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GEG 2024

Analyse der Berichterstattung über das „Heizungsgesetz“

studio v-zwoelf – stock.adobe.com

Der Think Tank Das Progressive Zentrum hat seine Untersuchung „Aufgeheizte Debatte? Eine Analyse der Berichterstattung über das Heizungsgesetz – und was wir politisch daraus lernen können“ vorgelegt.

„Heizungs-Stasi*)“ wurde von der „Sprachkritischen Aktion Unwort des Jahres“ zum Unwort des Jahres 2023 auf Platz 3 gewählt. Platz 2 belegte „Sozialklimbim“, zum Unwort wurde „Remigration“ gekürt. Das Treppchen zeigt, dass (auch) 2023 nicht immer Fakten, Tatsachen und Lösungen im Mittelpunkt standen, sondern auch mit polarisierender, diskriminierender und verunglimpfender Rhetorik Stimmung und darüber hinaus gemacht wurde.

Bisher wurde die TGA+E/SHK-Branche von großen politischen Debatten bestenfalls gestreift. 2023 stand sie trotz der mit viel Vorlauf bekannten Erweiterung des Gebäudeenergiegesetzes um Anforderungen für den Einbau von Heizungen in Gebäude mittendrin – auch wenn es offiziell nie ein „Heizungsgesetz“ oder einen Entwurf dafür, sondern nur eine „Änderung des Gebäudeenergiegesetzes“ gegeben hat.

„Habeck will […] verbieten“

Am 28. Februar 2023 prangte auf der Titelseite der Bild-Zeitung in weißen Lettern auf schwarzem Grund: 

„Habeck will Öl- und Gasheizungen verbieten“ – ergänzt um den Hinweis: „Schon ab 2024!“.

Dieser Artikel, in dem aus einem bis dato unveröffentlichten und geleakten (Vor-)Entwurf für die Novellierung des Gebäudeenergiegesetzes (GEG) zitiert wurde, markierte den Startpunkt einer äußerst emotionalen und bis heute nachwirkenden Debatte über das Gesetz im Speziellen und Klimapolitik im Allgemeinen.

Es folgten ein monatelanger Streit in der Regierung, eine zugespitzte Kampagne der Opposition, Verunsicherung bei den Bürgern, eine erfolgreiche Klage gegen die Beratung des Gesetzentwurfs und schließlich dessen Verabschiedung durch den Bundestag im September 2023. Für die Verunsicherung in der Bevölkerung und die sinkende Zustimmung zur Klimapolitik wurde wahlweise eine mediale Kampagne oder schlechte Kommunikation der Regierung verantwortlich gemacht.

Berichterstattung und Agieren der Politik analysiert

Weder die Berichterstattung der Medien über das GEG, noch das Agieren der Politik wurden jedoch bisher einer ausführlichen Analyse unterzogen. Diese Lücke will Das Progressive Zentrum mit der am 18. April 2024 vorgelegten Studie „Aufgeheizte Debatte? Eine Analyse der Berichterstattung über das Heizungsgesetz – und was wir politisch daraus lernen können“ schließen.

Im ersten Teil der Publikation präsentieren die Wissenschaftler vom Institut für Publizistik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Dr. Pablo Jost und Matthias Mack, die Ergebnisse einer quantitativen Inhaltsanalyse von 2036 Beiträgen 19 deutscher Medien. Im Fokus steht dabei die Frage, wie vielfältig und ausgewogen deutsche Nachrichtenmedien im Jahresverlauf 2023 über das GEG bzw. die Novellierung des GEG berichtet haben.

Aufbauend auf den Studienergebnissen der Universität Mainz schlägt Politik- und Kommunikationsberater Dr. Johannes Hillje im zweiten Teil der Publikation Lehren aus der Debatte für Politik und Medien vor.

Im Fazit heißt es dann: Das Heizungsgesetz ist kein gelungenes Beispiel dafür, wie man eine anspruchsvolle Klimaschutzmaßnahme als Regierung konzipieren und kommunizieren (und als eine die Klimaschutzziele unterstützende Opposition kritisieren) sollte. Zurecht beanstandeten die Medien die mangelnde Akzeptanz des GEG in der Bevölkerung (politische Konzeption) und die schlechte Vermittlung des Vorhabens (politische Kommunikation). […]“

Teil 1: Analyse der Berichterstattung

Im Rahmen einer quantitativen Inhaltsanalyse wurden 2036 zwischen Januar und Oktober 2023 veröffentlichte Beiträge aus insgesamt 19 regionalen und überregionalen Medien auf Vielfalt, Ausgewogenheit und faktische Richtigkeit untersucht. Die Ergebnisse, die im ersten Kapitel der Veröffentlichung dargelegt werden, verweisen auf eine relativ hohe thematische Vielfalt der Medienberichterstattung. Der Fokus liegt auf dem Gesetzesinhalt, den politischen Prozessen und der technologischen Umsetzbarkeit.

