor allem für Wärme, beispielsweise zum Trocknen oder zur Dampferzeugung. In den meisten Fällen geht das auch mit Strom. Durch die Umstellung auf Strom können Investitionen von rund 10 Mrd. Euro den Erdgasverbrauch der gesamten Industrie halbieren. Um diesen Wandel zu beschleunigen, sei es wichtig, Vorreiter-Unternehmen zu belohnen und sichtbar zu machen. Die Experten des Fachrats empfehlen dafür eine Industriewende-Beschleuniger-Plattform (Empfehlung 7), in der Unternehmen miteinander den Umstieg auf erdgasfreie Technologien lernen.

Barth: „Damit die Lösung von Erdgas gelingt, müssen alle zusammenarbeiten. Banken mit ihrer Kompetenz im Risikomanagement, Stadtwerke als Energiedienstleister und Unternehmen des Mittelstands als Vorreiter der Elektrifizierung.“

„Gefahren erdgasbasierter Lösungen erkennen“

Banken können Industrie, Stadtwerke und Wohnungseigentümer beim Umstieg auf erdgasfreie Lösungen unterstützen. Ihre Expertise im Risikomanagement hilft ihren Kunden, die Gefahren bestehender erdgasbasierter Heizungen und Anlagen zu erkennen und Vertrauen in erdgasfreie Technologien zu fassen. Der Fachrat empfiehlt dafür einheitliche Transitionspläne für Unternehmen (Empfehlung 8). Gekoppelt mit dem Vorschlag, dass die Zentralbank vorübergehend Zinsen für Kredite in erdgasfreie Heizungen und Industrieanlagen senkt (Empfehlung 10), können Banken so zu Begleitern auf dem Weg zur Erdgasunabhängigkeit werden.

Download des Berichts „Sicherheitsorientierte Energiepolitik“

Kristina Jeromin, Mitglied des Fachrats Energieunabhängigkeit & Geschäftsführerin GSFC Germany: „Die Energieunabhängigkeit hat höchste Priorität für die Sicherheit und langfristige Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Für ihre verlässliche Finanzierung bedarf es der zielgerichteten Verzahnung von Finanzbranche und Realwirtschaft sowie Investitionsimpulse seitens der Öffentlichen Hand [Empfehlung 9].“

Empfehlung 1 ist die Einrichtung einer „Kommission für Erdgasunabhängigkeit“, die u. a. einen realistischen Pfad zur Erdgasunabhängigkeit identifizieren und eine Strategie für die Stilllegung von Gasnetzen bzw. deren Transformation entwickeln soll. ■
Quelle: Fachrat Energieunabhängigkeit / jv

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