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Heizungswende

Erdgasnetz auf Wasserstoff um­stellen ist teuer und illusorisch

Shawn Hempel – stock.adobe.com

Eine Studie von Borderstep und Scientists4Future zeigt: Wasser­stoff zum Hei­zen kann in aus­rei­chen­der Men­ge weder hier­zu­lande her­ge­stellt noch im­por­tiert werden.

Aus der Gaswirtschaft kommt regelmäßig der Vorschlag, auch in Zukunft einen wesentlichen Teil der Gebäude weiter mit Gas zu beheizen. Statt Erdgas sollen dann klimaneutrale Gase eingesetzt werden. Klimaneutral ist dabei nur grüner Wasserstoff, der mit grünem Strom und Elektrolyse von Wasser gewonnen wird (siehe Exkurs 1).

Erst kürzlich hatte der DVGW für eine Auftragsstudie zur Berechnung von H2-Netzengelten einen sehr hohen Wasserstoffbedarf im Jahr 2045 von 179 TWh/a für Haushalte und den Sektor Gewerbe, Handel und Dienstleistungen (GHD), also überwiegend zur Erzeugung von Niedertemperaturwärme, vorgegeben. Im DVGW-Szenario werden zwei Drittel der heutigen Gasanschlüsse in Haushalten und Gewerbe auf Wasserstoff umgestellt, die Gasnachfrage sinkt (energetisch) insgesamt inklusive Effizienzgewinnen nur um 50 %.

Ein am 21. Mai 2024 vom Borderstep Institut veröffentlichtes Diskussionspapier „Das Erdgasnetz, das Heizen mit Wasserstoff und die Wärmepumpe“ liefert Zahlen, welche Konsequenzen die Herstellung oder der Import einer so großen Menge grünen Wasserstoffs hätte und zeigt die Vor- und Nachteile des Heizens mit Wasserstoff im Vergleich zum Heizen mit Wärmepumpen.

Exkurs 1: Wasserstoff, der mit den heute bekannten Verfahren aus Erdgas hergestellt wird, könnte „klimaneutral“ nur durch erhebliche zusätzliche Maßnahmen bilanziell erreichen. Beim Wasserstoffderivat synthetisches Methan ist bereits eine kleine Leck- und Schlupfrate aufgrund des hohen GWP von CH4 problematisch. Theoretisch wäre auch gezielt mit Kernenergie hergestellter Wasserstoff so klimaneutral wie grüner Wasserstoff, jedoch ist dieser Strom nicht verfügbar und der Wasserstoff wäre zudem teurer.

Studie: „H2-Import für das Heizen nicht möglich“

Gegenwärtig beginnt der Bau des Wasserstoff-Kernnetzes. Ausgelegt ist es Netz für eine Wasserstoffmenge von 280 TWh/a. Mit 160 TWh/a ist der größte Teil dieser Menge für Kraftwerke vorgesehen, die in Zeiten ohne Wind und Sonne die Versorgung mit Strom und Wärme aufrechterhalten sollen. 120 TWh/a Wasserstoff sind für die Industrie vorgesehen: In Stahlwerken soll Koks durch Wasserstoff ersetzt werden, in der Chemiebranche Erdgas und Erdöl.

S4F-Mitglied und Senior Researcher des Borderstep Instituts, Dr. Jens Clausen, Erstautor der Studie: „Eine zusätzliche Menge von 180 TWh/a Wasserstoff zu importieren und im Gas-Verteilnetz an einzelne Heizkessel oder Blockheizkraftwerke zu liefern, scheitert schon daran, dass das im Bau befindliche Wasserstoff-Kernnetz diese Menge nicht bewältigen würde.“

Exkurs 2: Es gibt noch einen weiteren Kostentreiber. Selbst wenn man annimmt, dass die Leitungsinfrastruktur kein Nadelöhr ist, wäre zu beachten, dass der Bedarf für Wasserstoff-Heizungen künftig nahezu ausschließlich im Kernwinter auftritt und deshalb in großem Umfang eingelagert werden muss – eine verbrauchsgerechte Anlieferung gab es auch für Erdgas aus vielen Gründen nicht. Das Energiewirtschaftliche Institut an der Universität zu Köln (EWI) hat kürzlich in einer Studie Kosten für die Speicherung in Salzkavernen von 1,98 bis 5,25 Ct/kWhH2 ermittelt. Bei geringer Auslastung könnten die Speicherkosten auf bis zu 10,5 Ct/kWh steigen (siehe: Hohe Kosten für Speicherung von Wasserstoff in Salzkavernen). Eine saisonale Speicherung (ein Zyklus pro Jahr) ist am teuersten.

Könnten der Wasserstoff hierzulande hergestellt werden?

Die Energie für das Heizen selbst herzustellen wäre gut für die Wirtschaft. Für die Bereitstellung von 179 TWh/a Wasserstoff müssten etwa 13 950 große Windräder a 5 MW (insgesamt rund 70 GW) aufgestellt und etwa 1135 km2 Freiflächen-Photovoltaik-Anlagen gebaut werden. Hierfür wären Investitionen von etwa 169 Mrd. Euro erforderlich.