Die GEG-Novelle wird in der Medienberichterstattung in allen Aspekten überwiegend negativ bewertet. Insbesondere wird eine mangelnde Vermittlung und geringe Akzeptanz des Gesetzes kritisiert; aber auch die Auswirkungen auf Wirtschaft und Klimaschutz werden einseitig negativ eingeschätzt. Besonders kritisch wird das GEG in Medien am rechten Rand des publizistischen Spektrums (auch Extremmedien) und der Bild behandelt, die entsprechende Begriffe in ihrer Berichterstattung verwenden (u. a. „Heizhammer“, „Heizverbot“) und damit die öffentliche Debatte zusätzlich aufheizten.

Die Berichterstattung konzentriert sich weitestgehend auf politische Akteure, was bereits aus früheren Studien bekannt ist. Bürger spielen dagegen kaum eine Rolle. Regierungsparteien – insbesondere Bündnis 90/Die Grünen – stehen im Mittelpunkt der Debatte über das GEG; kleine Oppositionsparteien finden kaum Beachtung. Die Berichterstattung ist insoweit ausgewogen, als dass alle Parteien negativ bewertet werden. Die SPD erfährt vergleichsweise wenig Kritik. Weniger ausgewogen ist die Berichterstattung einzelner Medien. So werden die Grünen in den untersuchten Lokalmedien im Vergleich zu den anderen Parteien weniger negativ, von der Bild und rechten Publikationen hingegen fast ausschließlich negativ dargestellt.

Die Medien berichten insgesamt deutlich mehr richtige als irreführende oder falsche Informationen zum Austausch bzw. Weiterbetrieb alter Heizungssysteme. Lediglich die Bild und linke Extremmedien vermitteln in relevantem Maße, rechte Extremmedien sogar überwiegend irreführende bzw. falsche Informationen.

Artikel von rechten Extremmedien und der Bild werden besonders stark auf Facebook verlinkt und durch Interaktionen mit Nutzenden viral verbreitet. Das ist insofern problematisch, als dass diese Medien nicht nur besonders negativ berichten, sondern auch den höchsten Anteil an irreführenden bzw. falschen Informationen aufweisen.

Insgesamt zeichnen die Ergebnisse der Analyse ein differenziertes Bild der Berichterstattung der deutschen Medien zum GEG – mit einer hohen thematischen Vielfalt und überwiegend korrekten Informationen. Allerdings kann die überwiegend negative Darstellung des Gesetzes und der dafür verantwortlichen politischen Akteure langfristig das Vertrauen in demokratische Prozesse schwächen.

„Änderungen am GEG-Entwurf waren nur ‚politische Kulanz‘“

Bemerkenswert im Zusammenhang mit der Berichterstattung in den Medien ist die nachträgliche Bewertung in einem erst am 27. September 2023 vom Umweltbundesamt veröffentlichten ad-hoc-Papiers: „Der Umgang mit dem Wirtschaftlichkeitsgrundsatz in der Novelle zum GEG 2023“. Prof. Dr. Stefan Klinski kommt darin zu der abschließenden Bewertung:

„Die im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens zur GEG-Novelle 2023 vorgenommenen Änderungen am ursprünglichen Gesetzentwurf, nach denen weitere Wahloptionen hinzugefügt und die Zeitpunkte für das Wirksamwerden der Pflichten im Gebäudebestand hinausgeschoben wurden, waren aus dem Blickwinkel des § 5 GEG [Wirtschaftlichkeitsgrundsatz] nicht notwendig, weil dem als Amortisierbarkeitsgebot zu verstehenden Wirtschaftlichkeitsgebot bereits im ursprünglichen Gesetzentwurf Genüge getan war. Die betreffenden Änderungen können daher als ‚politische Kulanz‘ eingeordnet werden, derer es rechtlich nicht bedurft hätte.“ Siehe auch: Wirtschaftlichkeitsgrundsatz zu 65 % EE in der GEG-Novelle / jv

Teil 2: Lehren aus der Debatte für Politik und Medien

Das GEG gehört zu den unbeliebtesten Projekten der Bundesregierung. Dieses Akzeptanzdefizit bei einem der bedeutendsten Klimaschutzvorhaben der 20. Legislaturperiode muss sich die Bundesregierung in erster Linie selbst ankreiden. Insgesamt ist das GEG ein Beispiel dafür, wie man eine anspruchsvolle Klimaschutzmaßnahme als Regierung nicht konzipieren und kommunizieren sollte. Auch die demokratische Opposition wurde ihrer Verantwortung für einen faktenbasierten Diskurs nicht immer gerecht.

