by-studio – stock.adobe.com
Etwa die Hälfte der Stadtwerke und kommunalen Energieversorger mit Gasnetz hat noch keinen Plan zur Zukunft ihres Gasnetzes. Die andere Hälfte plant in erheblichem Umfang Stilllegungen.
Bis 2045 will Deutschland nur noch klimaneutral heizen. Die Nutzung fossiler Energieträger, das sind zurzeit insbesondere Erdgas sowie Heizöl und Flüssiggas soll dann beendet sein. Im Gebäudeenergiegesetz ist beispielsweise festgelegt: „Heizkessel dürfen längstens bis zum Ablauf des 31. Dezember 2044 mit fossilen Brennstoffen betrieben werden.“
Die Umstellung auf Alternativen – insbesondere grüne Fernwärme, Wärmepumpen, grüne Gase, Biomasse-Heizungen, Solarthermie und Strom – ist jedoch kein Schaltvorgang, sondern beansprucht im Großen wie im Kleinen lange Zeiträume. Stadtwerke und kommunale Energieversorger müssen deshalb prüfen und kommunizieren, welche Stränge ihres Gasnetzes sie auf grüne Gase umrüsten und welche sie stilllegen.
Allerdings steht für viele Stadtwerke und kommunalen Energieversorger noch nicht fest, was mit ihrem Gasnetz passiert. Das geht aus einer Branchen-Umfrage des Verbands kommunaler Unternehmen (VKU) hervor. Die Umfrage wurde vom 26. August bis zum 15. September 2025 durchgeführt. 609 Stadtwerke und kommunale Energieversorger, die Mitglied im VKU sind, wurden per E-Mail angeschrieben. 164 Stadtwerke und kommunale Energieversorger nahmen teil. Das entspricht einer guten Rücklaufquote von 26,9 %.
Auf die Frage „Was planen Sie mit Ihrem Gasnetz“ antworteten 46 % der befragten Stadtwerke und kommunalen Energieversorger, dass das noch nicht feststehe. 19 % der befragten Unternehmen gaben an, dass sie ihr Gasnetz stilllegen und auf Fernwärme und Wärmepumpen setzen werden. Fast jedes vierte Stadtwerk (23 %) plant mit einer Mischung aus Stilllegung und Umrüstung auf grüne Gase wie Wasserstoff oder Biomethan.
Rechtliche und finanzielle Fragen
Die Herausforderung: Der geplante Ausstieg aus dem Gasnetzbetrieb wirft rechtliche und finanzielle Fragen auf. Für den Dauerbetrieb konzipiert fehlen für Stilllegung und Rückbau bislang klare gesetzliche Regelungen. Versorger sind weiterhin verpflichtet, neue Anschlüsse bereitzustellen. Auch wer die Kosten trägt, ist ungeklärt. Deshalb fordert der VKU von der Bundesregierung nun Rechtssicherheit für Stilllegung und Umrüstung der Gasnetze zu schaffen.
Ingbert Liebing, VKU-Hauptgeschäftsführer: „Der Trend bei den Gasnetzen geht klar zu einem Technologiemix, je nach Strang: Einige Leitungen eines Gasnetzes werden umgerüstet, viele Stränge des Gasnetzes stillgelegt. Zugleich hängt die Mehrheit Stadtwerke aktuell in der Luft – und mit ihnen viele Bürger und 1,4 Mio. Industrie- und Gewerbekunden, die meist zum Mittelstand gehören. Wir appellieren an die Bundesregierung, schnell für Rechts- und Planungssicherheit bei den Gasnetzen zu sorgen. Für einen geordneten Ausstieg aus dem Erdgas brauchen wir Klarheit – sowohl für die Umrüstung zu Wasserstoffverteilnetzen oder für die Nutzung mit Biomethan als auch für die Stilllegung.“
Der Statusreport Gas des BDEW meldet für das Jahr 2024 in Deutschland 125.700 km Hochdruck-Leitungen, 181.600 km Mitteldruck-Leitungen, 130.000 km Niederdruckleitungen und 176.200 km Hausanschlussleitungen sowie geplante 3,5 Mrd. Euro an Investitionen der Gasversorger in Deutschland. Aktive Hausanschlüsse bei Standardlastprofil(SLP)-Kunden) gibt es etwa 13,7 Mio. Stück. Insofern gibt die mutmaßlich gut bedachte Wortwahl „Einige Leitungen eines Gasnetzes werden umgerüstet, viele Stränge des Gasnetzes stillgelegt […] eine Vorstellung davon, was auf die Akteure zukommt.
Etwa 1,4 Mio. vorrangig mittelständische Gewerbe- und Industriekunden sind an den Gasverteilernetzen der Stadtwerke und kommunalen Energieversorger angeschlossen (Quelle: BNetzA Monitoringbericht 2024). Rund 500 große Unternehmen, zum Beispiel Industriekonzerne, werden hingegen über die Fernleitungen mit Gas versorgt. Teile der Fernleitungen sollen zum Wasserstoffkernnetz umgerüstet werden.
Nur 15 % planen Umrüstung auf Wasserstoff
Konkret haben 15 % der Stadtwerke vor, ihre Stränge zum Einsatz grüner Gase für den Mittelstand umzurüsten. Nur 8 % der befragten Unternehmen planen, Teile der Leitungen zum Heizen für private Haushalte auf grüne Gase umzustellen.