Zusätzlich müssten Elektrolyseanlagen mit einer Leistung von etwa 80 GW für weitere ca. 56 Mrd. Euro errichtet werden. An einer großen Zahl von Standorten bedarf es der Planung von Windrädern und Photovoltaik-Anlagen. Die durch sie dann erzeugten enormen Strommengen müssten durch das Stromnetz zu den Elektrolyseuren geleitet werden. Ein teurer Stromnetzausbau wäre die Folge. Auch das Gasnetz bräuchte für Wasserstoff eine aufwendige Ertüchtigung.

Zum Vergleich: In Deutschland standen onshore Ende des Jahres 2023 insgesamt 28 667 Windenergieanlagen mit einer Gesamtleistung von 61 GW.

„Kostenfalle für uns alle“

Der enorme Technologieaufwand schlägt sich in den Kosten nieder. Die Studie errechnet für ein Haus mit einem Nutzwärmebedarf von 14 000 kWh/a Heizkosten von ca. 4000 Euro/a für das Heizen mit Wasserstoff.

Eine Wärmepumpe könnte dieses Haus schon mit einem relativ teuren Haushaltsstromtarif für etwa 1200 Euro/a im Jahr heizen. Das liegt daran, dass die Wärmepumpen so effizient sind. Auch der Erzeugungsbedarf wäre bilanziell viel geringer: Bereits 2790 Windräder mit je 5 MW Leistung und etwa 222 km2 Freiflächen-Photovoltaik-Anlagen genügen, um den Strom für alle Wärmepumpen zu erzeugen.

Da die Studie ausschließlich das Ziel hat, den hohen Aufwand nur exemplarisch zu verdeutlichen, wurde eine Reihe von Zusammenhängen nicht betrachtet. So werden z. B. die Strommengen bilanziell betrachtet aber die Notwendigkeit der Speicherung von Strom in Batterien oder durch Elektrolyse von Wasserstoff und Rückverstromung nicht analysiert. Die Notwendigkeit der Stromspeicherung ist dabei sowohl im Fall der Wärmepumpen-Heizung wie auch im Fall der Heizung mit grünem Wasserstoff gegeben, wobei die infrage stehenden Strommengen für die Wasserstoff-Elektrolyse deutlich höher sind. Analog verhält es sich mit den Aufwänden für den Stromnetzausbau.

Download der Studie (21 Seiten): Clausen, J.; Huber, M.; Kemfert, C.; Klafka, P,: Das Erdgasnetz, das Heizen mit Wasserstoff und die Wärmepumpe. Berlin: Borderstep Institut, 2024

„Heizen mit Wasserstoff wird eine Illusion bleiben“

Die Studie kommt zu dem Ergebnis: Die Herstellung von Wasserstoff ist teuer und aufwendig und benötigt eine sehr hohe Anzahl von Anlagen zur Grünstromerzeugung. Allein Planung und Bau würde mehrere Jahrzehnte in Anspruch nehmen. Da Wasserstoff zudem sehr teuer bleiben wird, müssten die Häuser gedämmt werden, um den teuren Verbrauch in Grenzen zu halten. Dass mit Wasserstoff alles so bleiben kann wie es immer war, sei also ein nicht einlösbares Versprechen.

Das Diskussionspapier bietet weitere interessante Einblicke, beispielsweise zum indirekten Treibhauspotenzial von in die Atmosphäre gelangten Wasserstoffs (PDF-Seite 14) und warum die Kosten für die Umrüstung des Gas-Verteilnetzes auf 100 % Wasserstoff bis 2045 nicht wie vom DVGW dargestellt Mehrkosten von 4 Mrd. Euro, sondern bei einer sachgerechten Betrachtung in einer Größenordnung von 230 Mrd. Euro liegen (PDF-Seite 14/15).

In der abschließenden Gesamtbeurteilung werden die vier Fragen
● Kann Wasserstoff schnell, preiswert und in großen Mengen hergestellt oder importiert werden?
● Wäre Wasserstoff zum Heizen tatsächlich billiger als mit Strom betriebene Wärmepumpen?
● Würde der Weiterbetrieb des Gasnetzes tatsächlich zu einer Entlastung des Stromnetzes führen?
● Wie teuer ist der Ausbau von Strom- und Gasnetz für die Versorgung mit Wasserstoff wirklich?
mit dem Tenor beantwortet:

„Die Herstellung und der Transport von Wasserstoff sind ineffizient und teuer. Wasserstoff sollte nur da zum Einsatz kommen, wo es keine direkte elektrische Alternative gibt. Eine auf die zukünftige Versorgung der Bevölkerung orientierte Wirtschaftspolitik mit bezahlbarerer Energie sowie preiswerten Waren und Dienstleistungen einerseits und auf Innovationen für Wirtschaftswachstum andererseits wird Wasserstoff ausschließlich für prioritäre Anwendungen einsetzen, wie etwa in der Industrie, den Spitzenlastkraftwerken der Energieversorgung und für den Schiffs- und Flugverkehr.“ ■
Quelle: Borderstep Institut / jv

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