Bis heute stellt sich die Frage, welche Lehren sich aus der GEG-Debatte für zukünftige Maßnahmen ziehen lassen, die zur Klimaneutralität bis 2045 beitragen sollen. Das zweite Studienkapitel leistet einen Beitrag zu dieser Aufarbeitung und schlägt erste Ableitungen für die politische Konzeption und Kommunikation sowie den Journalismus vor:

Politische Konzeption: Erkenntnisse aus der Forschung zu Akzeptanzfaktoren sollten stärker in die Entwicklung von Klimaschutzpolitik integriert werden. Soziale Gerechtigkeit etwa gilt als wichtigster Einzelfaktor für die Akzeptanz. Die Verantwortlichen hätten die soziale Abfederung beim GEG also deutlich früher berücksichtigen müssen (Förderung vor Forderung). Die hohen, kurzfristigen Kosten von Klimaschutz sind ein weiterer negativer Akzeptanzfaktor, weswegen eine gesetzlich verankerte langfristige Kostenperspektive (z. B. Lebenszykluskosten eines Heizsystems) hilfreich sein kann, wie internationale Beispiele zeigen. Individuumsbezogene Maßnahmen stoßen generell auf weniger Akzeptanz, darum sollten infrastrukturelle Veränderungen vorangestellt werden (Infrastruktur vor Individuum).

Politische Kommunikation: Aufgrund des Leaks des GEG-Entwurfs erlangte das Wirtschaftsministerium zu keinem Zeitpunkt Deutungshoheit über das eigene Gesetz. Bei kontroversen und interessenbehafteten Klimavorhaben sollte ein Ministerium – bevor das Gesetz das Haus verlässt – in der Öffentlichkeit den ersten Frame setzen (Frame-Setting). Auch sollte im Zuge einer frühzeitigen Kommunikation mit den zentralen Fakten und der Sensibilisierung für mögliche Desinformationen präventiv gegen Mythenbildung vorgebaut werden. Mit glaub- und vertrauenswürdigen Stimmen aus der Lebenswelt der Menschen (z. B. Handwerk, Energieberatung, Stadtwerke) sollte im Sinne einer Diskursallianz kooperiert werden.

Journalismus: Eine sachliche und ausgewogene Berichterstattung über komplexe klimapolitische Maßnahmen erfordert von Redaktionen eine erhöhte Transformationskompetenz über konkrete Instrumente der Dekarbonisierung, den kritischen Umgang mit Verzögerungstaktiken (z. B. die fehlenden Voraussetzungen für H2-ready-Heizungen) sowie eine langfristige Perspektive bei der Ausübung der Kontroll- und Kritikfunktion.

Man darf gespannt sein, wie in den drei Bereichen demnächst agiert wird. Denn nach Zustimmung des Europäischen Rats zur Novelle der EU-Gebäuderichtlinie wird die schon bald anstehende nächste Novelle des Gebäudeenergiegesetzes inhaltlich viel weiter gehen als die Anforderungen an den Einbau von Heizungsanlagen und die Heizungsanforderungen wohl auch noch einmal nachschärfen. Jedenfalls sieht die EU-Gebäuderichtlinie vor: „Zur Unterstützung der Entwicklung seines nationalen Gebäuderenovierungsplans führt jeder Mitgliedstaat eine öffentliche Anhörung zu dem Entwurf des nationalen Gebäuderenovierungsplans durch, bevor er ihn bei der Kommission einreicht. An der öffentlichen Anhörung werden insbesondere die lokalen und regionalen Behörden und andere sozioökonomische Partner, einschließlich der Zivilgesellschaft und Einrichtungen, die mit schutzbedürftigen Haushalten arbeiten, beteiligt. Jeder Mitgliedstaat fügt seinem Entwurf des nationalen Gebäuderenovierungsplans eine Zusammenfassung der Ergebnisse seiner öffentlichen Anhörung bei.“ ■
Quelle: Das Progressive Zentrum / jv

Originalpublikation: Jost, P. und Mack, M.; Hillje, J.: Aufgeheizte Debatte? Eine Analyse der Berichterstattung über das Heizungsgesetz – und was wir politisch daraus lernen können. Berlin: Das Progressive Zentrum, 2024, PDF-Download der Studie

* Aus der Kritik der „Sprachkritische Aktion Unwort des Jahres“ zum Unwort des Jahres 2023 Platz 3:

Heizungs-Stasi: Bei diesem Ausdruck handelt es sich um ein zusammengesetztes Wort, das den Ausdruck Heizung und das Kurzwort Stasi (= Staatssicherheit, eine Abkürzung für das Ministerium für Staatssicherheit in der DDR) verbindet. Das Wort dient der populistischen Stimmungsmache gegen Klimaschutzmaßnahmen (Gebäudeenergiegesetz GEG). Diese werden als diktatorische Repressionen dargestellt, die gegen das Wohl der Bevölkerung durchgesetzt werden. Der Ausdruck verstößt gegen das demokratische Prinzip, weil er das demokratische Gesetzgebungsverfahren verunglimpft. Zudem werden durch die Verwendung des Ausdrucks die Opfer der Staatssicherheit verhöhnt. Weitere eingereichte Wörter, die in diesen Bereich fallen und durch demokratische Prozesse in Kraft gesetzte Maßnahmen abwerten, sind: Heizhammer, Heizungshammer, Heizungsverbot, Öko-Diktatur. Quelle: www.unwortdesjahres.net

Arbeitshilfe zum Gebäudeenergiegesetz: Whitepaper zum GEG 2024

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