Liebing: „Nach den Festlegungen für das Wasserstoffkernnetz im vergangenen Jahr muss das Bundeswirtschaftsministerium (BMWE) nun rasch die Rechtsgrundlagen und Finanzierung auch für Wasserstoffverteilnetze konkretisieren. Je früher Stadtwerke mit Planung, Genehmigung und Bau beginnen können, desto besser für mittelständische Unternehmen am Gasverteilnetz. Sie brauchen Klarheit, ob und wenn ja, wie ihr Betrieb nach 2045 noch gasförmige Energieträger beziehen kann.“
Nicht zuletzt bräuchten die Stadtwerke diese Klarheit auch selbst für ihre eigenen KWK-Anlagen zur Absicherung der Fernwärme- und Quartiersversorgung. Die Unsicherheit über Rechtsgrundlagen und Finanzierung zeigt sich darin, dass die Stadtwerke aktuell weder Investitionen in die Umrüstung noch Stilllegung ihrer Gasnetze einplanen (beide 0 %).
Fragebogendesign:
Was planen Sie mit Ihrem Gasnetz?
● Das steht noch nicht fest: 46 %
● Wir werden unser Gasnetz stilllegen und auf Fernwärme und Wärmepumpen setzen: 19 %
● Wir planen eine Mischung aus Stilllegung und Umrüstung. Wir rüsten Stränge vor allem zum Einsatz grüner Gase für mittelständische Unternehmen um: 15 %
● Wir planen eine Mischung aus Stilllegung und Umrüstung. Wir rüsten Stränge vor allem zum Heizen in Privathaushalte mit grünen Gasen um: 8 %
● Wir werden unser Gasnetz auf grüne Gase umrüsten, z. B. Wasserstoff: 4 %
● Wir haben kein Gasnetz: 8 %
Klare Regeln für geordneten Erdgasausstieg gefordert
Tatsächlich kosten auch Stilllegung und ein eventueller Rückbau der Gasnetze Geld. Beides erfordert Planungssicherheit. Ursprünglich wurden Gasnetze für den Dauerbetrieb gebaut, für einen geordneten Ausstieg aus dem Gasnetzbetrieb fehlen schlicht die rechtlichen Grundlagen. Versorger sind sogar grundsätzlich verpflichtet, weiter Kunden anzuschließen und zu versorgen. Unklar ist oftmals auch, wer die Kosten für die Stilllegung übernehmen muss.
„Je näher das Jahr 2045 mit dem Ende der Erdgasversorgung rückt, desto größer ist die Gefahr eines Flickenteppichs und erheblichen Verunsicherungen bei den Verbrauchern. Die Bundesregierung kann das verhindern, indem sie klare Regeln für einen geordneten Ausstieg aus dem Erdgas aufstellt“, so Liebing.
VKU schlägt Umstellbonus vor
Bei allen leitungsgebunden Infrastrukturen gilt: Je mehr Kunden an ein Netz angeschlossen sind, desto günstiger wird es für den Einzelnen. Wenn sich immer weniger Kunden ein Netz teilen, wird es für die verbleibenden Nutzer teurer. Bleibt es bei einem ungeregelten Ausstieg, „beißen den letzten die Hunde“ – bzw. kommt es zu einem Dominoeffekt.
Aktuell geht der VKU davon aus, dass sich die finanzstarken Haushalte schneller vom Gas trennen. Von den steigenden Netzentgelten wären dann finanzschwächere Haushalte bzw. vor allem zwei Gruppen betroffen:
● Mieter, weil sie nicht über die Heizung in ihrem Mehrfamilienhaus bestimmen können, sowie
● kleine und mittelständische Unternehmen, weil viele von ihnen in ihrer Produktion auf gasförmige Energieträger angewiesen.
Anmerkung: Ab einem bestimmten Preisanstieg durch das Gas-Netznutzungsentgelt lohnt sich ein Umstieg auf Flüssiggas (LPG), sofern die Errichtung eines Lagerbehälters möglich ist.
Liebing „Der Weg zur Klimaneutralität darf weder zu einer sozialen Schieflage führen noch dem Mittelstand das Rückgrat brechen. Deswegen schlagen wir eine Kombination aus Selbstzahlung und Umstellbonus vor, flankiert von einem Gasnetzkompensationskonto.“
Konkret soll der Antragssteller die Kosten für die gewünschte Stilllegung selbst tragen, dabei jedoch mit einem Umstellbonus gefördert werden. Auch soll der Staat den Netzbetreibern einen Teil der Kosten, die Stilllegungen und verkürzte Abschreibungszeiträume verursachen und deshalb über die Netzentgelte auf die Kunden umgelegt werden müssten, via Kompensationskonto ausgleichen. Zudem sollten Eigentümer stillgelegte Leitungen auf ihren Grundstücken dulden müssen. Gaskunden würden damit von den sehr hohen Kosten für Rückbau verschont. Im Ergebnis gehe es bei der Vorschlagskombination darum, infrastrukturbedingte Kostensteigerungen für die Kunden zu vermeiden, so der VKU. ■
Quelle: VKU / jv
Im Kontext:
Gasanschluss-Kündigung: Gutachten sieht Handlungsbedarf
Wasserstoff-Heizung: Aus finanzieller Sicht chancenlos
GEG: Kann man die Heizungsregeln einfach abschaffen?
Warum die Dekarbonisierung von Gebäuden plötzlich einfach ist
Nur ein Mythos: „Die Erneuerung der Gas-Heizung spart Geld“
Gutachten: KWP mit Wasserstoff ist derzeit nicht verantwortbar